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„Die Menopause wird zu sehr problematisiert“

Die Union will die Versorgung von Frauen in den Wechseljahren ausbauen. Scharfe Kritik am Antrag kommt von Iris Hahn vom Arbeitskreis Frauengesundheit. Sie warnt vor Gefälligkeiten für die Pharmaindustrie

So groß ist der Handlungs­bedarf: Laut einer aktuellen Umfrage bewertet mehr als die Hälfte der befragten Frauen die Aufklärung über Wechseljahre als schlecht oder sehr schlecht Foto: plainpicture

Interview Patricia Hecht

taz: Frau Hahn, die Union hat kürzlich einstimmig einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der eine nationale Menopausenstrategie fordert. Nächste Legislatur könnte der eine Rolle spielen. Sie kritisieren den Antrag. Warum?

Iris Hahn: Das geht schon damit los, dass die Quellenlage zur Begründung des Antrags zum Teil hanebüchen ist. Informationen stammen etwa von der Bayer AG, also der Pharmaindustrie.

taz: Die Bayer AG wird an einer Stelle zitiert: damit, dass Frauen erleben, dass ihre Symptome heruntergespielt oder falsch zugeordnet werden. Das ist falsch?

Hahn: Bei einem Antrag im Parlament erwarten wir wissenschaftliche, unabhängige Quellen. Die Bayer AG stellt Hormone her. Sie hat ein Interesse an solchen Aussagen. Es gibt weitere zitierte Studien, darunter die von Andrea Rumler von der Hochschule für Recht und Wirtschaft in Berlin. Wenn man nachschaut, auf wen sich Rumler bezieht und wer sie unterstützt, kommen wir wieder auf die Pharmaindustrie, auf Nahrungsergänzungsmittel und eine Plattform, die zur Menopause coacht. Dahinter stehen also Menschen, die gern Geld mit der Menopause verdienen wollen.

taz: Ist das Studiendesign unsauber?

Hahn: Es entspricht nicht dem, was man sich für eine Studie wünscht. Das Ganze wird als „Datenerhebung“ gelabelt, bekommt im parlamentarischen Antrag aber ein Gewicht, als sei es eine repräsentative Studie. Um Teilnehmerinnen zu finden, wurden zum Beispiel Aushänge in Arztpraxen gemacht und Aufrufe über Social Media. Darauf antworten natürlich die, die mehr Beschwerden haben. Das begünstigt eine Schieflage.

taz: Bezweifeln Sie, dass Frauen unter Symptomen der Menopause leiden?

Hahn: Mir gefällt das Frauenbild nicht: Frauen sind Opfer ihrer Hormone, hilfsbedürftig und schwach. Als ob nur Hormongabe ihnen helfen könnte.

taz: Wo im Antrag lesen Sie das?

Hahn: Es wird nicht explizit gesagt, aber implizit transportiert. Transportiert wird auch, dass die Industrie den Frauen dann in Form von Hormonen hilft. Die Union benutzt in diesem Antrag das Thema Wechseljahre, um vorzugeben, sie täte etwas für Frauen. Der Antrag ist so formuliert, dass sich alle etwas Sinnvolles rauspicken können: Frauen, denen es besser gehen soll, die Forschung, die intensiviert werden soll, Ärztinnen, die mehr Geld mit der Beratung zu Wechseljahren verdienen sollen.

taz: Ärztinnen bekommen für eine Beratung zur Menopause derzeit rund 17 Euro, also sehr wenig. Die Forderungen sind doch sinnvoll.

Hahn: Mehr Geld für Beratung ist sicher notwendig. Aber nehmen Sie zum Beispiel die Forderung, dass Arbeitsplätze für Frauen in der Menopause angepasst werden sollen. Damit wird unterstellt, dass alle Frauen leiden.

taz: Die Rede ist von „vielen“ Frauen, nicht von allen. Noch mal: Bezweifeln Sie, dass Frauen unter Wechseljahressymptomen leiden?

