Krieg in der DR Kongo: Tshisekedi vor den Scherben seiner Amtszeit
Nach den spektakulären Erfolgen der M23-Rebellen droht der Krieg das ganze Land zu erfassen. Kongos Präsident Felix Tshisekedi steht mit dem Rücken zur Wand.
![Präsident Felix Tshisekedi bei der Amtseinführung mit Schärpe auf rotem Teppich Präsident Felix Tshisekedi bei der Amtseinführung mit Schärpe auf rotem Teppich](https://taz.de/picture/7538621/14/37702359-1.jpeg)
Sechs Jahre später führt ebendieser Corneille Nangaa die Rebellenkoalition AFC (Allianz des Kongo-Flusses), deren bewaffneter Arm M23 (Bewegung des 23. März) im Osten der DR Kongo einen Sieg nach dem anderen erzielt. „Unser Ziel ist Kinshasa“, rief er Ende Januar im frisch eroberten Goma und verwies auf seine historische Verantwortung: „Félix Tshisekedi hat die Wahl nie gewonnen. Ich habe das Monster geschaffen, also ist es meine Aufgabe, das Monster zu erledigen.“
Am 27. Januar eroberten die M23-Kämpfer Goma, am 16. Februar Ostkongos zweite große Stadt Bukavu. Noch nie seit Ende der großen Kongokriege 2003 waren Rebellen in der DR Kongo so stark und die internationale Angst vor einem neuen großen Krieg in Afrika so groß. Am Ausgang dieser Konfrontation hängt das Schicksal des halben Kontinents. Kongos Präsident jedoch schweigt.
Zwei afrikanischen Krisengipfeln blieb Tshisekedi fern. Als Goma fiel, weilte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos, der M23-Einmarsch in Bukavu überraschte ihn bei der Münchner Sicherheitskonferenz.
Enttäuschte Hoffnungen
Félix Tshisekedi ist die tragische Figur dieses Krieges, ein schwacher Führer, dem das Land entgleitet. Sein einziges politisches Kapital, als er 2019 unerwartet Präsident wurde, war sein Name. Étienne Tshisekedi, sein Vater, Gründer der Untergrundpartei UDPS (Union für Demokratie und sozialen Fortschritt), war einst Held der Demokratiebewegung gegen die Mobutu-Diktatur in Zaire, wie die DR Kongo bis zu dessen Sturz 1997 hieß.
Doch Mobutus Fall brachte keine Demokratie, sondern die Machtergreifung des Rebellenführers Laurent-Désiré Kabila, auf den später sein Sohn Joseph Kabila folgte. Die UDPS blieb außen vor und fühlte sich betrogen. Étienne Tshisekedi starb hochbetagt und frustriert 2017, Sohn Félix übernahm.
„Fatshi“ wurde der in Brüssel groß gewordene Lebemann nach seinen Initialen genant, rundlich, gemütlich und gesellig – aber kaum geeignet für das Haifischbecken der kongolesischen Politik in Kinshasa, wo Kongos immense Reichtümer und deren Erträge immer neu zwischen einer kleinen Elite aufgeteilt werden.
Als Kongos Opposition einen gemeinsamen Kandidaten für die mehrfach verschobenen Wahlen 2018 suchte, zog Tshisekedi den Kürzeren – und trat prompt alleine an. Das nährte damals schon den Verdacht eines Deals mit Kabila. Und so kam es denn auch. Der gemeinsame Oppositionskandidat Martin Fayulu lag klar vorn, aber Kabila fädelte ein, dass stattdessen Tshisekedi Präsident von seinen Gnaden wurde.
Endlich ein wahrer Sieg
Dass Tshisekedi das mitmachte, haben ihm viele einstige Weggefährten nie verziehen. Für die UDPS aber war der schmutzige Deal ein notwendiges Übel, ihre Machtergreifung ein Akt historischer Gerechtigkeit. Die Partei hatte Großes nachzuholen. Kongos Warlordstaat sollte endlich ein ziviles System werden, das etwas für das Volk tut: kostenlose Grundschulbildung, kostenlose Basisgesundheit, Sozialwohnungen, staatliche Präsenz in allen 145 Distrikten des verelendeten Landes.
