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Schwarz-Weiß und ohne Melodram

Mit „Im Haus meiner Eltern“ gibt Regisseur Tim Ellrich eine kluge Antwort auf die Frage, wie sich im Kino über die eigene Familie erzählen lässt: mit naturalistischem Dekor, dem richtigen Cast – und in extrem stilisierten Bildern. Das Bremer Filmfest zeigt ihn im Wettbewerb

Die Mutter ist Heilpraktikerin: Ungewöhnliche Perspektiven gehören zu den Stilmitteln des Films Foto: Tim Ellrich

Von Wilfried Hippen

Der Hauptdrehort ist das Haus der Großeltern von Tim Ellrich in Osnabrück. Dort wurde tatsächlich ein schizophrener Onkel des Filmemachers von dessen Familie gepflegt. Und diese Geschichte erzählt Ellrich nun in seinem Film „Im Haus meiner Eltern“ – aus der Perspektive seiner Mutter. Nach der Uraufführung beim Filmfestival Rotterdam, wo er einen Special Jury Award erhielt, ist er nun beim Filmfest Bremen zu sehen, das am Mittwoch mit einer Gala für den britischen Regisseur Stephen Frears beginnt.

„Im Haus meiner Eltern“ ist einer von neun Langfilmen, die im Wettbewerb „Bremen und Umzu“ laufen. Und schon das Casting ist da eine intime Angelegenheit: Schließlich müssen die Schau­spie­le­r*in­nen in diesem Film die realen Eltern und engen Verwandten des Regisseurs verkörpern. Jens Brock, den Darsteller für seinen psychisch kranken Onkel hat Ellrich rauchend auf einer Parkbank in Berlin sitzend entdeckt. Bei den Proben mit dem Laienschauspieler erfuhr er, dass dieser in seinem Leben ebenfalls an psychotischen Schüben gelitten hatte. Konsequenter und raffinierter kann man kaum die eigene Biografie mit der Fiktion eines Kinofilms verschmelzen.

Ellrichs Protagonistin Holle trägt den gleichen Namen wie seine reale Mutter und arbeitet wie diese als Heilpraktikerin. Der Vater, auf beiden Ebenen Dieter, ist Soziologe, und wenn er sich die schwierigen Familienverhältnisse im Haus seiner Schwiegereltern mit einem Zitat von Max Weber vom Leibe halten will, klingt das absolut authentisch – wohl weil Ellrich es so gehört und nicht erfunden hat. Auch weist das Drehbuch keine der üblichen Zuspitzungen und Spannungsbögen auf. Nur die erste Einstellung, in der ein Toter in einem Leichensack aus einer Wohnung getragen wird, nimmt das Ende der Geschichte vorweg, sodass von einem kurzen Epilog abgesehen der streng chronologisch erzählte Rest des Films eine lange Rückblende ist.

Ellrich erzählt davon, wie hilflos diese Familie angesichts der völligen Zurückgezogenheit des psychisch Kranken ist. Dessen schon recht alten Eltern kümmern sich um ihn, doch als die Mutter nach einem Herzanfall ins Krankenhaus muss, beginnt Holle immer mehr die Verantwortung für ihren Bruder zu übernehmen. Und sie droht an dieser Belastung selber auch zu zerbrechen, denn weil der Kranke sich weigert, Medikamente zu nehmen und sich therapieren zu lassen, ist eine Heilung unmöglich und mit der Zeit drücken sich die anderen Familienmitglieder aus der Verantwortung.

Filmfest Bremen, 19.–23. 3. Die Umzu-Wettbewerbsbeiträge laufen vom 21. bis 23. 3. in den Kinos Cinema im Ostertor, City46 und Schauburg

Holle wird nie von Ellrich romantisiert. Stattdessen erzählt er hier sehr nuanciert von einem Menschen, der ihm offensichtlich sehr vertraut ist. Und Jenny Schily spielt sie als eine selbstbestimmt lebende Frau, deren Bedürfnis danach, anderen Menschen zu helfen, als eine große innere Stärke spürbar wird. In einer Parallelhandlung behandelt sie in ihrer Praxis eine krebskranke junge Frau, deren Verzweiflung und Tod sie sichtlich tief erschüttert. Ihr Bruder verweigert dagegen so gut wie jede Hilfe – mehr als Nahrung und einen Platz zum Schlafen nimmt er nicht an. Sein Leben scheint aufs Minimum des Existierens reduziert zu sein. Und so verkörpert Jens Brock ihn auch. Während Ursula Werner und Manfred Zapatka das alte Elternpaar mit der routinierten Virtuosität hochkarätiger Cha­rak­ter­schau­spie­le­r*in­nen verkörpern, ist er nur da. Die wenigen Worte, die er sagt, und seine spärlichen Gesten, wirken gerade darum so authentisch, weil er sie ohne jeden menschlichen Ausdruck ausführt.

Den Darsteller für seinen psychisch kranken Onkel hat Regisseur Ellrich per Zufall entdeckt, als dieser rauchend in Berlin auf einer Parkbank saß

Tim Ellrich zeigt das Leben seiner Familie als Abfolge alltäglicher Situationen: So wird viel eingekauft, gekocht und gegessen. Fast alle entscheidenden Momente des Films geschehen bei gemeinsamen Mahlzeiten. In diesen Sequenzen scheint es, als wäre der Regisseur besonders durch den Originaldrehort inspiriert worden. Die Inszenierung, Darstellung und Ausstattung sind konsequent naturalistisch. Aber umso mehr stilisiert ist die Bildsprache. Ellrich hat in Schwarz/Weiß gedreht. Es gibt kaum Totalen. Viele Einstellungen wurden aus ungewöhnlichen Perspektiven aufgenommen, durch die ein eigenartiger Verfremdungseffekt entsteht, oft dadurch noch intensiviert, dass Sequenzen in Schwarzbildern enden. Auf Filmmusik hat Ellrich ganz verzichtet.

Diese spröde Grundstimmung verhindert gekonnt jede melodramatische Wirkung. Das Publikum soll sich nicht anrühren lassen, es soll verstehen, was passiert. Und so gelingt Ellrich das Kunststück, zugleich sehr intim und mit der angebrachten Distanz von der eigenen Familie zu erzählen.

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