Fentanyl in Berlin: Tödlicher Rausch
Erstmals wurde in Berlin beim Drug-Checking Fentanyl nachgewiesen. Ist die Hauptstadt auf die Verbreitung der Horror-Droge vorbereitet?

Seit ein paar Jahren breitet sie sich auch in Europa aus, langsam auch in Deutschland. Nun konnte in Berlin erstmals beim Drug-Checking in einer Heroinprobe die Beimischung von Fentanyl nachgewiesen werden. Ein Beleg, dass das hochgefährliche Mittel in der hiesigen Drogenszene angekommen ist.
Das war nur eine Frage der Zeit. Laut Thomas Luthmann vom Notdienst für Suchtmittelgefährdete und -abhängige bereitet sich die Suchthilfe seit Jahren auf eine stärkere Verbreitung vor, auch durch Aufklärung von Konsumenten und Konsumentinnen.
Bei einem Modellprojekt der Deutschen Aidshife aus dem Jahr 2023 seien in mehreren deutschen Städten Drogen auf synthetische Opioide getestet worden. Rund vier Prozent der Proben enthielten Fetanyl, auch in Berlin habe es positive Tests gegeben.
Verbreitung laut Experten wahrscheinlich
Noch sei das jedoch kein sehr großes Thema. „Bei Gesprächen stelle ich fest, dass gegenwärtig Fentanyl eine absolut nachgeordnete Rolle spielt“, sagt Luthmann der taz. „Unsere Klienten und Klientinnen sind da sehr zurückhaltend und wissen, dass Fentanyl sehr schwer zu dosieren ist.“
Klar sei aber auch, dass sich diese Lage schon bald ändern könne. „Da sind sich alle Experten und Expertinnen in der Drogenszene einig.“ Für die stärkere Verbreitung der Droge gebe es mehrere Gründe: Einmal droht das Heroin auf der Straße knapper zu werden. Das liegt daran, dass die Taliban 2023 in Afghanistan den Anbau von Schlafmohn, aus dem das Opium für Heroin gewonnen wird, verboten haben.
Das führt zumindest vorläufig dazu, dass weniger Heroin produziert wird und die Droge auf dem Schwarzmarkt knapper werden könnte. Um den Bedarf zu decken, wird es immer mehr gestreckt, und hier könnte zunehmend Fentanyl ins Spiel kommen, da es hochpotent ist und auch stark gestrecktem Heroin eine hohe Wirkungspotenz verleiht.
Einen Kick, der jedoch viel schneller wieder abnehme als der von reinerem Heroin, so Luthmann. Weitere Faktoren, die für eine weitere Verbreitung sorgen könnten, seien, dass Fentanyl leicht zu produzieren und zu schmuggeln ist und dabei hohe Gewinnspannen erzielt werden können.
Per Messenger zu kaufen
Auch Vasili Franco, drogenpolitischer Sprecher der Grünen, befürchtet, dass es zu „Ausweichbewegungen“ in der hiesigen Drogenszene kommen könnte. „Man muss damit rechnen, „dass viele Konsumenten und Konsumentinnen umsteigen, weil Fentanyl billiger ist und eine stärkere Wirkung hat. Und Fentanyl lässt sich deutlich einfacher in die Breite bringen als Heroin, wenn die Verfügbarkeit steigt.“
Die Hauptgefahr von Fentanyl liegt zumindest aktuell darin, dass es anderen Drogen beigemischt wird. Nicht nur in Heroin kann es auftauchen, sondern auch in Kokain und Crack. In Kanada seien bereits Leute aus der Clubszene zu Fentanyl-Opfern geworden, weil ihre Partydrogen mit synthetischen Opioiden gestreckt worden seien, so Franco.
Auch reines Fentanyl ist laut Luthmann in Berlin im Umlauf, es sei online und über Messengerdienste beziehbar. „Das spielt in Berlin aber derzeit noch eine beigeordnete Rolle“, die Einschätzung des Experten.
Besonders gefährdet sind laut Franco derzeit Schwerstabhängige, also Menschen, die Straßenheroin beziehen. Er warnt aber auch vor möglichen Kokain-Fentanyl-Mischungen. „Schon kleine Mengen an Fentanyl können zu Überdosierungen oder Todesfolgen führen.“
Mehr Drugchecking-Angebote gefordert
Der Grünen-Politiker fordert daher, das Drug-Checking-Angebot in Berlin auszubauen. Es war ein langer Weg, um Konsumenten überhaupt die Möglichkeit zu geben, testen zu lassen, was genau in in ihrer Droge vom Schwarzmarkt an Substanzen enthalten ist. Vor allem die CDU hat sich immer schwer getan, diesen Weg in Richtung akzeptierende Drogenarbeit zu gehen.
Vasili Franco, Grüne
Seit fast zwei Jahren ist diese Möglichkeit immerhin an drei Stellen in Berlin möglich. Für Franco reicht das angesichts der anrollenden Fentanyl-Welle nicht aus: „Drug-Checking in Drogenkonsumräumen sollte zum Standard werden“, sagt er. „Damit man das Problem angeht, bevor die Leichen auf der Straße liegen, braucht es eine funktionierende Früherkennung.“
Thomas Luthmann vom Drogen-Notdienst fordert darüber hinaus einen leichteren Zugang zu Naloxon. Das wird als Nasenspray eingesetzt und gilt als sogenannter Opioid-Antagonist. „Mit Hilfe des Sprays kann man die Wirkung des Opioids vorübergehend aufheben, bis eine medizinische Hilfe möglich ist. Dadurch können erwiesenermaßen Todesfälle vermieden werden.“
Im angelsächsischen Bereich sei die Verwendung von Naloxon schon länger Standard. In Deutschland ist das Mittel derzeit noch verschreibungspflichtig. Die Chancen seien aber gut, dass es demnächst der Verschreibungspflicht entnommen werde. „Dann wäre es breiter einsetzbar“, so Luthmann.
Polizeigewerkschaft fordert Naloxon-Sprays
Die Berliner Polizeigewerkschaft GdP fordert eine flächendeckende Ausstattung von Polizisten mit Naloxon-Sprays. „Fentanyl ist eine tödliche Droge, die alles in den Schatten stellt, womit wir es bisher auf unseren Straßen zu tun hatten, und aufgrund der Wirkungsweise oftmals überdosiert wird“, so GdP-Sprecher Benjamin Jendro.
Trotz Warnungen vor einer Fantanyl-Welle sei Berlin auf derart lebensgefährliche Substanzen jedoch nicht vorbereitet. Um Menschenleben zu retten, brauche es neben Schulungen die Naloxon-Sprays. „Sie sind kein Allheilmittel, weil es oftmals zu Mischintoxikationen kommt, versetzen uns aber wenigstens in die Lage, bei reinen Opioid-Überdosierungen reagieren zu können.“
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