Demos gegen Merz und AfD: Bewegung auf der Straße
Nach Merz’ Tabubruch weitet sich eine bundesweite Protestwelle aus. Auch dem Antrag auf Prüfung eines AfD-Verbots könnte das neuen Schwung verleihen.
Die Parteizentrale der CDU ist an diesem Abend abgeschottet. Die Polizei droht, einen Teil der Kreuzung zu räumen, und hat das Adenauer-Haus weiträumig abgesperrt. Hinter Absperrgittern bellen Schäferhunde, an den Laternen zwischen Kundgebung und Parteizentrale hängen AfD-Plakate. „Alle zusammen gegen den Faschismus“, rufen die Menschen lautstark. Zwei Stunden verharren die meisten hier und schwören, am nächsten Abend zurückzukehren. Selber Ort, selbe Zeit.
Die Zusammenarbeit der Union mit der AfD im Bundestag löst Schockwellen aus: Über 90 Kundgebungen sind laut der Klima-Aktivistin Luisa Neubauer und dem Geschäftsführer der Kampagnenplattform Campact, Christoph Bautz, allein für Donnerstag und Freitag geplant, ebenso viele am Wochenende – viele davon vor CDU-Zentralen und Büros, auf kleinen und großen Marktplätzen. Einen genauen Überblick über die Demos gibt es noch nicht, aber man plant, die Proteste auf einer Website zusammenzufassen.
Eine der größten Demos dürfte am Sonntag in Berlin stattfinden: Ein breites Bündnis plant ab 15.30 Uhr auf der Reichstagswiese eine Kundgebung und will unter dem Motto „Wir sind die Brandmauer“ zum Konrad-Adenauer-Haus ziehen. Für Christoph Bautz ist klar: „Die Antwort auf diesen Tabubruch kann nur ein Aufstand der Anständigen sein.“ Man rechne mit Zehntausenden Menschen. Luisa Neubauer von Fridays for Future sagt: „Merz ist ein Sicherheitsrisiko für unsere Demokratie geworden. Demokratie hat man nicht, sondern lebt man.“ Deswegen sei es wichtig, gemeinsam mit Kirchen, Gewerkschaften und sich zur Demokratie bekennenden Parteien in einem breiten Bündnis die Brandmauer wieder hochzuziehen und zu schützen.
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Mehrere Unions-Abgeordnete wohl nun doch für Verbot
Katja Karger vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) kündigt an, man werde „für eine verantwortungsvolle und menschenwürdige Asylpolitik, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit“ auf die Straße gehen, gemeinsam mit 70 weiteren Organisationen. Karger fordert auch ein Bekenntnis zu Verfassung und Rechtsstaat von den Arbeitgeberverbänden: „Wer sich von Stimmen der AfD abhängig macht, verlässt eindeutig die demokratische Mitte dieses Landes.“
Unterdessen gibt es auch im Parlament Bewegung: Am Donnerstagvormittag warben die Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz (CDU), Carmen Wegge (SPD), Till Steffen (Grüne), Martina Renner (Linke) und Stefan Seidler (SSW) um Unterstützung ihres überfraktionellen Antrags auf Prüfung des AfD-Verbots durch das Bundesverfassungsgericht. Der von zunächst 124 Abgeordneten eingebrachte Antrag sollte ab 17.30 Uhr debattiert werden. „Viele Menschen haben große Sorge um unsere Demokratie, wir haben es mit einer wirkmächtigen, gruseligen Partei zu tun, die leider von Wahlsieg zu Wahlsieg eilt und die politische Kultur und die Herzen und Köpfe der Menschen im Land vergiftet“, sagte Wanderwitz. Er selbst blieb der Abstimmung fern und wollte keine Einschätzung zum Tabubruch abgeben, sagte aber, dass mehrere Unions-Abgeordnete nun doch den Verbotsantrag unterstützen wollen.
Ebenso gebe es Bewegung in der SPD-Fraktion und bei den Grünen, wie die Abgeordneten mitteilten. Eine Mehrheit war dennoch nicht absehbar, weswegen man den Antrag zunächst in den Innenausschuss überweisen wolle.
Sollte durch die Diskussionen über Merz’ Brandmauerabriss eine Mehrheit entstehen, wolle man ihn im Februar erneut zur Abstimmung vorlegen. Doch es jetzt zu versuchen, sei man den vielen Menschen und bedrohten Minderheiten schuldig, bei denen die AfD im Wahlkampf etwa Abschiebetickets in die Briefkästen geworfen habe, sagt die Sozialdemokratin Wegge: „Sollte es in dieser Legislatur nicht klappen, dann in der nächsten.“ Der Grünenpolitiker Till Steffen sagt, er halte bereits jetzt „die Beweislage für erdrückend“, die AfD habe sich für einen verfassungsfeindlichen Radikalisierungskurs entschieden, die demokratischen Fraktionen müssten nun wieder zusammenfinden.
