Zivilgesellschaftliche Förderung bedroht: Die gekürzte Demokratie
Mobile Beratung gegen rechts oder psychosoziale Hilfe für Geflüchtete sind bedroht. Ein Blick auf den Rückzug des Staates aus dem Demokratieschutz.

Der Aufstieg der extremen Rechten scheint unaufhaltsam. Erstmals lag die AfD in einer Sonntagsfrage auf dem ersten Platz. Politisch scheint der Kampf gegen den Rechtsextremismus in einer Sackgasse zu stecken, rechte Politik wird kopiert, wo es nur geht, während die blauen Balken wachsen. Viele zivilgesellschaftliche Initiativen, die Demokratieschutz betreiben, fürchten um ihre Existenz.
In vielen Bundesländern und Kommunen drohen Haushaltskürzungen, die die Zivilgesellschaft massiv unter Druck setzen. In Sachsen fehlen der schwarz-roten Minderheitsregierung, die gerade um den Doppelhaushalt 2025/26 ringt, wegen gestiegener Kosten 4,3 Milliarden Euro, die die Ministerien einsparen müssen. Der Entwurf des Sozialministeriums sieht unter anderem bei Demokratieprojekten Einsparungen vor.
In NRW sollen nach Protesten gegen Sozialkürzungen nun rund 40 Millionen Euro eingespart werden. Die Förderung der Zivilgesellschaft durch Bundesmittel ist ebenfalls keine sichere Bank. Nach dem Aus der Ampel im November war der Bundeshaushalt für 2025 geplatzt.
Zwar werden vielen Projekten nun Mittel durch die vorläufige Haushaltsführung zugesichert. Wie es mit Schwarz-Rot weitergeht, ist aber unklar. Im Koalitionsvertrag heißt es, man wolle das Programm „Demokratie leben!“, durch das das Bundesfamilienministerium Hunderte Projekte fördert, fortsetzen.
Andrea Walter, die an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW zu zivilgesellschaftlichem Engagement forscht, sagt: „Die Lage ist sehr angespannt. Die Kürzungsszenarien, die zivilgesellschaftlichen Organisationen auf Bundes- und Landesebene drohen, haben eine erschreckende Dimension.“
Dass das nicht nur für die Projekte selbst weitreichende Folgen haben könnte, weiß Michael Nattke, Geschäftsführer vom Kulturbüro Sachsen e. V. Der Verein gehört zu den wenigen mobilen Beratungsstellen in Sachsen, die im ganzen Bundesland aktiv sind, um Menschen beim Kampf gegen Rechtsextremismus zu unterstützen. Dafür nehmen fünf Teams aus Soziologinnen, Jurist:innen, und Historiker:innen weite Wege auf sich, fahren auch in entlegene Dörfer im Bundesland.
Auf Unterstützung von außen angewiesen
Die Beratungsanfragen seien vielfältig, berichtet Nattke. „Das reicht vom Verwaltungsmitarbeiter, der verhindern will, dass Rechtsextreme eine Immobilie im Ort kaufen, über den Kirchenvorstand, der nicht weiß, wie er mit einem AfD-Mitglied in den eigenen Reihen umgehen soll, bis zu Schüler:innen, die Rassismuserfahrungen machen.“
Vielerorts seien die Akteure auf Unterstützung von außen angewiesen. „Die wenigen, die sich im ländlichen Raum in Sachsen gegen die Normalisierung von Rechtsextremismus wehren, werden dem permanenten Druck ohne Unterstützung nicht standhalten können.“
Laut aktuellem Haushaltsentwurf von Schwarz-Rot in Sachsen müssten sie das in Zukunft wohl aber. Dem Kulturbüro Sachsen e.V. würde ein Drittel der staatlichen Fördermittel wegbrechen. Nicht nur ihm. Etlichen Trägern, wie dem „Netzwerk Tolerantes Sachsen“, einem Zusammenschluss von 150 Initiativen, drohen massive Einsparungen.
