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Umfragen und WahlergebnisseDie Suche nach dem Wählerwillen

Das Umfrage-Institut YouGov sieht die Linke bei unwahrscheinlichen 9 Prozent. Doch Umfragen beeinflussen die Entscheidungen der Wäh­le­r:in­nen.

Wahlkampfauftakt mit Heid Reichinnek: Der Umfragen-Höhenflug könnte die Linke noch teuer zu stehen kommen Foto: Stefan Boness

Die Linkspartei steht jetzt bei sensationellen 9 Prozent. Zumindest sieht das Umfraginstitut YouGov die Linke in seiner jüngsten Umfrage dort. Demnach hat die durch Spaltung und Selbstzerfleischung gebeutelte Partei ihren Stimmenanteil seit Anfang Januar verdreifacht – was Fragen aufwirft.

Zieht die schon totgesagte Linke am Sonntag tatsächlich locker wieder in den Bundestag ein? Ist dieser Wert nicht extrem und Stimmungsmache? Kurz gesagt: Kann man denen glauben?

Keines der mittlerweile acht Institute, die sich mit der Wäh­le­r:in­nen­stim­mung befassen, versucht genau vorauszusagen, wie die Wahl ausgehen wird. Alle Zahlen sind immer nur eine Annäherung an den Ist-Zustand.

Mal werden dafür Menschen per Telefon, mal im Internet ­befragt. Jedes Vorgehen hat Schwächen, daher veröffentlichen die Institute in der Regel nicht die er­fassten Rohdaten, sondern interpretieren sie, um der ­Wahrheit möglichst nah zu kommen.

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Umfragen können ungeahnte Effekte auslösen

Das beruht auf Erfahrungswerten – etwa dass Stamm­wäh­le­r:in­nen über Jahrzehnte einer Partei treu bleiben. Doch wenn neue Parteien auftauchen, wie diesmal das BSW, fehlt diese Erfahrung. Das erschwert die Interpretation der Zahlen.

Wichtiger aber ist: Selbst wenn es einem Institut gelänge, die Lage bis aufs Zehntel hinter dem Komma zu erfassen, würde das Wahlergebnis davon abweichen. Denn die Stimmung ändert sich bis zuletzt – gerade durch die veröffentlichten Umfragen.

Sie bieten den Wählenden Orientierung, die zu sehr dynamischen Effekten führen kann. Ein Beispiel dafür war die Landtagswahl in Brandenburg im September. Da lag bei allen Instituten die AfD teils bis zu 4 Prozentpunkte vor der SPD.

Drei Tage vor der Wahl aber sah die Forschungsgruppe Wahlen die SPD nur noch einen Punkt hinter den Rechtsextremen. Für viele war das die Motivation, für die SPD zu stimmen, damit die AfD nicht stärkste Kraft werde. Am Ende lag die SPD mit 30,9 Prozent vor den Braunen mit 29,2 Prozent.

Auch gute Zahlen können schaden

Leidtragende war die FDP. Die Kleinpartei wurde von allen Instituten bei 3 Prozent gesehen. Die Botschaft war klar: Die bleiben unter 5 Prozent, eine Stimme für die Liberalen ist verloren, damit kann man Besseres machen, etwa die SPD stärken.

Am Ende plumpste die FDP auf 0,8 Prozent. Deshalb ist es für Lindners Trüppchen wichtig, dass es wenigstens vom konservativen Allensbach-Institut bei 5 Prozent gesehen wird, während alle anderen ihm nur 4 Prozent geben.

Aber auch gute Zahlen können schaden. Der Union könnte es guttun, wenn sie knapper vor der AfD läge. Das würde viele dazu bringen, das Kreuz bei CDU/CSU zu machen, damit die AfD nicht vorne landet.

Möglich auch, dass die 9-Prozent-Prognose von YouGov der Linken schadet. Denn wenn viele den Einzug ins Parlament eh für sicher halten, stimmen am Ende einige doch für Grüne, SPD oder BSW. Vor der letzten Bundestagswahl 2021 lag die Linke bei 6 oder gar 7 Prozent, so wie jetzt bei den ebenfalls am Montag veröffentlichen Zahlen von Insa. Am Wahltag landete sie bei 4,9. Ein Fiasko.

