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Schuldenbremse und SondervermögenInvestitionen für die langfristige Verteidigung

Investitionen in Verkehr, Energie und Bildung zahlen sich langfristig aus. Gehen sie allerdings zu Lasten der Schwächeren, gefährden sie unsere Verteidigung.

Illustration: Katja Gendikova

W er bis zu den Wahlen nur den deutschen Wahlkampf beobachtet hat, muss sich ob der Themen der vergangenen Wochen die Augen reiben: Lag bis zum 23. Februar der Fokus noch vor allem auf Migration, so geht es plötzlich um das massive Aufstocken des Kreditspielraums des Staates.

Hieß es über Jahre von bürgerlicher Seite, Mehrausgaben zur Sanierung von Schienen, Brücken und Schulen im Land dürfe man wegen der Schuldenbremse und künftiger Generationen nicht über Kredite finanzieren, so sind schuldenfinanzierte Mehrausgaben plötzlich richtig und unproblematisch und das Grundgesetz kann gar nicht schnell genug dafür geändert werden.

Mehr noch: Neue Kredite soll es plötzlich nicht nur für Infrastrukturinvestitionen geben, sondern vor allem für Verteidigung – nach oben praktisch unbegrenzt. Ebenfalls zum Augenreiben: Die Grünen, die im Wahlkampf noch für mehr kreditfinanzierte Investitionen für Klimaschutz und Schulen eingetreten sind, treten beim angedachten Sondervermögen Infrastruktur plötzlich auf die Bremse und bringen stattdessen eine eigene Variante der Schuldenbremsenreform nur für höhere Verteidigungsausgaben ins Gespräch.

Für viele progressive Menschen ist der Ruf nach mehr Verteidigungsausgaben schwer zu ertragen – liegt doch im Zentrum ihres Wertekanons oft der Glaube an friedliche Konfliktlösungen. Auch ist nicht von der Hand zu weisen, dass Verteidigungsausgaben zwar reale Kosten, aber wenig direkten Nutzen darstellen. Eine Welt, in der alle Länder Geld nicht in die Rüstung, sondern in bessere Bildung, bessere Infrastruktur oder das Erfüllen der direkten Wünsche und Bedürfnisse der Bevölkerung fließen lassen, wäre klar die bessere Welt mit dem höheren Wohlstand.

Bild: Bernd von Jutrczenka/dpa Pool/dpa
Sebastian Dullien

Sebastian Dullienist wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Und dennoch: An der Schlussfolgerung, dass Deutschland mehr Geld für die Verteidigung ausgeben muss, lässt sich nur schwer rütteln. Keine tausend Kilometer östlich von Deutschland schlagen regelmäßig Raketen in ziviler Infrastruktur nieder. Gerade drei Jahre ist es her, dass russische Truppen in den Vororten der ukrainischen Hauptstadt standen und Massaker unter der Zivilbevölkerung anrichteten.

Die alten Regeln sind überholt

Das erste Sondervermögen Bundeswehr, 2022 ins Grundgesetz geschrieben, würde nicht einmal bis zum Ende der neuen Legislaturperiode erlauben, das bisherige Nato-Ziel von Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen.

Es wäre grob fahrlässig, sich darauf zu verlassen, dass der russische Präsident Wladimir Putin seine aktuelle Aufrüstung nur dazu betreibt, um einen Waffenstillstand in der Ukraine zu erreichen und danach friedlich seine Soldaten auf Dauer in die Kasernen zurückzuziehen.

Ebenso fahrlässig wäre es, sich darauf zu verlassen, dass die USA im Krisenfall den EU-Staaten zur Hilfe eilen. Im Gegenteil: Jedem sollte nach sechs Wochen der zweiten Amtszeit von Donald Trump klar sein, dass die jetzige US-Regierung die Europäische Union und ihre Werte eher als Bedrohung denn als Verbündete ansieht.

