Mentale Gesundheit: Chronische Ignoranz
Psychische Erkankungen verursachen immer mehr Fehltage. Kein Wunder, denn die Politik nimmt mentale Gesundheit schon lange nicht ernst genug.

K rankschreibungen wegen Depressionen haben laut der Krankenkasse DAK-Gesundheit im vergangenen Jahr rund 50 Prozent mehr Fehltage verursacht als 2023. Wieso wird zu diesem Thema in der Politik dennoch fast nur geschwiegen?
Während die CDU ein höheres Rentenalter fordert und die Wirtschaftsweisen sich für die Streichung von Feiertagen aussprechen, werden die haarsträubenden Mängel in der Versorgung einfach hingenommen. Wieso fragt sich kaum jemand, ob ein späteres Rentenalter überhaupt nötig wäre, wenn die Menschen schneller gesund würden?
Zu oft müssen psychisch Erkrankte Monate auf einen Therapieplatz warten, weil die Praxen am Limit sind. In dieser Zeit sind sie entweder krankgeschrieben oder nicht voll arbeitsfähig. Wie viele Fehltage würden sich vermeiden lassen, wenn diese Menschen schneller Hilfe erhalten würden? Wenn sie nicht bei etlichen Therapeuten durchklingeln müssten, bis endlich einer sagt: „Wir haben einen Termin für Sie.“
Forscher der Universität Maastricht bestätigten im Jahr 2023, dass es sich negativ auf den Therapieerfolg auswirkt, wenn Betroffene lange auf ihre Behandlung warten müssen. Die aktuelle Situation führt zu einem Lose-Lose: Die Kranken fallen länger aus. Die Arbeitgeber klagen über Fehlzeiten. Die Politik kontert damit, Zeit freizuschaufeln, statt dafür zu sorgen, dass es den Kranken besser geht. Und damit lastet auf den Kranken noch mehr Druck.
Corona hat die psychische Probleme vergrößert
Der Wirtschaft wäre geholfen, wenn die Politik das Thema mentale Gesundheit ernster nehmen würde. Es verschwindet nicht, wenn man es nur lange genug ignoriert. Statt die Leute zu mehr Jahren Arbeit zu drängen, sollten Probleme an den Wurzeln behandelt werden.
Eine Wurzel, die im politischen Diskurs immer wieder untergeht, ist die psychische Verfassung der Bevölkerung, die sich insbesondere nach der Coronapandemie verschlechtert hat. Wenn schon junge Menschen monatelang auf Hilfe warten müssen, braucht sich keiner zu wundern, dass immer öfter Arbeitskräfte fehlen, weil sie psychisch am Ende sind.
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