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Fatalismus ist fehl am Platz. Wir brauchen Mut!

Die Menschen auf den deutschlandweiten Demonstrationen machen es vor: Jetzt ist die Zeit, zusammenzukommen, zusammenzuhalten und zusammen zu kämpfen

Foto: Sascha Schlegel

Liebe Leserinnen und Leser,

in ein paar Tagen ist Bundestagswahl. Einige von Ihnen werden bereits per Briefwahl ihre Stimme abgegeben haben. Andere werden es so halten, wie auch ich es bislang noch jedes Mal gehalten habe, und am Sonntag ins Wahllokal gehen. Beim letzten Mal kamen in meinem Wahlkreis Grüne, SPD und Linke zusammen auf 65,5 Prozent der Stimmen. Dieses Mal dürfte es etwas weniger sein. Trotzdem irgendwie schade, dass Berlin-Mitte nicht überall ist. Viele von Ihnen werden wahrscheinlich wie ich mit – vorsichtig formuliert – äußerst gemischten Gefühlen auf den kommenden Wahltag blicken.

Als kleines Kind habe ich die kaum beschreibbare Freude erlebt, die meine sozialdemokratischen Großeltern empfanden, als der Antifaschist und einstige deutsche Flüchtling Willy Brandt gegen alle heftigen Anfeindungen von rechts die Bundestagswahl 1972 mit einem SPD-Rekordergebnis gewinnen konnte. 1998 freute ich mich zusammen mit meiner Mutter, die eine Grünen-Wählerin der ersten Stunde war, dass endlich die bleiernen Jahre Helmut Kohls endeten. Heute bin ich etwa so alt wie meine Großeltern 1972 und wie meine Mutter 1998. Dass es an diesem Wahlsonntag etwas zu feiern geben könnte, dafür fehlt mir leider die Fantasie. Ein Wahlsieger Friedrich Merz und eine enorm erstarkte AfD – das sind keine erbaulichen Aussichten.

„Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit“, sang einst der dissidente DDR-Liedermacher Wolf Biermann. Beim gut besuchten taz talk am vergangenen Montag in der taz-Kantine erinnerte der Linken-Politiker Bodo Ramelow an die Worte Biermanns, die ak­tuel­ler kaum sein könnten. Es ist ja so: Es hilft nicht und macht die Welt nicht besser, in Trübsal zu versinken. Fatalismus ist fehl am Platz. Selbstverständlich war es ein Tabubruch, dass die Union versucht hat, mit Hilfe der FDP, des BSW und der faschistischen AfD ihr „Zustrombegrenzungsgesetz“ (was für ein fürchterliches Wort) durch den Bundestag zu bringen. Damit dokumentierte Merz, wie einsturzgefährdet die im Osten Deutschlands ohnehin schon länger bröckelnde Brandmauer ist. Aber dass die Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik nicht bereit ist, solch verantwortungs- wie geschichtsloses Treiben einfach hinzunehmen, das macht dann eben auch wieder Mut.

Ich selbst war auf der großen Demonstration in Berlin, an der am 2. Februar nach Polizeizählung 160.000, nach Veranstalterangaben 250.000 Menschen teilgenommen haben. Dass eine Woche später auf der Münchner Theresienwiese die Organisatoren sogar 320.00 Menschen gezählt haben wollen und es selbst für die Polizei 250.000 Menschen waren, ist einfach nur noch beeindruckend – es war die größte Demonstration, die die bayerische Landeshauptstadt je erlebt hat. Auch in Hamburg, Köln, Stuttgart und zahlreichen weiteren Städten gab es große Demonstrationen gegen den Rechtsruck. Insgesamt sind seit Anfang Februar weit mehr als eine Million Menschen auf die Straße gegangen. Einen guten Überblick über vergangene und künftige Demos liefert die „demo-karte“ der taz (taz.de/Demo-Karte/!t6064405/). Ich bin mir übrigens sicher: Würde meine Mutter noch leben, wäre sie heute auch eine „Oma gegen rechts“.

Einer der Red­ne­r:in­nen in München war der österreichische taz-Autor Robert Misik. „Die Demokraten, die bunte Zivilgesellschaft, die vielfältigen Milieus heutiger moderner Gesellschaften, wir werden zähen, entschlossenen, auch mutigen Widerstand leisten müssen“, sagte Misik in seiner Rede. „An jeder Stelle. Tag für Tag. Jeder und jede an ihrem Platz.“ Recht hat er. „Wir wollen mehr Demokratie wagen“, sagte Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung 1969. Heute gilt es, mit aller Kraft die Demokratie in Deutschland zu verteidigen. Dazu versucht die taz Tag für Tag ihren Beitrag zu leisten.

Wir sind nicht parteiisch, aber wir ergreifen Partei für all jene, die von der gegenwärtigen Verrohung bedroht sind. Hetze gegen Geflüchtete, gegen Mi­gran­t:in­nen oder Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r:in­nen stellen wir uns publizistisch entgegen. Angesichts der grassierenden Inhumanität ist ein Journalismus mit Haltung unverzichtbar. Und was noch wichtig ist: Wir sind meinungsstark, aber wir akzeptieren nicht, wenn Meinungen oder irgendwelche „Gefühle“ einfach Fakten gleichgestellt werden. Der Journalismus der taz sieht sich einzig und allein der Aufklärung verpflichtet.

Wenn man sich anschaut, wie der größenwahnsinnige Milliardär Elon Musk eine Social-Media-Plattfom wie Twitter zu der unerträglichen Drecksschleuder X umgewandelt hat, dann mag unser Anspruch wie der Kampf Don Quijotes gegen die Windmühlen erscheinen. Aber wir führen unseren Kampf gegen die Desinformation rechter Fake News nicht allein. Wir wissen um unsere vielen Genossinnen und Genossen, die uns dabei helfen. Ohne sie würde es nicht gehen. Die taz-Genossenschaft ist der Garant dafür, dass wir auch weiterhin unseren unabhängigen Journalismus verteidigen können. Egal wie die Bundestagswahl am 23. Februar ausgeht. Und je mehr uns unterstützen, desto besser können wir unsere Aufgabe erfüllen.

Pascal Beucker,

Redakteur im Parlamentsbüro der taz und Mitglied des Vorstands der taz-Genossenschaft

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