Tshisekedi lernte schnell. Im Bergbau und in der Justiz platzierte er Günstlinge. Das Zweckbündnis mit Kabila kündigte er nach zwei Jahren auf. Kabila ging ins Exil. Bei den Wahlen Ende 2023 triumphierte Tshisekedi mit 74 Prozent der Stimmen. Es war endlich sein eigener Sieg, er hatte es geschafft.
Aber den wichtigsten Bereich hatte Tshisekedi nie in den Griff bekommen – das Militär und den Sicherheitsapparat. Kongos mächtigste Generäle verdanken ihre Karriere und ihre teils erheblichen Reichtümer fast alle Joseph Kabila. Mit einem Zivilisten als Staatschef, dem ersten seit den 1960er-Jahren, konnten und wollten sie nichts anfangen. Tshisekedi blieben zwei schlechte Optionen: Sie unangetastet lassen – oder auswechseln und zu Gegnern machen.
Er entschied sich für beides, abwechselnd und auch parallel. In zwei von Gewalt geprägten ostkongolesischen Provinzen verhängte er 2021 das Kriegsrecht, aber zentrale Posten in Kinshasa besetzte er mit Generälen seiner eigenen Baluba-Ethnie ohne Kriegserfahrung, es gab häufige Rotationen. Das Ergebnis: ein dysfunktionaler Militärapparat voller Intrigen, mit vielen kaltgestellten Akteuren, die aber noch erheblichen Einfluss behielten.
Tshisekedi vermutet Rache Kabilas
Das Tshisekedi-Lager ist davon überzeugt, dass der ganze Krieg mit der M23 auf diese Weise entstand. Die von Ruanda unterstützten kongolesischen Tutsi-Rebellen waren nach ihrer ersten Kriegsrunde 2012–13 ins Exil gegangen. Tshisekedi hatte diskrete Gespräche über ihre Rückkehr aufgenommen, und er wollte auch die historischen Spannungen mit Ruanda beenden. Aber noch während der Geheimgespräche in Kinshasa griff ein Kabila-treuer Armeegeneral im November 2021 auf eigene Faust die verbliebenen M23-Basen in Ostkongo an. Der Konflikt flammte neu auf.
War das Kabilas Rache für das Herausdrängen aus der Politik? Mehrfach hat Tshisekedi Joseph Kabila als den Verursacher des M23-Krieges genannt, zuletzt in München. Und es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Kabilas einstiger Wahlkommisisonschef Corneille Nangaa, Architekt des schmutzigen Deals von 2019, eine Woche vor Tshisekedis Wiederwahl im Dezember 2023 in Kenias Hauptstadt Nairobi die Gründung der Rebellenallianz AFC mit der M23 als Kern ausrief.
Im M23-Krieg wurde das Armeechaos offensichtlich. Langsam aber sicher setzten sich die Rebellen durch. Tshisekedi holte Eingreiftruppen aus Burundi und Südafrika ins Land, auch private Militärfirmen aus Rumänien und Bulgarien mit französischen Fremdenlegionären.
Studenten wurden mobilisiert, lokale Milizen unter dem Sammelbegriff „wazalendo“ (Patrioten) als Hilfstruppen der Armee beigestellt, dazu die von Ruandas Völkermordtätern gegründete Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Diese abenteuerliche Koalition hatte kein geeintes Kommando, nur einen gemeinsamen Feind. Aber den gutausgebildeten M23-Kämpfern und den Spezialkräften aus Ruanda an ihrer Spitze hatte sie wenig entgegenzusetzen.
Wichtige Oppostionelle aus Katanga
Viele kongolesische Beobachter erwarten, dass die M23 nach dem Sieg in Ostkongos Kivu-Provinzen nun den Sprung Richtung Katanga wagen will – die ökonomisch wichtigste Region des Landes, mit ihren riesigen Kupfer- und Kobaltminen das Rückgrat der kongolesischen Wirtschaft, und politisch der einzige Landesteil, der 2023 nicht für Tshisekedi stimmte.
Denn aus Katanga stammen sowohl Joseph Kabila als auch Moïse Katumbi, Tshisekedis wichtigster Gegenkandidat bei den Wahlen 2023. Katumbi wurde im Wahlkampf als Handlanger der M23 beschimpft und endete mit verdächtig geringen 18 Prozent. Er hat sich seitdem weitgehend zurückgezogen.