Hahn: Es gibt Frauen, die darunter leiden. Etwa ein Drittel leidet stark, vor allem unter Hitzewallungen. Die behandeln wir fachgerecht und evidenzbasiert. Ein weiteres Drittel leidet etwas, kommt aber ganz gut zurecht. Und das letzte Drittel kommt durch die Wechseljahre, ohne große Probleme zu haben.

taz: Wäre der Antrag dann nicht für zwei Drittel der Frauen sinnvoll?

Hahn: Wir wenden uns dagegen, Frauen als Opfer ihrer Hormone darzustellen. Wenn Frauen in die Wechseljahre kommen, sind sie in der Mitte ihres Lebens. Um die 50 sind sie oft in einer Art Sandwichposition: Sie versorgen ihre pubertierenden Kinder, gleichzeitig müssen schon die Eltern gepflegt werden. Diese Carearbeit hängt an Frauen viel mehr als an Männern. Deswegen sind Frauen grundsätzlich mehr belastet, und da müsste politisch etwas getan werden. Auf diese soziale Situation geht der Antrag viel zu wenig ein.

taz: Deshalb können Frauen doch trotzdem unter Wechseljahressymptomen leiden.

Hahn: Die Symptome sind leider oft nicht gut auseinanderzuhalten. Vielleicht leidet die Frau gar nicht unter der Hormonumstellung, sondern unter dem Älterwerden. Die Bayer AG zum Beispiel schreibt von Gehirnnebel. Klar, wenn man älter wird und Stress im Leben hat, ist man auch mal überfordert und kann sich nicht konzentrieren. Das muss aber nicht mit Hormonen zusammen hängen. Beschwerden, die in der Studie von Andrea Rumler genannt werden, sind zum Beispiel Gelenkbeschwerden oder Migräne. Beides kommt bei Männern aber genauso vor – oder auch bei Frauen, die noch gar nicht in den Wechseljahren sind. Dazu gibt es eine gute Studie von Kerstin Weidner.

taz: Solche Symptome können keine Wechseljahressymptome sein?

Hahn: Sie haben jedenfalls wenig mit Hormonumstellungen zu tun. Konkrete hormonbedingte Symptome in den Wechseljahren sind Hitzewallungen und Scheidentrockenheit.

taz: Was ist mit Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen, Stimmungsschwankungen?

Hahn: Schlafstörungen können auch auf ein stressiges Leben zurückzuführen sein, Müdigkeit auf zu wenig Schlaf. Wenn Sie gegen Gelenkschmerzen Hormone nehmen, würde das kurzfristig helfen, weil Hormone für mehr Gelenkschmiere sorgen. Aber langfristig nicht. Unserer Einschätzung nach ist es besser, die Gelenke zu bewegen, zum Beispiel durch Fahrradfahren. Sofern Entzündungen da sind, braucht es antientzündliche Mittel. Auch gegen Migräne gibt es zielgerichtete Medikamente.

taz: Sie kritisieren letztlich also eine unkritische Gabe von Hormonen?

Hahn: Ja. Denn wer über einen längeren Zeitraum postmenopausal Hormone nimmt, muss mit bestimmten Risiken rechnen. Das Brustkrebsrisiko steigt zum Beispiel. Ja, es gibt unter niedriger Dosierung weniger Risiken. Aber der aktuelle Diskurs transportiert, dass es ein Zeitfenster gäbe, in dem Hormone keinen Schaden anrichten. Das ist schlicht nicht bewiesen.

taz: Es bräuchte also mehr Forschung – auch das fordert der Antrag.

Hahn: Tatsächlich ist die Gabe von Hormonen nicht genügend erforscht. Ja, es braucht Forschung – aber unabhängige. Keine, die von der Industrie finanziert wird.

taz: Im derzeitigen Diskurs geht es um bioidentische Hormone – also um andere als vor 20 Jahren, an denen es berechtigte Kritik gab.

