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Bundesparteitag der LinksparteiLinkspartei wittert Morgenluft

Die Linke zeigt sich optimistisch, den Wiedereinzug in den Bundestag zu schaffen. Im Zentrum ihres Wahlprogramms steht die soziale Gerechtigkeit.

Projekt „Silberlocke“: die Direktkandidaten Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch (von links) als Pappgenossen Foto: Stefan Boness

Berlin taz | Heidi Reichinnek schließt ihre Rede mit einem Zitat von Rio Reiser: „Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten.“ Bis vor Kurzem wäre der Satz noch als eine jener Durchhalteparolen rübergekommen, von denen es auf Parteitagen der Linken in den vergangenen Jahren schon so viele gegeben hat. Doch das ist diesmal anders auf dem außerordentlichen Bundesparteitag am Samstag in Berlin.

„Ich erlebe unsere Partei so befreit, so engagiert, so kämpferisch wie schon lange nicht mehr“, ruft die 36-jährige Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl zum Abschluss in den Saal – und muss dabei nicht einmal flunkern. „Es ist so ein Feuer in diesem Laden!“

Das wirkt auf den ersten Blick erstaunlich. In fünf Wochen wird gewählt und in der Sonntagsfrage steht die Linkspartei nach wie vor wie eingemauert nur zwischen 3 und 4 Prozent. Aber Panik ist nicht die Stimmung in der Partei, die sich vielmehr im Aufbruch sieht.

Das liegt an einem bemerkenswerten Mitgliederzuwachs: Rund 17.000 Neuzugänge verzeichnet die Linke seit Anfang vergangenen Jahres, also seit der Abspaltung von Sahra Wagenknecht und ihrem „linkskonservativen“ Anhang. Austritte und Todesfälle gegengerechnet bedeutet das einen Nettosteigerung von vorher rund 50.000 auf nun mehr als 60.000 Mitglieder. Auf dem Parteitag lässt sich die Veränderung ablesen: Das Durchschnittsalter der 500 Delegierten liegt bei nur 43 Jahren – so jung war die Linke noch nie.

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Gesittete Diskussionen

Das alleine erklärt noch nicht die gute Stimmung in der „Station“, einem zur Eventlocation umgebauten früheren Postbahnhof. Hinzu kommt: Auch das Diskussionsklima hat sich verändert. Es wirkt nicht mehr so toxisch wie zu früheren Zeiten, wo die verschiedenen Strömungen sich lieber selbst zerfleischten als den politischen Gegner.

Mehr als 550 Änderungsanträge zum Bundestagswahlprogramm hatte es im Vorfeld des Parteitags gegeben, davon blieben keine 50 übrig, über die schließlich abgestimmt wurde – nach sachlicher Diskussion und ohne irgendwelche hitzigen unerbittlichen Wortgefechte.

Nicht einmal der Umgang mit dem Ukrainekrieg sorgte für größeren Streit: Mehrere Anträge, die darauf abzielten, den Überfall Russlands zu relativieren oder sich gegen Sanktionen gegen Putins Autokratie auszusprechen, wurden jeweils mit deutlicher Mehrheit abgelehnt.

„Wir brauchen im Moment in der Ukraine mehr Diplomatie und nicht mehr Waffen“, sagte der Co-Parteivorsitzende Jan van Aken. Genauso wahr jedoch sei: „Ohne Freiheit und Demokratie in der Ukraine wird es auch keinen Frieden geben.“ Die Linke lasse die Menschen in der Ukraine nicht im Stich. Das sei der Unterschied zu „den Kremlparteien wie BSW und AfD“. Die Linke sei „die Partei für den Frieden ohne dieses verräterische ‚Ja, aber‘“.

Gegen den Zeitgeist

Im Zentrum des Programms steht die soziale Gerechtigkeit. Mit einem bundesweiten Mietendeckel, der Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungs- und Hygieneartikel, der Rückkehr zum 9-Euro-Ticket, einem Klimageld, einem gesetzlichen Mindestlohn von 15 Euro und noch einigem mehr will die Partei die Lebenssituation für die Mehrheit der Bevölkerung verbessern. Mehrere Tausend Euro im Jahr würden Schlecht- bis Normalverdiener die Verwirklichung der linken Pläne bringen, hat die Partei errechnet.