Das Verteidigungskonzept Deutschlands war bisher darauf gebaut, dass zum einen die USA mit der Nato potenzielle Angreifer abschrecken würden, zum anderen, dass die Feinde so weit von der Landesgrenze entfernt seien, dass eine traditionelle Verteidigung des Staatsgebiets überflüssig sei. Beide Annahmen lassen sich nicht mehr halten. Zwischen Deutschland und einer gefährdeten EU-Außengrenze liegt Polen, aber auch ein Angriff auf die baltischen Staaten würde die EU in ihren Grundfesten erschüttern.

Verteidigung über Jahr vernachlässigt

Gelegentlich wird darauf verwiesen, dass die EU schon heute mehr Geld für Verteidigung ausgäbe als Russland. Das stimmt allerdings nur, wenn man außer Acht lässt, dass die Preisniveaus in den Ländern unterschiedlich sind. Berücksichtigt man dies, so liegen nach aktueller Schätzung die Verteidigungsausgaben der EU hinter jenen von Russland. Hinzu kommt, dass Deutschland über Jahre seine Waffensysteme mindestens ebenso vernachlässigt hat wie die öffentliche Infrastruktur.

In den 2010er Jahren lagen die Rüstungsausgaben nur knapp über einem Prozent des BIP, bei wenig mehr als der Hälfte dessen, was die Nato eigentlich vereinbart hatte. Trotzdem muss man deshalb nicht gleich in ungebremste und unkritische Ausgabefreude verfallen. Verteidigungsausgaben sollten immer an den Anforderungen begründet sein. Es geht um den Aufbau von Verteidigungskapazitäten, etwa einer funktionierenden Luftabwehr oder einer bestimmten Anzahl Panzer. Die Militärausgaben haben effizient zu erfolgen.

2021, dem letzten Jahr vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, gab Frankreich in Euro gerechnet nach Nato-Zahlen etwa 10 Prozent weniger für Verteidigung aus als Deutschland. Trotzdem scheint die französische Armee einsatzfähiger als die deutsche Bundeswehr zu sein. Die Frage der Effizienz ist eng verbunden mit der Frage der europäischen Kooperation. In Europa geht viel Geld verloren, weil jedes Land Waffensysteme in Kleinserie bei heimischen Anbietern produzieren lässt.

Gleichzeitig sind es die EU-Außengrenzen, die in denkbaren Konfliktfällen verteidigt werden müssen. Deshalb sollte jede Rüstungsausgabe im europäischen Kontext gedacht werden und durch Kooperation und gemeinsame Beschaffung möglichst viele Effizienzreserven gehoben werden. Die höheren Verteidigungsausgaben dürfen zudem nicht gegen anstehende Zukunftsinvestitionen ausgespielt werden.

Nicht auf Kosten von Bildung oder Infrastruktur

Gelegentlich hört man, dass Deutschland nun Investitionen zurückstellen müsse, wenn mehr Geld für Verteidigung benötigt würde. So logisch das klingt, so falsch ist diese These: Simulationen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung zeigen, dass ein kreditfinanziertes Investitionsprogramm in Verkehrswege, Energienetze und Bildungsinfrastruktur von 600 Milliarden Euro über zehn Jahre die Wirtschaftsleistung mittel- und langfristig massiv erhöhen würde, weil private Investitionen angeregt und die Produktivität erhöht wird.

Bis 2050 würde dadurch die aggregierte Wirtschaftsleistung um mindestens 2.100 Milliarden Euro steigen. Wenn davon nur knapp die Hälfte zurück an den Staat an Steuern und Abgaben fließt, ist das eine Summe, mit der man sehr viele Waffensysteme beschaffen kann. Weil die kreditfinanzierten Investitionen sich so selbst finanzieren, erhöhen sie die Schuldenquote Deutschlands auch nur vorübergehend.