Dieses Jahr könnte die Union verlieren

Am stärksten unterschätzt wurde vor drei Jahren die Union. Sie holte bis 3 Prozentpunkte mehr als in den letzten Umfragen. Diesmal könnte es umgekehrt sein. Denn zuletzt waren CDU/CSU auf einem leicht absteigenden Ast.

Am deutlichsten sichtbar wird das ausgerechnet beim konservativen Allensbach-Institut. In dessen Umfragen hat die Union seit Jahresbeginn 4 Punkte eingebüßt. Und bei der Wahl 2021 lag Allensbach mit seiner letzten Prognose näher als alle anderen am Wahlergebnis.

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16 Kommentare

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  • So sensationell sind die 9% gar nicht, das wird der Anteil der Bevölkerung sein, der sich nicht mehr von anderen Parteien durch das Thema Migration davon ablenken lässt, dass die Ungerechtigkeit/Rechtlosigkeit (bzw genauer das Recht des finanziell Stärkeren) im Lande von genau diesen Parteien immer noch weiter forciert wird. USA lässt grüßen.

  • Schön wäre à la 2013 FDP wie ADis bei ganz knapp unter 5 % ... ok, träumen darf man noch.



    Pragmatiker oder Freunde von Habecks diskursivem Stil werden eher Grün wählen, wer Merz für unwürdig hält, aber mehr in der Mitte bleiben will, geht auf Nummer Scholz. Wer sozial deutlich markieren möchte, wird wohl Linke wählen.



    Wer solide rechts-konservativ auf sauber gegenfinanzierte Staatsfinanzen pocht, kann diesmal wohl keine Partei der rechten Seite wählen: alles schon krass populistisch-unseriös gerade. Was aber dann? Jede und jeder wird bis Sonntag etwas finden.

  • Die durchgängig (zu) guten Linkswerte von YouGov fallen mir auch schon länger auf. Ähnlich die gegenüber allem anderen Instituten hohe Zustimmung fürs BSW. Wer hat die beauftragt?

  • Gut von den jungen Wählern , soziale Gerechtigkeit soll an erster Stelle stehen.

  • "Mal werden dafür Menschen per Telefon, mal im Internet ­befragt.". In einigen Jahrzenhnten durfte ich keine einzige Person kennenlernen, die jemals an solchen Umfargen teilnehmen durfte. Soviel dazu. Noch nie im rivaten Umfeld davon gehört. Wen befragen die? Immer die gleichen 250 Minijobber, die sie selbst bezahlen?

    • @BierzeltLeitkultur:

      Ist jetzt natürlich auch nicht die Schuld der Institute dass du nicht an den Umfragen mitmachst, schwer ist das nicht.

    • Gereon Asmuth , Autor des Artikels, Ressortleiter taz-Regie
      @BierzeltLeitkultur:

      Doch, doch, das ist schon real. Bei geschätzt 60 Millionen Wahlberechtigten und rund 2000 Befragten pro Umfrage kommt jeder im Schnitt bei jeder 30.000. Umfrage dran - also auch wenn es mittlerweile viele Umfragen ist, ist das immer noch sehr, sehr selten. Dennoch wurde ich zB. schon mindestens zweimal in meinem Leben angerufen.

  • „Und bei der Wahl 2021 lag Allensbach mit seiner letzten Prognose näher als alle anderen am Wahlergebnis." Dann wird es die FDP schaffen.



    --



    „Auch gute Zahlen können schaden"



    (Gute) Videos auch? Wer mag, kann Bodo Ramelow bei TikTok suchen. Ich verlinke nicht. „Mahnah Mahnah" 😎

  • Ich traue keiner einzigen Umfrage, ich traue nur dem amtlichen Wahlergebnis. Und dies war fast immer auffällig anders. Lustig finde ich es, dass sie dann schon 1 Stunde später uns klarmachen wollen, warum es ganz anders kam.



    Geradezu unseriös bis empörend finde ich es, dass bestimmte Institute ihre Präferenzen in die Umfrage rein manipulieren. Forsa und Allensbach sind da zwei so Fake-Vorhersage-Kandidaten. Yougov lässt lieber links/grün aufleben. Warum eigentlich, ihr blamiert euch doch jedes mal aufs Neue, z.B. am Sonntag wieder.