Großes neues Gutachten zur AfD geplant
Linken-Politikerin Martina Renner, die wie Wanderwitz nicht wieder für den Bundestag antritt, betont: „Geschichte wiederholt sich nicht, weil man Fehler nicht zweimal machen muss.“ Deswegen hätten Mütter und Väter des Grundgesetzes das Instrument des Parteiverbots ins Grundgesetz geschrieben. In einem solchen historischen Moment beim Erstarken einer faschistischen Partei müsse die Tür nach Karlsruhe geöffnet werden.
Für den Fall, dass der Antrag wie erwartet in dieser Legislatur noch keine Mehrheit findet, haben andere vorgebaut. Ein zivilgesellschaftliches Bündnis bestehend aus der Gesellschaft für Freiheitsrechte, FragDenStaat, Innit, dem Republikanischen Anwält*innenverein, dem postmigrantischen Jurist*innen-Bund, dem Blog Volksverpetzer und Campact hat ein 800.000-Euro-Projekt angekündigt. Es soll ein Gutachten zur Verfassungsfeindlichkeit der AfD erstellen. Es soll im Gegensatz zur Verfassungsschutzeinstufung transparent erarbeitet werden, um den offenen gesellschaftlichen Diskurs zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren mit juristischen Fakten zu untermauern.
Der Jurist Bijan Moini sagt, dass die Unsicherheit ein Grund für das Scheitern des Antrags im Bundestag sei. Die wolle man ausräumen, indem man ein Jahr lang mit einem Team von 4 Jurist*innen und 2 Rechtsextremismusexpert*innen sowie einer Person für Dokumentation die Verfassungswidrigkeit der AfD ergebnisoffen anhand der Kriterien des Bundesverfassungsgerichts prüfe. Am Ende soll ein wissenschaftlich fundiertes umfangreiches Gutachten stehen, das der Komplexität der AfD und ihrer Strategie gerecht werde. „Das Gutachten soll die Frage der Verfassungswidrigkeit für viele Menschen klären und eine wichtige Lücke in der Debatte schließen“, sagte Moini. Bisherige Gutachten seien nicht breit genug, weil der Untersuchungsgegenstand so groß und kompliziert sei.
Moini rechnet am Ende mit einem mehrere Hundert Seiten umfassenden Gutachten mit noch größerem Anhang. Für die Debatte danach solle kein Weg mehr an diesem zivilgesellschaftlich und transparent erarbeiteten Gutachten vorbeiführen.
Pöbeleien aus der AfD-Fraktion
Am Abend schließlich Verwies der Bundestag den Antrag auf Prüfung des AfD-Verbots in den Innenausschuss. Zuvor gab es eine längere kontroverse Debatte, die auch durch anhaltende Pöbeleien aus Reihen der AfD-Fraktion geprägt war. Brandner bekam einen Ordnungsruf, weil er einen SPD-Abgeordneten als einen „Sozialfaschisten“ beschimpfte.
Zuvor hatte er bereits in der gewohnten Opferrolle Deutschland mit einer Diktatur und einem Polizeistaat verglichen, in dem die Opposition verboten werde – gleichwohl das Verbot rechtsstaatlich vom Bundesverfassungsgericht überprüft würde. Die Initiatoren beschimpfte er als „abgehobene Clique von Politfunktionären“ und „Hofschranzen“, Brandner rief martialisch: „Sie wollen uns vernichten und Blut sehen!“
Der Christdemokrat Wanderwitz hatte treffend gesagt, man könne allein an den Zwischenrufen den destruktiven Charakter dieser Partei sehen. Um „irreparable Schäden an der Substand unseres Landes“ abzuwenden, brauche es den Antrag. Er zitierte den Holocaust-Überlebenden Leon Weintraub, der 99-jährigen beim 80-jährigen Jahrestag der Befreiung von Auschwitz gesagt hat: „Nehmt die Feinde der Demokratie ernst!“
Auch die Sozialdemokratin Wegge verwies darauf, dass sich die Losung „Nie wieder“ mittlerweile leider zu „Nie wieder ist jetzt“ weiterentwickelt habe. Man müsse die Angst der Menschen vor der AfD ernst nehmen und deswegen sei die Prüfung der AfD durch das Bundesverfassungsgericht angezeigt: „Inzwischen sitzen meine Freunde am Küchentisch und reden nicht mehr nur im Scherz darüber, wohin wir eigentlich flüchten müssen, wenn die AfD an der Macht ist.“ Die AfD-Fraktion reagierte mit höhnischem Gelächter.
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