Wer also wirklich an einer langfristigen Verteidigungsfähigkeit des Landes interessiert ist, darf keinesfalls öffentliche Investitionen für höhere Verteidigungsausgaben zurückstellen. Gefährlich ist deshalb jetzt auch ein Taktieren um mögliche Grundgesetzänderungen, an deren Ende möglicherweise eine massive Ausweitung des Kreditspielraums für Verteidigung, nicht aber für Infrastrukturinvestitionen stehen würde. Das ginge zu Lasten künftiger Generationen.

Außerdem könnte man den Zuspruch in der Bevölkerung für Unterstützung der Ukraine zerstören, wenn der Eindruck entsteht, massive Summen flössen nach Kyjiw, aber für das Flicken der Schuldächer zu Hause sei kein Geld da. Ehrlichkeit ist gefragt.

Man konnte sich zuletzt schwer des Eindrucks erwehren, dass einige der Sondierer von Union und SPD die Schuldenbremse gleich so gestalten wollen, dass nicht nur Geld für Verteidigung und Investitionen da ist, sondern auch noch paar Dutzend Milliarden Neuverschuldung für Lieblingsprojekte wie Mütterrente, Agrardieselsubventionen oder Steuerfreiheit von Überstundenzuschlägen abfallen.

Faire Verteilung der Lasten

Das ist gefährlich, denn auch die Notwendigkeit größerer Verschuldung bedeutet nicht, dass sich der Staat unbegrenzt Geld leihen kann. Schließlich muss jenseits einer Kreditfinanzierung darauf geachtet werden, dass die Lasten höherer Verteidigungsausgaben fair in der Gesellschaft verteilt werden. Für eine Übergangszeit von einigen Jahren lassen sich auch deutlich höhere Rüstungsbeschaffungen kreditfinanzieren, ohne dass es zu Problemen mit der Schuldentragfähigkeit kommt.

Sollte sich herausstellen, dass Deutschland dauerhaft höhere Verteidigungsausgaben braucht, so müssen diese am Ende doch entweder mit Kürzungen an anderer Stelle oder mit höheren Steuern und Abgaben finanziert werden. Hier geht es dann aus progressiver Sicht darum, diese Lasten gerecht zu verteilen. Schon heute kursieren so Vorschläge, zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben den Bundeszuschuss zur Renten- und Krankenversicherung zu kürzen und die Umsatzsteuer zu erhöhen.

Solche Vorschläge sind gefährlich, denn sie belasten überproportional die Schwächeren und die Durchschnittsverdienenden in unserer Gesellschaft. Eine solche ungleiche Lastenverteilung steht ebenfalls einer langfristigen Verteidigungsfähigkeit des Landes entgegen, weil damit populistische Argumente Vorschub bekommen, die Elite wälze die Last einseitig auf die großen Massen ab.

So drängt sich der Verdacht auf, dass zumindest einige der Vertreter solcher Finanzierungsideen den Vorwand höherer Verteidigungsausgaben nutzen, um Einschnitte am Sozialsystem vorzunehmen, die sie ohnehin schon immer durchsetzen wollten. Dem sollte man sich entschieden entgegenstellen. Wenn es Finanzierungsnotwendigkeiten für mehr Verteidigung jenseits des Kreditspielraums gibt, sollte man auch die Reichen im Land in die Pflicht nehmen.

Eine Option wäre die im Grundgesetz vorgesehene Vermögensabgabe, wie sie etwa auch nach dem Zweiten Weltkrieg zur Finanzierung des Lastenausgleichs eingesetzt wurde. Sie könnte einmalig auf große Vermögen erhoben werden und ihre Zahlung – wie auch schon in den 1950ern – über mehrere Jahre gestreckt werden. Höhere Verteidigungsausgaben sind alles andere als schön. Zumindest kann man aber dafür sorgen, dass über sie nicht unsere Gesellschaft weiter gespalten wird. Das ist jetzt die Aufgabe der Stunde.

