Pride-Verbot in Ungarn: Wenn Sichtbarkeit strafbar wird
Die Orbán-Regierung verbietet den CSD – auch, um Kinder zu „schützen“. Doch eher geht es um Einschüchterung und das Unsichtbarmachen queerer Menschen.

D as ungarische Parlament unter Ministerpräsident Viktor Orbán hat am Dienstagnachmittag den Christopher Street Day (CSD) und andere Pride-Veranstaltungen in Ungarn verboten. Die Begründung für die Änderung des Versammlungsrechtes, man wolle Kinder schützen, ist so alt wie Queerfeindlichkeit selbst. Neu hingegen sind die Methoden, mit denen die Teilnehmer*innen „überführt“ werden sollen. Pride-Paraden sind seit jeher ein Kampf für die politische und gesellschaftliche Anerkennung und Sichtbarkeit queerer Menschen.
Wie jeder Einsatz für Menschenrechte ist die Teilnahme an einem CSD die Entscheidung zwischen der langfristigen Freiheit und der kurzfristigen Sicherheit. Schon die Stonewall Riots – die für die Pride-Märsche namensgebenden Aufstände in der New Yorker Christopher Street – endeten mit den Festnahmen von 13 Aktivist*innen, denen das Ausleben ihrer Wahrheit wichtiger war als ihre körperliche Unversehrtheit.
Festnahmen sind in Ungarn bisher nicht angekündigt, Strafen aber schon. Trotz einer geplanten Geldbuße von umgerechnet rund 500 Euro für Organisator*innen und Teilnehmer*innen postete der links-grüne Bürgermeister Budapests Gergely Karácsony auf Facebook, dass es einen Pride-Marsch geben würde – vielleicht den größten bisher.
Leichter gesagt als getan, denn es droht nicht nur die Geldbuße in Höhe eines durchschnittlichen Monatslohns in Budapest. Die Teilnehmer*innen sollen mithilfe von Gesichtserkennungs-Software festgestellt werden. Einer Zuschreibung des Bilds einer Person mit ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität oder damit, dass sie sich ganz einfach für eine freie Gesellschaft einsetzt, steht dann nichts mehr im Weg.
Keine Anonymität mehr
Eigentlich bieten Großdemonstrationen wie Pride-Märsche eine gewisse Sicherheit – eine Person von vielen zu sein schafft Gemeinschaft wie Anonymität. In Budapest, wo seit 1997 CSDs stattfinden, wird das wohl bald nicht mehr der Fall sein.
Die Begründung, „Schützt doch einer mal die Kinder“, ist nicht neu. Das war sie auch 2023 nicht, als in den USA öffentliche Drag-Shows verboten werden sollten. Oder 2021, als Ungarn den Zugang zu queer-inklusiven Medien für Kinder und Jugendliche verbot. Oder 2020, als der angehende deutsche Kanzler Friedrich Merz auf die Frage zu einem schwulen Bundeskanzler antwortete: „Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft“.
Solidarität wichtig
Kinderschutz als Grundstock für Queerfeindlichkeit überrascht wirklich niemanden mehr – doch dass diese Angstmacherei immer und immer wieder so gut funktioniert, bleibt schockierend. Besonders, da das neue Gesetz die Existenz all jener Kinder negiert, die vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren selbst für ihre Queerness auf die Straße gehen werden.
Wenn sich also laut der Fidesz-Partei Kinder und Jugendliche ganz schrecklich vor queeren Menschen fürchten sollten und sich queere Menschen mehr und mehr vor der Orbán-Regierung fürchten müssen, wer kann dann noch Zuversicht schaffen?
Neben Karácsony protestieren auch oppositionelle Abgeordnete und zündeten während der Abstimmung Rauchbomben im Plenarsaal. Die Veranstalter*innen von Budapest Pride kündigten an, die unter dem Motto „Wir sind (zu Hause)“ geplante Demo stattfinden zu lassen: „Sie haben unzählige Male versucht, unseren Marsch zu verbieten – und sind gescheitert. Sie werden auch jetzt keinen Erfolg haben.“ Dabei ist es im Falle Einzelner natürlich denkbar – ja, auch verständlich –, dass sie ihre Teilnahme am CSD dieses Jahr aussetzen. Umso wichtiger, dass weiter nach Ungarn geschaut und sich solidarisiert wird. Vienna Pride hat bereits eine Solidarisierungsdemo angekündigt.
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