Nattke sagt: „Die Konsequenz könnte sein, dass wir ein Drittel von Sachsen aufgeben müssen.“ In drei von zehn Orten gäbe es keine Unterstützung mehr für Menschen, die rechtsextreme Strukturen zurückdrängen wollen. Dabei fehle schon jetzt die Kapazität, um den rund 200 jährlichen Anfragen an den Verein gerecht zu werden.
Die Kürzung von Fördermitteln trifft häufig da, wo es für Betroffene besonders weh tut. Rund ein Drittel der Menschen mit Fluchterfahrung brauchen laut bundesweiter Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAFF e. V.) psychologische Unterstützung. Doch nur rund vier Prozent bekommen eine. Diese angespannte Lage droht durch Kürzungen zu eskalieren: Einsparungen auf Bundes- und Landesebene, sowie von Mitteln aus dem Europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfond bringen die Zentren an ihre Grenze.
Im Koalitionsvertrag schreibt Schwarz-Rot lediglich, dass man die psychosozialen Zentren weiterhin unterstützen wolle. In den Koalitionsgesprächen war der Punkt ein Streitthema: Während die Sozialdemokraten für einen Ausbau von Förderung geworben hatten, lehnte die Union das ab.
Dabei sind die psychosozialen Zentren kein Luxusprojekt: „Vielerorts sind sie die einzige Möglichkeit, psychologische Unterstützung für Geflüchtete zu gewährleisten.“, sagt BAFF-Geschäftsleiter Lukas Welz. Erfolge keine zeitnahe Versorgung in den psychosozialen Zentren, könne das in vielen Fällen zur Chronifizierung oder Verschlechterung psychischer Erkrankungen führen. „Dann müssten mehr Menschen stationär behandelt werden und das bedeutet neben vermeidbarem menschlichem Leid auch, dass die Behandlung deutlich teurer wird.“
Längerfristige Förderzeiträume gefordert
Auf Landesebene wird deutlich, welche Folgen das haben kann. In Aachen musste ein Zentrum schließen. Auch in Sachsen bewegt man sich offenbar an der Kapazitätsgrenze, weil die Finanzierung für die nächsten Monate nicht sicher ist. „Kolleg:innen aus Sachsen berichten von verzweifelten Menschen, die weinen, die sich übergeben müssen, die sich in akuten psychischen Krisen befinden, aber weggeschickt werden müssen, weil es keine Kapazitäten gibt.“
Psychosoziale Zentren würden einen wichtigen Beitrag zur offenen und demokratischen Gesellschaft leisten, meint Welz. „Das scheint vielen politischen Verantwortungsträgern egal zu sein.“
Zivilgesellschaftsforscherin Walter sagt: „Wenn Strukturen, die mühsam und über Jahre aufgebaut wurden, einmal weg sind, kommen sie nicht einfach so wieder.“ Deshalb sei es wichtig, über längerfristige Förderzeiträume zu sprechen. So kämpfen viele Initiativen und Projekte mit finanzieller Unsicherheit, auch wenn keine akuten Kürzungen bevorstehen. Förderzeiträume sind oft auf eine Legislaturperiode begrenzt.
Ein Verein in Köln weiß davon zu berichten. Beim Shahrzad e. V, kommen gehörlose und schwerhörige Menschen mit Migrationsgeschichte zusammen. Einmal wöchentlich diskutieren sie aktuelle Nachrichten. Es geht um Fake News, um Israel und die Schuldenbremse. Außerdem werden die Menschen zu Terminen bei Behörden und zum Arzt begleitet und bei der Arbeitssuche unterstützt.
Mitarbeiter Martin Grebenstein sagt: „Fast alle Strukturen in Deutschland sind schlecht aufgestellt, was Intersektionalität betrifft. Geflüchtete Menschen mit Behinderung fallen immer wieder aus dem Raster.“ Die Nachrichtentreffen seien ein wichtiger Ort für die Menschen, die besonders von Isolation und Diskriminierung betroffen seien.