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9 Kommentare

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  • Es ist interessant die Diskussion um die Verteidigungsausgaben zu verfolgen. Es gibt demnächst 100 neu F35, 1000 neue Leopards, 10000 neue Drohnen, 100000 neue Sturmgewehre. Es gibt aber keinen der freiwillig dieses Land mit der Waffe in der Hand verteidigen will. Es ist wie mit der Ukraine. Von denen die den Krieg verherrlichen, ist keiner an der Front zu sehen.

  • Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, wie schnell in linken und roten Kreisen das Thema Militär, Aufrüstung und Krieg von früherer Ablehnung zu jetziger Forderung nach noch mehr Militär und Pro-Kriegseinsätzen umgekippt ist. Von "Frieden schaffen ohne Waffen" nun zu "Panzer für die Freiheit", die Kurve muss man auch erst mal kriegen.



    Bin gespannt wann rote und grüne die Wehrpflicht wieder einführen, lange wirds wohl nicht dauern.

  • "Gehen sie allerdings zu Lasten der Schwächeren, gefährden sie unsere Verteidigung."

    Wie das unsere Verteidigung gefährdet, interessiert mich wenn wir militärisch angegriffen werden. Was ich für sehr unwahrscheinlich halte - zum Glück. Putin steht nicht schon vor dem Brandburger Tor und ich bin sicher, dass er uns nicht in dieser Form schaden wird.

    Aber wenn unsere Politik zu Lasten der Schwächeren geht, wird es unsere Demokratie (noch weiter) gefährden. Und diese Gefahr ist extrem sicher, gerade bei der uns jetzt drohenden Regierung. Extreme sozioökonomische Ungleichheit ist eine massive Bedrohung der Demokratie, wie man an der Realität sehen kann, und wie es auch Wissenschaftler immer wieder sagen (->Club of Rome zum Beispiel). DAS ist meiner Meinung nach keine Gefahr (->KANN passieren), sondern Realität (->WIRD passieren).

  • "Trotzdem scheint die französische Armee einsatzfähiger als die deutsche Bundeswehr zu sein. Die Frage der Effizienz ist eng verbunden mit der Frage der europäischen Kooperation."

    Nein, die Frage der Effizienz der Bw ist eng verbunden mit strukturellen Problemen, ausser Kontrolle geratener Bürokratie usw. Das hat mit Europa schlicht nichts zu tun, Und ist ein deutsches Problem das aber anscheinend keiner auch nur erwähnen, geschweige denn angehen will. Was die europäische Rüstungskooperation angeht, da kann ich nur auf die enorme Verschwendung gekoppelt mit unglaublichen Entwicklungs- und Lieferzeiten und mit der mangelnden Qualität der Resultate (Kampfhubschrauber Tiger, deutsch-französische Pazernentwicklung usw) hinweisen

  • Danke. Wichtiger Artikel!

    Übrigens, liebe Freunde der Tarnfarbengarderobe, auch wenn eine milliardenschwere Aufrüstung momentan das Gebot der Stunde zu sein scheint, die ist ganz ganz schlecht für's Klima:

    Guckt Du Dich z.B. hier schlau:

    www.ziviler-friede...-klimakiller-krieg

    www.mdr.de/wissen/...raine-gaza100.html

  • Vielen Dank für diesen Artikel! Ich sehe es ebenso, daß Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur Hand in Hand gehen müssen

  • Der ausgewogene und viele Faktoren durchspielende Kommentar, auf den ich gewartet habe!

  • Der Lastenausgleich sollte an reale Steigerungen des jeweiligen Haushaltsvermögens in der Vergangenheit angepasst werden, d.h. die Superreichen sollten mal zur Kasse gebeten werden.

    • @Axel Schäfer:

      "d.h. die Superreichen sollten mal zur Kasse gebeten werden."



      Haben sie das jemals erlebt, bzw. glauben sie, dass sie das jemals noch erleben werden?



      Wenn nein, dann kann man darauf nicht planen.