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„Ein überfallener Staat muss sich verteidigen können“

Mit einer Friedenstaube auf dem Plakat sei es nicht getan, sagt Bodo Ramelow. Und doch will der linke Ex-Ministerpräsident und Bundestagskandidat raus aus der Aufrüstungslogik

„Nein zu Kriegen“ war das Motto dieser Demo am 3. Oktober 2024 in Berlin Foto: Stefan Boness/ipon

Interview Pascal Beucker und David Muschenich

taz: Herr Ramelow, wo ist eigentlich die rote Marx-Statue abgeblieben, die mit Ihnen aus der Thüringer Staatskanzlei ausgezogen ist?

Bodo Ramelow: Gut, dass ich diese Legende hier aufklären kann. Mit mir aus der Staatskanzlei ist nur mein blaues Schaf gegen Rassismus und mein roter Gartenzwerg mit dem Stinkefinger ausgezogen. Das Foto mit der Marx-Statue unterm Arm war die Idee eines Kollegen von hnen. Tatsächlich stand der Marx aber nie in der Staatskanzlei, sondern dort, wo er immer noch steht: auf dem Flur der Thüringer Linksfraktion. Da steht er auch weiterhin gut.

taz: Zehn Jahre waren Sie der erste und einzige Ministerpräsident, den die Linkspartei je gestellt hat. Mit 68 Jahren im besten Rentenalter, kandidieren Sie jetzt noch mal für den Bundestag. Warum reicht es Ihnen nicht, Ihre Memoiren zu schreiben und Ihr Bundesverdienstkreuz zu polieren?

Ramelow: Diese zehn Jahre waren für mich eine großartige Zeit, auch wenn es eine harte Zeit war. Ich bin aus der Staatskanzlei ohne Groll ausgezogen. Das Bundesverdienstkreuz verstehe ich als eine Würdigung meiner Arbeit, weswegen ich es auch mit einem gewissen Stolz trage. Wir haben zehn Jahre ein Regierungsprojekt vital gehalten, das uns kein Mensch zugetraut hat. Doch jetzt fängt ein neues Kapitel an. Auch mit 68 Jahren fühle ich mich dafür noch jung genug.

taz: Sie meinen die „Mission Silberlocke“ von Ihnen, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch.

Ramelow: Ja, genau. Das war ja zunächst nur eine verrückte Idee von Gregor Gysi, die in einer spaßigen Runde entstanden ist. Aber sie hat eine Eigendynamik entwickelt, die mir gut gefällt. Das Ziel von uns drei älteren Herren ist es, dabei mitzuhelfen, der Linken wieder eine öffentliche Wahrnehmung zu verschaffen, die die Partei aufgrund ihrer allzu langen Selbstzerfleischung verloren hat. Wenn ich mir alleine die vielen zustimmenden Zuschriften inklusive mitgeschickter Silberlocken anschaue, scheint das nicht ganz wirkungslos zu sein.

taz: Und Sie glauben, das reichen, um die Linke wieder in den Bundestag zu ­bringen?

Ramelow: Was ich momentan erlebe, stimmt mich jedenfalls ziemlich optimistisch. In der Linken bewegt sich was! Wir hatten in Thüringen jetzt zum allerersten Mal seit 30 Jahren mehr Mitglieder am Jahresende als am Jahresanfang. Das heißt, wir wachsen. Ich bin hier im Wahlkampf mit jungen Leuten unterwegs, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Das macht mir Spaß und motiviert mich. Dass es Heidi Reichinnek, die jetzt gemeinsam mit Jan van Aken Spitzenkandidatin unserer Partei ist, tatsächlich geschafft hat, mich auf Tiktok zu bringen, hätte ich mir auch nie vorstellen können. Aber ich lerne von ihr und habe nun eine junge Mitarbeiterin, mit der ich jeden Tag etwas für Social Media produziere. Wer hätte das gedacht? Ich nicht.

taz: Sie klingen ja geradezu euphorisch.

Ramelow: Zumindest ist ein Punkt für mich, dass ich sage: Ja, wenn ich meinen Beitrag leisten kann, dass die Partei im Bundestag bleibt, dann will ich diese Kraftanstrengung machen. Zumal ich bei den neuen Parteivorsitzenden Jan van Aken und Ines Schwerdtner ein gutes Gefühl habe. Sie sagen: Da gehen wir anders ran als bisher. Da haben sie mich an ihrer Seite. In einer Zeit, in der Mieten und Krankenkassenbeiträge erhöht werden, die Preise explodieren und viele Menschen nicht wissen, wie sie über die Runden kommen sollen, braucht es wieder eine starke Kraft, die sich im Bundestag glaubhaft und mutig für soziale Gerechtigkeit und für die Menschen hier in unserem Land einsetzt!

taz: Einer der wenigen Identifikationspunkte innerhalb der Linkspartei war die Selbstdefinition als Friedenspartei. Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist die „Friedensfrage“ jedoch zu einem Sprengsatz geworden, der auch nach dem Weggang von Wagenknecht und Co nicht entschärft ist. Macht Ihnen das keine Sorgen?