Bisher wird das Projekt durch Gelder vom Bund gefördert, das Programm läuft im Herbst aus. Zudem ist Shahrzad e. V. vom Ende der Förderung durch das Programm „Komm-An“ in Nordrhein-Westfalen betroffen, das die Landesregierung Ende des Jahres hatte auslaufen lassen. Wie es nach dem Herbst weitergeht, sei unklar, meint Grebenstein. „Für die Community gehörloser geflüchteter Menschen in der Region wäre das Ende dieses Projekts ein krasser Einschnitt.“
Der Verlust von sozialen Netzwerken treffe gehörlose Geflüchtete besonders hart. Zudem werde die politische Teilhabe reduziert, wenn keine staatliche Förderung mehr existiere. „Die finanzielle Sicherheit und den politischen Rückhalt, den wir uns wünschen würden, gibt es nicht“, so Grebenstein.
Ohne langfristige und sichere Förderung sei es schwierig, stabile Strukturen aufzubauen. So würden private Spenden auf Dauer wichtiger. Auch, um sich unabhängiger von politischen Mehrheiten zu machen.
„Gesellschaftliche Verantwortung sollte auch von Unternehmen und privaten Spender:innen übernommen werden“, meint Andrea Walter von der Hochschule für Öffentliches Recht und Polizei NRW. „Davon haben die Unternehmen ja auch selbst etwas: Wer zum Demokratieschutz in der Region beiträgt, macht sich für Arbeitnehmer attraktiver.“ Staatliche Förderung könne so trotzdem nicht ersetzt werden.
Massiv unter Druck
Nicht nur finanziell stehen zivilgesellschaftliche Akteure massiv unter Druck. Die Diskussion um staatliche Förderung von Vereinen für Demokratieschutz ist zum Kulturkampf geworden. Von ganz rechts werden Initiativen seit Jahren angefeindet und bedroht.
Eine Strategie der AfD ist, Vereine, die Kritik an der Partei üben, beim Finanzamt anzuzeigen, um für die Aberkennung ihres Gemeinnützigkeitsstatus zu sorgen. Dadurch verlieren Vereine Steuervorteile. Dass das zum Teil funktioniert, liegt am veralteten Gemeinnützigkeitsrecht: Vereine müssen bestimmte Kriterien erfüllen, um als gemeinnützig zu gelten.
Positionieren sie sich aus Sicht des Finanzamts zu politisch, kann eine Aberkennung folgen. Im Koalitionsvertrag kündigen SPD und Union eine Reform des Gesetzes an. Ob die kommen wird, steht in den Sternen – schon die Ampelregierung hatte eine solche versprochen.
Die Angriffe auf die Zivilgesellschaft kommen nicht nur von rechtsaußen. Im letzten Bundestag blockierte die FDP das Demokratiefördergesetz, das für eine stabilere Finanzierung von Projekten sorgen sollte. Die Liberalen argumentierten, dass ein solches besonders linke identitätspolitische Projekte unterstützen würde.
Auch die Union beteiligte sich am Kulturkampf, als sie kurz nach der Bundestagswahl eine kleine Anfrage an die Bundesregierung stellte, in der sie die politische Neutralität von Organisationen infrage stellte, die zum Teil zu Demos gegen eine Zusammenarbeit von Union und AfD aufgerufen hatten.
Expertin Walter meint: „Wir können eine Verschiebung im Diskurs beobachten. Die Wertschätzung für zivilgesellschaftliches Engagement fehlt.“ Mit der kleinen Anfrage habe die Union suggeriert, dass die Zivilgesellschaft Geld bekomme, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. „Dadurch wurde das Vertrauen der zivilgesellschaftlichen Akteure aufs Spiel gesetzt. Das muss jetzt zurückgewonnen werden.“
Zivilgesellschaft ist aber kein Selbstläufer. „Wir müssen verstärkt in diese Strukturen investieren.“ Ansonsten sei denkbar, dass sich immer mehr frustriert zurückziehen würden.
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