Hahn: Das Ausmaß der Risiken durch bioidentische Hormone ist noch nicht gut untersucht. Sie werden zwar in vielen Zeitschriften propagiert, zum Beispiel dem Frauenarzt, der kostenlosen Zeitschrift des Berufsverbands der Frauenärzte, die auch von den Pharmafirmen unterstützt wird. Zum Teil wird kein Wort über Risiken verloren. Das ist nicht seriös. Es gibt hingegen gute Informationen zum Beispiel vom IQWiG, dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Die informieren neutral. Und es gibt eine S3-Leitlinie, die klar sagt, wofür es Evidenz gibt. An die kann man sich halten. Frauen sollten nicht generell pathologisiert oder medikalisiert werden.

taz: Das sehen Sie derzeit?

Hahn: Wir haben den Eindruck, dass eine gewisse Allianz entstanden ist: zwischen der Wirtschaft, die verdienen will – und Frauen, die gut ausgebildet, meist gut situiert und kaufkräftig sind. Die befinden sich jetzt in den Wechseljahren und fordern, dass man da mehr tun muss.

taz: Eine populäre Stimme, die sich für die Gabe von bioidentischen Hormonen starkmacht, ist die Gynäkologin und Autorin Sheila de Liz. Sie zitiert rund 60 Studien in ihren Endnoten.

Foto: privat

Iris Hahn, Jahrgang 1959, ist Fachärztin für Gynäkologie und Mitglied im Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft (AKF) e. V., für dessen Frauenärztinnen sie spricht.

Hahn: Darunter sind ungeeignete Studien, unter anderem an Ratten und Mäusen, was sie zum Teil selbst sagt. De Liz’Aussagen sind vielfach nicht evidenzbasiert. Trotzdem sind die Patientinnen begeistert. Bücher wie dieses führen letztlich zu einer Überaufmerksamkeit für das Thema Wechseljahre. Das wiederum führt dazu, dass sich Frauen noch schlechter fühlen. Wieso muss man schon so früh, ab Mitte 30, wenn viele noch ans Kinderkriegen denken, schon über Wechseljahresprobleme aufgeklärt werden? Das macht Frauen nicht gesünder.

taz: Das ist doch ein fragwürdiges Frauenbild: Frauen müssen Informationen vorenthalten werden, weil sie nicht in der Lage seien, damit umzugehen? Es ist doch begrüßenswert, wenn Frauen wissen, was potenziell auf sie zukommt.

Hahn: Wir Frauenärztinnen im Arbeitskreis Frauengesundheit wollen niemandem Informationen vorenthalten. Wir finden aber, dass die Menopause zu sehr problematisiert wird. Es gibt viele Dinge in Frauenleben, die verbessert werden sollten: dass sie immer noch weniger verdienen, dass die Carearbeit an ihnen hängen bleibt. Dagegen muss man wirklich etwas tun.

taz: Die Wechseljahre sind kein Problem?

Hahn: Es schadet, wenn man sagt: Wechseljahre machen viele Probleme und ihr müsst euch darauf vorbereiten. Ärz­t*in­nen haben großen Einfluss auf ihre Patientinnen. Je nachdem, wie sie etwas formulieren, wird das individuelle Erleben der Frau verändert. Selbst gebildete Frauen können verführbar oder schlecht informiert sein. Wir wollen Frauen in den Wechseljahren unterstützen. Aber es muss nicht immer gleich Hormontherapie sein.

taz: Was dann?

Hahn: Es gibt pflanzliche Präparate oder kognitive Verhaltenstherapie, mit der man lernt, besser mit den Beschwerden umzugehen – dann, wenn man Beschwerden hat. Und wenn man keine hat, braucht man es nicht. Wir brauchen jedenfalls keine „Nationale Menopausenstrategie“. Wir haben viele Probleme im Gesundheitssystem, die nicht gelöst sind. Da kommt mir der Fokus auf die Menopause übertrieben vor.

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