Während Kabila und Katumbi lange Zeit spinnefeind waren – unter Kabila durfte der populäre Fußballmäzen nie zu Wahlen antreten – haben sich jetzt beide gegen Tshisekedi vereint und im Dezember 2024 in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba ein Bündnis geschmiedet. Nun stehen die beiden wichtigsten Politiker Katangas gemeinsam in Opposition zum Präsidenten, beide als Rebellensympathisanten geschmäht.
Im Zentrum ihrer Kritik steht Tshisekedis Projekt einer Verfassungsreform. Im Oktober hatte der Präsident erklärt, Kongos bestehende Verfassung aus dem Jahr 2006, Fundament der Nachkriegsordnung, entspreche nicht mehr den Erfordernissen der Gegenwart und sei zudem von Ausländern geschrieben worden. Was er stattdessen will, hat Tshisekedi nicht präzisiert.In der UDPS kursieren aber Forderungen nach einer dritten Amtszeit für den Präsidenten.
M23 stößt nach Süden vor
Das hat Empörung hervorgerufen, viele Oppositionelle rufen zum Widerstand, zur Verteidigung der Verfassung auf. Sie monieren darüber hinaus zunehmende politische Verfolgung. Viele Reformprojekte aus Tshisekedis ersten Amtsjahren sind versandet, bei der Ankündigung stehengeblieben oder nie über ein paar Pilotptojekte und Regierungsgremien hinausgekommen. Die Rebellenallianz AFC spricht jetzt von ihrem „verfassungsgemäßen Kampf“ gegen „schlechte Regierungsführung, Autoritarismus, Korruption, Tribalismus und den Zugriff einer einzigen Familie auf die Reichtümer des Landes“.
Der Weg nach Katanga wäre für die M23 nicht weit. Die historische Region dieses Namens, die erst 2016 in fünf Provinzen aufgeteilt wurde, beginnt direkt südlich von Süd-Kivu, wo die Rebellen jetzt die Provinzhauptstadt Bukavu erobert haben und weiter nach Süden marschieren. Zuerst kommt Joseph Kabilas Heimatprovinz Tanganyika, wo dessen Bruder Zoe Kabila bis zum Bruch der Allianz mit Tshisekedi 2021 Provinzgouverneur war.
Daran schließt sich Haut-Katanga an, Heimatprovinz des Oppositionellen Katumbi und Herz von Kongos Bergbau. In der Provinzhauptstadt Lubumbashi fielen am Sonntag Nangaa-Sprechchöre bei einem Fußballspiel, diese Woche riefen namhafte katangische Politiker zum Widerstand gegen Tshisekedi auf. Südafrika, das den Präsidenten militärisch unterstützt, hat bereits Truppen nach Lubumbashi entsandt.
Ohne gesichtswahrenden Ausweg
Für einen Abwehrkampf fehlen Tshisekedi Autorität und Legitimität. Viele radikale Oppositionelle wollen Krieg mit Ruanda, einen Bruch mit dem Westen und eine Generalmobilmachung, für sie ist der Präsident lasch und zögerlich. Nach dem Fall Gomas gab es in Kinshasa schwere Unruhen. Nach dem Fall Bukavus haben einige der zuvor mobilisierten „patriotischen“ Milizen in Süd-Kivu begonnen, fliehende Soldaten zu jagen.
Gibt es einen Ausweg? Die großen katholischen und protestantischen Kirchen der DR Kongo haben eine Dialoginitiative gestartet: Hohe Bischöfe aus beiden Kirchen reisten in der vergangenen Woche nach Goma zur M23, nach Ruanda und nach Brüssel. Dort trafen sie am Sonntag Moïse Katumbi und stellten ihren „Sozialpakt für den Frieden“ vor, der Gespräche zwischen Kongos Konfliktparteien als Voraussetzung für eine Befriedung des Landes vorsieht. Sie stießen auf viel Zuspruch.
In Kinshasa könnten die Bischöfe theoretisch bei der Heimkehr verhaftet und wegen Hochverrats zum Tode verurteilt werden. Oder Tshisekedi müsste sich Gesprächen öffnen und sich damit einem möglichen Sturz durch radikale Kriegsbefürworter aussetzen. Nach drei Jahren, in denen seine Regierung die M23 als Terroristen verfemt und jeden Kontakt mit ihnen verboten hat, gibt es für den Präsidenten keinen gesichtswahrenden Ausweg mehr.
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