Ramelow: Ich halte viel von der Selbstdefinition als Friedenspartei. Aber was das konkret bedeutet, ist schon lange ein Streitpunkt bei uns. Da geht es um eine ganz alte Lebenslüge, nämlich um den Glauben, mit einer Friedenstaube auf dem Plakat schon auf der sicheren Seite zu sein. Ich erinnere mich noch gut an den Münsteraner PDS-Parteitag im Jahr 2000, also vor einem Vierteljahrhundert, als Gregor Gysi vergeblich dafür plädiert hatte, UN-mandatierten Blauhelmeinsätzen nicht weiter grundsätzlich die Zustimmung zu verweigern. Der Ukrainekrieg hat den alten Konflikt in einer neuen Dimension ausbrechen lassen. Für mich muss eine linke Partei immer auch auf der Seite des Völkerrechts stehen. Deswegen war und ist für mich auch klar, dass sich ein überfallener Staat verteidigen können muss. Und dann hatten wir da auf einmal die Putin-Fraktion, die gesagt hat: Ist uns alles egal, Hauptsache billiges Erdgas. Aber die ist ja zum Glück inzwischen weg.

taz: Ihre Partei spricht sich allerdings weiterhin gegen Waffenlieferungen aus. Als Sie noch Ministerpräsident waren, haben Sie sich hingegen nicht nur für eine humanitäre, sondern auch die militärische Unterstützung der Ukraine ausgesprochen. Als Bundestagskandidat der Linken dürfen Sie das jetzt nicht mehr, oder?

Ramelow: Das verbietet mir niemand. Das ist eben das Besondere an einer lebendigen pluralen Partei, dass man im Rahmen eines Korridors auch abweichende Meinungen vertreten darf und die Mehrheit das auch aushalten kann. Wenn ich als Ministerpräsident oder Bundesratspräsident zur Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine geredet habe, dann habe ich immer darauf geachtet, darauf hinzuweisen, dass ich hier eine Minderheitsmeinung in meiner Partei vertrete. Das werde ich auch weiterhin so halten.

taz: Fürchten Sie nicht, dass Sie das Stimmen gerade im Osten kosten kann?

Ramelow: Bei denen, die Sahra Wagenknecht auf den Leim gehen, die zynisch von Friedensverhandlungen spricht, aber Kapitulationsverhandlungen meint, kann das durchaus sein. Das ändert aber nichts an meiner klaren Haltung in dieser Frage. Wir müssen uns ehrlich machen. Wolodymyr Selenskyj hat kürzlich das erste Mal über Szenarien geredet, wie eine Friedensordnung nach dem Ende des Ukrainekriegs aussehen könnte. Wie auch immer sie konkret aussehen wird, dürfte eine solche Friedensordnung letztlich nur funktionieren können, wenn sich auch europäische Staaten bereitfinden, sie durch eine Blauhelmtruppe abzusichern. Da sage ich meiner Partei: Dann werden wir uns nicht davor drücken können, dass die Bundeswehr dabei sein muss. Die Welt ist halt nicht so einfach.

Foto: F.: Bernd von Jutrczenka/dpa

Bodo ­Ramelow,

68, war von 2014 bis 2024 Ministerpräsident Thüringens, als bisher einziger Regierungs­chef der Linken. Er tritt als Kandidat für Erfurt und Weimar bei der Bundestags­wahl an. Drei Direktmandate würden seiner Partei, die nach derzeitigen Umfragen an der Fünf­prozent­hürde scheitern würde, den Einzug ins Parlament sichern.

taz: Auf größere Begeisterung dürften Sie damit trotzdem nicht stoßen.

Ramelow: Mag sein, ändert jedoch nichts an der notwendigen Diskussion. Die generelle Frage aber ist: Wie komme ich eigentlich in einen europäischen und weltweiten Prozess, der am Ende dazu führt, dass es weniger Waffen gibt? Im Moment sind wir nur noch in der Aufrüstungsspirale. Und da bin ich wieder ganz bei meiner Partei, weil diese Logik, auf alles nur noch mit mehr Waffen zu antworten, nicht zu mehr Frieden führt, sondern die Kriegsgefahr erhöht.

taz: Im Thüringer Landtagswahlkampf haben Sie sich auch als Sänger versucht und zusammen mit der Erfurter Glitzerpunkpopband Donata den alten Trio-Hit „Da Da Da“ gecovert. Werden Sie im Bundestagswahlkampf noch etwas nachlegen?

Ramelow: Wir arbeiten im Moment intensiv daran. Mehr verrate ich noch nicht, es soll ja noch einen Überraschungseffekt geben. Aber am 22. Januar werden wir in Erfurt unser erstes Konzert geben.

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