piwik no script img

Reporter ohne Grenzen über Presseschutz„Viele Jour­na­lis­ten wünschen sich mehr Solidarisierung“

Angriffe auf Jour­na­lis­t:in­nen nehmen auch in Deutschland zu. Wie können sie besser geschützt werden? Ein Gespräch mit Reporter ohne Grenzen.

Graffiti für Pressefreiheit Foto: Bozac/Alamy/mauritius images
Interview von Julia Schöpfer

taz: Frau Weiß und Herr Resch, laut der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) gab es 2024 mindestens 100 Angriffe auf Jour­na­lis­t:in­nen bei Demonstrationen. Mindestens 50 davon bei propalästinensischen und israelfeindlichen Aufzügen in ­Berlin. Gibt es in diesem Kontext mehr Angriffe als in anderen?

Katharina Victoria Weiß: Die dju nutzt eine leicht andere Technik bei der Zählung als wir bei Reporter ohne Grenzen. Aber auch wir beobachten, dass für 2024 Übergriffe rund um Nahost-Demonstrationen die aktuell größte Gruppe darstellen und damit zum ersten Mal seit langer Zeit Übergriffe rund um Rechts-außen-Demonstrationen und Versammlungen abgelöst haben. Es ist allerdings wichtig, zu erwähnen, dass sich die meisten der Fälle, von denen wir bei Reporter ohne Grenzen erfahren haben, auf die Metropolregion Berlin konzentrieren. Hier sind viele Medienschaffende sehr gut mit Pressefreiheitsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen oder der DJU vernetzt. Das heißt, es gibt ein riesengroßes Dunkelfeld.

taz: Wie hoch ist die Gefahr, dass Jour­na­lis­t:in­nen sich wegen dieser Angriffe von bestimmten Themen fernhalten?

Weiß: Gerade 2024 haben wir von Jour­na­lis­t:in­nen verschiedener Medien Alarmsignale gesendet bekommen. Zum einen ist es die Angst vieler professioneller Medienschaffenden, von Demonstrationen zu berichten. Es gibt auch eine kleine Personengruppe von Journalisten sehr spezifischer, teilweise auch umstrittener Medien, die immer wieder angegriffen werden, speziell körperlich auf diesen Demonstrationen. Zusätzlich berichten manche, dass sie innerhalb von Redaktionen fürchten müssen, einer Form von Repressalien ausgesetzt zu sein, die sie bis in die Selbstzensur treibt. Häufig geht es aber auch einfach um sehr aufreibende und ungewöhnlich aufwendige Aushandlungen innerhalb von Redaktionen.

Im Interview: Katharina Viktoria Weiß

Katharina Viktoria Weiß (Schwerpunkt Deutschland) und Christopher Resch (Schwerpunkt Naher und Mittlerer Osten), Pres­se­re­fe­ren­t:in­nen bei Reporter ohne Grenzen.

taz: Wie können sich Jour­na­lis­t:in­nen denn besser selbst schützen?

Weiß: Grundsätzlich ist es so, dass Jour­na­lis­t:in­nen weltweit einem gewissen Berufsrisiko ausgesetzt sind, gerade wenn sie sich mit politischen oder wirtschaftlichen Themen befassen. Die Verantwortung auf die einzelnen Jour­na­lis­t:in­nen umzumünzen, halten wir nicht immer für wahnsinnig sinnvoll. Es gibt mehrere Anbieter von Sicherheitstrainings, oder Begleitschutzorganisationen. In Sachsen zum Beispiel „Between the Lines“, die gerade auch freien Jour­na­lis­t:in­nen bei politischen Versammlungen Geleitschutz geben, was oft deeskalierend wirkt. Wir appellieren allerdings speziell an die Medienhäuser, ihre festen, gerade aber auch ihre freien Medienschaffenden besser zu schützen. Wir appellieren daran, dass alle deutschen Medienhäuser unserem Schutzkodex beitreten und sich damit zu einer Reihe von Versprechen verpflichten, die ihre Mitarbeitenden in Anspruch nehmen können, wenn sie besonderen Bedrohungslagen ausgesetzt sind. Von Schutz auf Demonstrationen bis hin zu Unterstützung beim Wohnungswechsel, falls die Gefährdungslage so groß sein sollte.

taz: Wie können Jour­na­lis­t:in­nen ihren Kol­le­g:in­nen beistehen, wenn sie bedroht werden?

Weiß: Viele Jour­na­lis­t:in­nen wünschen sich, wenn es um Reibereien innerhalb von Redaktionen geht, dass es eine höhere Solidarisierung untereinander gibt. Das bedeutet, wenn zum Beispiel ein großes Boulevardblatt eine Kampagne gegen einen Reporter oder eine Reporterin fährt, dass sich andere Medienschaffende, die grundsätzlich die Recherchen für ethisch und nachvollziehbar halten, hinter diese Kol­le­g:in­nen stellen. Viele Re­por­te­r:in­nen wünschen sich eine bessere Vernetzung und Solidarisierung vor Ort, um körperliche Angriffe abzuwehren. Aber nicht immer steht ein:e an­de­re:r Jour­na­lis­t:in daneben, wenn der Kollege angegriffen wird. Je vereinzelter Re­por­te­r:in­nen berichten, desto stärker werden sie gefährdet.

taz: Was kann die Politik tun, damit Jour­na­lis­t:in­nen in Deutschland besser geschützt werden?

Christopher Resch: Die zukünftige Regierung sollte sich stark für einen besseren Schutz von Jour­na­lis­t:in­nen in Deutschland positionieren. Das fängt bei weichen Faktoren wie dem gesellschaftlichen Klima an. Der Lügenpressevorwurf darf sich nicht noch weiter verbreiten. Wir schlagen vor, dass auch die Polizei dazu verpflichtet wird, Schulungen zu machen. Wir beobachten eine gute Entwicklung.

taz: Wie sieht die Zukunft der deutschen Pressefreiheit angesichts der gehäuften Angriffe aus?

Weiß: Wir prophezeien eigentlich nicht, sondern beobachten, was aktuell geschieht. Allerdings warnen wir vor Tendenzen sowohl in als auch außerhalb Deutschlands. Wir sehen zum Beispiel, dass die USA in eine deutlich pressefeindliche Richtung geht. Eine solche pressefeindliche Rhetorik führt häufig auch zu verstärkten physischen Angriffen, auch digitalen, und schwerer Diffamierungskampagnen gegen Journalist:innen. Es ist jetzt an der Zeit, auf Grundrechte zu pochen und auf die Pressefreiheit. Angriffe auf die Pressefreiheit sind kein Problem von wenigen, sondern Angriffe auf unser aller Recht auf Information.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!