Steuersenkungen für die große Masse stehen dabei Steuererhöhungen für Wohlhabende gegenüber. Die Zeichen der Zeit – mit der Aussicht auf eine Kanzlerschaft von Friedrich Merz – weisen in eine andere Richtung: auf eine weitere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben. Doch Aufgabe einer linken Opposition, so sagte Gregor Gysi in seiner Parteitagsrede, sei es, „den Zeitgeist zu verändern“.

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Der 77-jährige Gysi ist zusammen mit dem 68-jährigen Bodo Ramelow und dem 66-jährigen Dietmar Bartsch ein weiterer Grund für die zuversichtliche Stimmung auf dem Parteitag. Denn das Altvorderentrio im Rentenalter hat sich auf die „Mission Silberlocke“ begeben. Sie wollen mithelfen, der Linken mindestens drei Grundmandate zu verschaffen. Die würden der Partei selbst bei einem Scheitern an der Fünfprozenthürde den Wiedereinzug ins Parlament sichern.

Chancen, einen Wahlkreis zu gewinnen, rechnet sich die Linke auch noch für die Parteivorsitzende Ines Schwerdtner in Berlin-Lichtenberg und den Bundestagsgruppenvorsitzenden Sören Pellmann in Leipzig-Süd aus. Die Aussicht, dass er als Alterspräsident endlich einmal ohne Zeitbegrenzung eine Rede im Bundestag halten könne, würde ihn schon enorm reizen, frotzelte Gysi.

„Wir kommen sicher in den Bundestag“, rief Parteichefin Schwerdtner unter großem Jubel in die Halle. Sicher ist das keineswegs. Aber es sieht auch nicht mehr ganz so düster aus wie noch vor einiger Zeit. Die Linkspartei schöpft wieder Mut.

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4 Kommentare

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  • Die Linke kann es in den Bundestag schaffen, wenn sie die bei den Themen "Soziale Gerechtigkeit" schwer angeschlagene SPD genau mit diesen Themen beerben kann. Eine zweite Voraussetzung ist, dass die Linke das Image der Putin-Versteher, das -egal ob zu recht oder zu unrecht- an ihr klebt, los wird. Sie muss da den schwierigen Balance-Akt schaffen, Druck auf eine Friedensregelung zu machen, und gleichzeitig eine glasharte Verurteilung der Erobererungspolitik Putins völlig ohne ein "ja, aber..." glaubwürdig rüber zu bringen. Dazu gehört ein ebenso deutliches Statement zu den hybriden Kriegsaktionen Russlands in der Ostsee, in Deutschland und Europa.



    Dann kann sie es schaffen. Damit räubert sie in den traditionellen Gefilden der SPD, die ja schließlich 3 Jahre Zeit hatte, z. B. um Wohnungen zu bauen, Mieten zu begrenzen, Kinderarmut zu bekämpfen. Und die BSW-Konkurrenz kann unter Wagenknecht das Putinmagd-Image nicht mehr los werden.

  • 17000 Neueintritte von identitätspolitischen jungen Linken, Palästina-Aktivist:innen etc. Das ist doch absolut überhaupt kein Hinweis darauf, dass die Partei gesamtgesellschaftlich an Relevanz gewinnt und über 5% kommen wird?!

    • @Lulu Lama:

      Und worauf stützen Sie Ihre Tatsachenbehauptung, wer in den letzten Jahren aus welchem Grund in DIE LINKE eintrat?

      Oder ist das halt nur mal so rumgelabert. In einer Welt in der die Ansage rumgelabert als beleidigender gilt, als die fortgesetzte Verbreitung von Latrinenparolen auf den digitalen Pisswänden.

  • Im Grunde ist Die Linke der Hoffnungsträger und ein dringend notwendiges Gegengewicht gegen die rechten Tendenzen der etablierten Parteien.

    Gerade die jetzt zu Tage getretenen menschenverachtenden Entscheidungen Bundesregierung zeigen das sehr deutlich.

    taz.de/Regelung-fu...n-Faelle/!6062775/