: Zurück in die Auto-Zukunft
Ein Bündnis aus Umwelt-, Radfahrer- und Fußgängerverbänden warnt vor der Wende zur autozentrierten Stadt in Hamburg-Nord. Im Nachbarbezirk Wandsbek werden schon Poller und Eichenpfähle für mehr Parkplätze rausgerissen
Von Kaija Kutter
Im Bezirk Hamburg-Nord wollen SPD, CDU und FDP, die dort eine gemeinsame Koalition anstreben, am Donnerstag die SPD-Politikerin Bettina Schomburg zur Bezirksamtsleiterin wählen. Sie soll den Grünen Michael-Werner Boelz vorzeitig ablösen. Ein Bündnis aus Umwelt- und Verkehrsverbänden warnt vor einem verkehrspolitischen Rollback: Die neue Koalition wolle Autos und Parkplätze „ins Zentrum ihrer Politik“ stellen. Damit werde die in Hamburg gerade erst begonnene Mobilitätswende gestoppt.
„Dazu sagen wir klar ‚Nein!‘“, heißt es in einem Aufruf von 13 Organisationen wie Greenpeace, Nabu, dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), aber auch dem Stadtteilrat Barmbek-Nord und dem Fußgänger-Verein. Verbesserungen für Fußgänger und Radfahrer dürften nicht „kurzsichtigen, machtpolitischen“ Interessen geopfert werden, Lebensqualität und Sicherheit der Menschen hätten „Vorrang vor der Bewahrung jedes einzelnen Parkplatzes“. Die Mitglieder der Bezirksversammlung sollten sich zur Mobilitätswende bekennen und „gegen die Rückkehr zur autogerechten Stadt“ stimmen, fordert das Bündnis. Alle Parteien sollten offen für neue Koalitionsgespräche sein.
„Politik muss Verantwortung für die Zukunft übernehmen“, sagt Cajus Priun vom Hamburger ADFC. Dazu müsse der Umbau der autogerechten Stadt der 1970er-Jahre hin zu einer „nachhaltigen, resilienten Stadtstruktur“ konsequent vorangetrieben werden. „Der Bau von Kfz-Parkplätzen und die Bevorzugung des Autoverkehrs sind keine Antworten auf die Klimakrise“, sagt Priun.
Auch die Gruppe „Parents for Future“ unterstützt den Aufruf. Eine Verkehrspolitik, die das Auto bevorzugt, gefährde nicht nur Kinder und ältere Menschen, sondern schade mittelfristig allen, sagt der Parents-for-Future-Sprecher Christian Wöhrl. Wo eine Stadt dem Auto viel Raum auf versiegelten Flächen gibt, „heizt sie sich schneller auf und nimmt weniger Niederschlag auf“.
Parkplätze statt Radwegen
Rechnerisch gibt es in Hamburg-Nord eine Mehrheit für Grüne, SPD und die Newcomer-Partei Volt. Doch die Grünen waren an den Koalitionsverhandlungen nach der Bezirkswahl im Mai nicht beteiligt. Stattdessen sprachen SPD, CDU, FDP und Volt miteinander. Volt stieg dann aus, weil die anderen Parteien nicht bereit waren, Parkplätze zugunsten von Rad- und Fußwegen aufzugeben.
Mit der anstehenden Wahl Schomburgs steht und fällt nach Ansicht von Beobachtern die Mobilitätswendein den Bezirken Nord und Wandsbek. Zwar könnten die Bezirke überregionale Verkehrsprojekte nicht verhindern, aber bei Parkplätzen und bezirklichen Radwegen hätten sie die Entscheidungsmacht.
Im Netz findet sich bereits ein Eckpunktepapier, auf das sich das nach seinen Farben Rot, Schwarz und Gelb „Deutschland-Koalition“ genannte Parteien-Trio im Bezirk Nord geeinigt hat. Darin heißt es unter anderem, man werde die „Radroute Plus ab Langenhorn nochmals kritisch überprüfen“ und erwäge, die Planungen zugunsten anderer sanierungsbedürftiger Radwege einzustellen. Quartiersgaragen sollen neu gebaut werden, es soll eine „ehrliche Evaluierung des Anwohnerparkens“ geben und einen Ausbaustopp der Anwohnerparkzonen. Fest halte man auch an der „Leistungsfähigkeit der Hauptverkehrsstraßen“ mit dem Ziel, den Wirtschaftsverkehr nicht zu behindern und den Durchgangsverkehr aus den Wohngebieten herauszuhalten.
„Ich finde den Vorwurf des Rollbacks nicht gerechtfertigt“, sagt SPD-Bezirkfraktionschefin Tina Winter. „Wir machen in dem Papier deutlich, dass wir auch am Umweltverbund und der Förderung von ÖPNV, Fuß- und Radverkehr weiter festhalten.“ Es gehe aber darum, moderate Lösungen zu finden und zum Beispiel zu verhindern, dass Autos durch Wohngebiete statt auf Hauptverkehrsstraßen fahren.
Noch ist die Koalition nicht gebildet, noch sind die Pläne nicht offiziell. Kritiker befürchten das Schlimmste, denn auch SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher hat einen „Masterplan Parkplätze“ ankündigt: In ihrem Programm für die Hamburg-Wahl wirbt die SPD dafür, dass es für Gebiete mit hohem Parkdruck ein Moratorium beim Abbau von Parkplätzen geben soll, bis überzeugende Konzepte vorliegen. Das könne etwa der Bau von Quartiersgaragen sein oder die Wiedereinführung einer Stellplatzpflicht beim Bau von neuen Wohnungen. „Der Verzicht auf Stellplätze führt nicht dazu, dass die Leute, die in neue Wohnungen einziehen, ohne Auto kommen“, sagt dazu der SPD-Verkehrsexperte Ole Buschhüter.
Auch im Bezirk Wandsbek heißt es im Koalitionsvertrag: „Viele Menschen sind auf das Auto angewiesen.“ Dort wollen SPD, FDP und Grüne in den ersten 100 Tagen 300 neue Parkplätze schaffen. An fünf Orten sollen Poller und Eichenpfähle herausgerissen werden, damit „PKW-Stellplätze wiederhergestellt“ werden. Außerdem soll das Gehwegparken wieder erlaubt werden und an bestehenden Park-and-Ride-Plätzen sollen Stellplätze für Kurzparker und Anwohner geschaffen werden. Anwohnerparkzonen soll es in Wandsbek nicht geben, Tempo 30 soll eine Ausnahme bleiben.
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