: Die Lösung, nicht das Problem
Im Wahlkampf geht es ständig um Abschiebungen und Einreisestopps. Es wird übersehen, wie sehr wir Zuwanderung brauchen, und dass Flucht nur ein kleiner Teil von Migration ist
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Von Defne Arslan undRobert Saar
Begoña de la Marta steht in einer zum Büro umfunktionierten Neuköllner Wohnung und unterstreicht ihre Worte mit den Händen. „Die Leistung von Migranten wird oft nicht gesehen“, sagt sie. Energisch fügt die Spanierin hinzu: „Deswegen betone ich immer, welchen großen Beitrag wir zu Wirtschaft und Gesellschaft leisten.“
De la Marta lebte schon lange in Deutschland, als sie sich das erste Mal als Migrantin begriff. „Nachdem ich Mutter geworden bin, spürte ich auf einmal die ganze Last der Migration“, sagt sie. Als spanische Anwältin mit sehr guten Deutschkenntnissen brachte sie zwar beste Voraussetzungen mit. Doch weil sie Mutterschaft und Beruf unter einen Hut bringen wollte, war das gar nicht so leicht mit dem Job. Auch für sie passende Beratungsangebote fand sie nicht. Also gründete sie kurzerhand selbst, was sie brauchte. Ihr gemeinnütziges Unternehmen Frauenalia berät und unterstützt seit 2016 migrantische Frauen auf Jobsuche und beim Gründen.
Wie schwer der Weg in den Arbeitsmarkt für Migrant:innen sein kann, weiß de la Marta aus eigener Erfahrung. Denn in Deutschland ankommen, das ist nur der erste Schritt. Sogar hochqualifizierte Migrantinnen haben mitunter Schwierigkeiten, beruflich Fuß zu fassen. Das liegt etwa an hohen sprachlichen Anforderungen oder fehlender Anerkennung ausländischer Abschlüsse. De la Marta betont noch einen weiteren Aspekt: „Ich sehe oft Frauen mit großem Potenzial, aber sie haben immer diesen Stempel als Migrantin. Und sie selber denken, dass sie hier nicht viel wert sind oder dass sie mit den Deutschen nicht konkurrieren können.“ Bevor es bei Frauenalia konkret um Bewerbungen oder die Hürden der deutschen Bürokratie geht, ist es darum laut de la Marta wichtig, dass „die Frauen an sich selbst glauben“.
Dabei sind im Land Arbeitskräfte dringend gebraucht. Schon heute sind Hunderttausende Stellen unbesetzt und die große Rentenwelle der berüchtigten Boomer-Generation steht noch bevor. Bis zu fünf Millionen Fachkräfte könnten deshalb bis 2030 fehlen. Noch unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beschloss der Bundestag 2019 das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, die Ampel weitete es 2023 aus. In jenem Jahr kamen lediglich 68.000 Menschen als Arbeitskräfte von außerhalb der EU nach Deutschland – ein Bruchteil dessen, was nötig wäre, um Sozialsysteme, Wirtschaftlichkeit und Arbeitsmarkt stabil zu halten. Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) rechnete schon vor Jahren vor, dass es pro Jahr eine Nettozuwanderung von 400.000 Menschen brauche.
Doch der Ton, mit dem die großen Parteien gerade über Zuwanderung nach Deutschland sprechen, ist rau. Begrenzen, abschieben, Härte zeigen – Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz will gar einen „faktischen Einreisestopp“. Die schrecklichen Anschläge und die Reaktionen darauf fokussieren alle Aufmerksamkeit auf Asyl. Dabei hat Zuwanderung viele Facetten. Flucht ist nur eine, wenn auch besonders prekäre und existenzielle Variante davon. Die sogenannte Erwerbsmigration ist eine weitere.
Das Sozialunternehmen Frauenalia von Begoña de la Marta richtet sich speziell an Frauen und will Netzwerke zwischen ihnen schaffen. Alia – das steht im Lateinischen für Gemeinschaft. Dafür organisieren de la Marta und ihr Team Coachings und Gruppenseminare für ihre Klientinnen. Das gemeinnützige Unternehmen wird gefördert von Land und Bund und hat seit seiner Gründung über 1.300 Frauen beraten. Frauen seien eher auf Unterstützung angewiesen als Männer, da zumeist sie es sind, die die Care-Arbeit leisten, begründet de la Marta den Fokus ihrer Arbeit. Studien hätten die negativen Auswirkungen dieser Doppelbelastung wiederholt nachgewiesen. Immer wieder erlebe sie, wie Frauen wieder Selbstbewusstsein sammelten, nachdem sie im Arbeitsleben Fuß fassten, sagt de la Marta.
Andreas Tölke, Keuzberger Himmel
Selbstwert und Würde durch Arbeit – das ist auch Ziel des Berliner Restaurants Kreuzberger Himmel. Andreas Tölke, der Macher dahinter, schmiss sein Leben 2015 um und richtete es auf die Unterstützung Geflüchteter aus. Tölke wünscht sich eine positive Sicht auf Migration. Er sehe darin eine Lösung – und nicht das Problem, sagt er. Dennoch schließt auch er Abschiebungen nicht aus. „Manche von denen, die hierherkommen, verwirken ihr Recht zu bleiben. Auch das gehört zum Rechtsstaat“, sagt Tölke.
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Trotzdem frustriert ihn, wie stark die Herkunft der Täter im Fokus steht. Man müsse zwischen Arbeitsmigration und Flucht unterscheiden und offensiv vertreten, dass wir auch aus gesellschaftlichem Eigennutz auf Migration angewiesen seien. Dass einige Linke diese Strategie als Verwertungslogik ablehnen, kann er nicht nachvollziehen: „Es müssen Gesellschaften überzeugt werden, nicht Plena.“
Grund zum Verzweifeln sieht Tölke aber nicht. Die AfD sei eine Minderheit in Deutschland. Und er selber glaube an die Kraft von Vielfalt, sagt er. „Es ist genau diese Kraft, die wir dem Destruktiven und Spalterischen der AfD entgegensetzen müssen.“
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