    Diese Umfrageinstitute sind Wetterfrösche, sie ahnen zwar das Wetter, aber mit Sicherheit sagen können sie es nicht. Also brauche ich sie nicht, habe eh schon gewählt.

  • Wer Union wählt, kriegt ggf eine Koalition aus Union und AfD.

    Wer eine möglichst "solidarische" Regierung haben will (wobei SPD und Grüne mittlerweile auch nicht mehr solidarisch sind, siehe GEAS und die populistisch-grausam-nutzlose Asylpolitik), muss die Linke wählen, damit Merz nur eine Mehrheit mit SPD und Grünen zusammen bekommt und diese nicht gegeneinander ausspielen kann. ;-)

    • @naja123:

      Wenn SPD und Grüne sogar beide einspringen müssten, mit jeweils eher geringen Mandatszahlen, wer macht dann die Mitte-Links-Opposition gegen den Unfug, den Merz/Linnemann allen Ernstes gerade ankündigen?



      Gleich beide Mitte-Links-Parteien wären dann eingebunden und also teilneutralisiert. Das kann ich mir gerade _nicht wünschen.

    • @naja123:

      Interessant, aber Sie setzen schon auch voraus, dass jemand von der _SPD zur Linken wechselt, und auch, dass nicht doch Lindners Laffen hineinkommen, die sonst herbeizuziehen wären.

  • Ich denke, dass die positiven Prognosen der Linken eher nützen. Sie ist einfach eine gute Wahlmöglichkeit, für alle, denen die Grünen zu sehr mittig geworden sind und denen die SPD die sozialen Themen zu wenig besetzt hat.



    Interessant finde ich, dass in der rechtsliberalen Bubble die 5% von Allensbach für die FDP bejubelt wurden und dort offensichtlich wieder das "please stärke die FDP" von Döpfner als Motto hochkocht. Jedenfalls wird da von einer "Deutschlandkoalition" geträumt, in der sich die 5% - Partei mit ihren neoliberalen Ansichten dann durchsetzt, und Christian Lindner bleiben kann. Deren Sorge ist nämlich, dass die SPD praktisch Merz ihre Wunschministerien und -vorstellungen diktieren kann, weil Söder ja nun Schwarz-Grün verhindern will. Wenn jedoch die FDP draußen bleibt, wäre das gut. Dann kann sie nicht noch mehr Schaden anrichten.

  • Angeblich sei es so, dass Wettbüros in den letzten Jahren die verlässlichsten Ergebnisse lieferten. Was sagen die eigentlich zur Wahl?



    Das Problem ist jedoch komplex, denn die Entscheidung hängt auch mit möglichen Koalitionen zusammen. Die Wähler bevorzugen bestimmte Konstellationen, können jeweils aber nur für einen Koalitionspartner ihre Stimme abgeben. Das kann z. B. dazu führen, dass man eher für den kleineren als für den größeren möglichen Partner stimmt. Aktuell bezieht die Linke ihre Stärke wohl aus dem geschickt geführten Wahlkampf, einer Heldinnengeschichte (Reichinnek) und der Tatsache, dass die Linke Themen besetzt, die ursprünglich zentrale SPD-Themen waren (Mieten und soziale Gerechtigkeit) und die für 50% der WählerInnen sehr wichtig sind. Da beim BSW der Personenkult schon im Namen steckt, kommt es bei vielen weniger gut an und das Risiko, dass die Stimmen für das BSW wegen der 5%-Hürde verloren gehen, bringt WählerInnen zur Linken zurück, die mit Reichinnek, Ramelow & Gysi ein ganz passables Führungsteam haben.

  • Meiner Ansicht nach sollten spätestens vier Wochen vor einer Wahl keine Umfragen mehr veröffentlicht werden, um genau diese Effekte zu verhindern.

  • Guter Artikel, weil so im Groben habe ich mir auch schon gedacht, dass so manche Umfragen (sowie das mediale Echo dazu) so manche Partei groß oder klein reden und dann immer dieses "taktische Wählen" dazu kommt. Da wäre mir ein Wählen nach Überzeugung irgendwie ehrlicher und dann ist das auch in den Parlamenten so sichtbarer, wie die Leute drauf sind. Also die, die wählen dürfen, es auch auch gemacht haben und dann auch noch gültige Stimmen abgegeben haben 😅