Brief zu Hanau: Viel Solidarität für Emiş Gürbüz
222 Kulturschaffende fordern eine Entschuldigung von der Hanauer Rathaus-Koalition. Diese hatte die Mutter eines der Opfer harsch kritisiert.
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In einem der taz vorliegenden Brief fordern nun 222 Journalist*innen, Autor*innen und Kulturschaffende, darunter die Autorinnen Fatma Aydemir, Shida Bazyar, Dana Vowinckel und Asal Dardan sowie der Autor Max Czollek, eine öffentliche Korrektur der Aussagen sowie eine Entschuldigung bei Emiş Gürbüz und der Initiative „19. Februar“, die zu Wochenbeginn bereits ihre Enttäuschung über die Stadtregierung geäußert hatte.
Der an die Fraktionsvorsitzenden Schwarzenberger (SPD), Pascal Redding (CDU) und Henrik Statz (FDP) persönlich adressierte Brief wirft den Hanauer Politiker*innen vor, dass ihre Worte und Haltung „beschämend, erschütternd und inakzeptabel“ seien. Die Familien der Opfer seien keine Statist*innen, die „ihnen Versöhnlichkeit oder gar eine handzahme PR für Ihre Stadt schulden“, heißt es weiter. Indem die Hanauer Koalition berechtigte Wut und Trauer als Hass diffamiere, demonstriere sie mangelnde Anteilnahme und Anerkennung des unermüdlichen Einsatzes der Hinterbliebenen.
Die Hanauer Rathaus-Koalition hatte in ihrer Mitteilung zudem klargestellt: „Es werde derlei Gedenkveranstaltung in Hanau nicht mehr geben“. Es sei angezeigt, das künftige Gedenken in kleinerem Rahmen durchzuführen. Die 222 Unterzeichner*innen bezeichneten diese „deutlich formulierten Drohungen“ als empörend.
„Autoritäres Staatsverständnis“
Für noch mehr Empörung hatten die Äußerungen der Rathaus-Koalition zur Staatsbürgerschaft von Gürbüz gesorgt: „Warum sie bei einer derartigen Gefühlslage die deutsche Staatsbürgerschaft beantrage, bleibt wohl ihr Geheimnis“, hieß es in deren Mitteilung. Gürbüz und die Initiative 19. Februar kritisierten, dass damit ihr privates Anliegen thematisiert worden sei. Die Politik habe ihre Persönlichkeitsrechte verletzt und zugleich eine von Rassismus betroffene Person exponiert, so auch die 222 Unterzeicher*innen. „Und es ist gefährlich in einer Gesellschaft, in der Ressentiments und Gewalt gegen migrantische Menschen stetig steigen.“
Auch der Republikanische Anwät*innen-Verein (RAV) kritisierte die Rathaus-Koalition in Hanau deutlich: „Es ist Ausdruck eines autoritären Staatsverständnisses, wenn die Koalition in Hanau im Gegenzug zu einem Einbürgerungsantrag offensichtlich bedingungslose Loyalität zu staatlichem Handeln einfordert und dies auch noch öffentlich macht.“ Das sei nicht nur respektlos, sondern auch eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten.
Die Rathaus-Koalition von Hanau hatte Gürbüz darüber hinaus noch vorgeworfen, bei der Premiere des Films „Das Deutsche Volk“ auf der Berlinale gesagt zu haben, dass sie Deutschland, Hanau und den Hanauer Oberbürgermeister hasse. Das wies Gürbüz zurück. Dass eine derartige Aussage nicht gefallen sei, bestätigten auf Nachfrage der taz weitere Premierengäste.
Stadt will Gedenken reduzieren
Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky stellte sich hinter die Aussagen der Koalition, wie die Hessenschau am Montag berichtete, stellte aber klar: Das Gedenken werde fortgesetzt, aber in reduziertem Rahmen. Diese Entscheidung sei keineswegs eine Reaktion auf die Rede von Emiş Gürbüz.
Zudem sei er harte Reden von einigen Angehörigen der Opfer gewohnt und habe dafür auch Verständnis, so Kaminsky. Er lasse sich deshalb auch in einer Art und Weise beschimpfen, die er anderen nicht durchgehen lasse. Frau Gürbüz habe ihn bereits als Nazi bezeichnet. Den vom Stadtsprecher am Wochenende angekündigten juristischen Weg wolle er aber nicht mehr gehen. Er habe die Sache jetzt klargestellt und wolle es dabei belassen. Die Hanauer SPD-Fraktion kündigte am Sonntag an, sich „in den nächsten Tagen“ zur Kritik äußern zu wollen.
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