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„Bitte keine Familie“

Jugendbuchautor Martin Schäuble über die Schwierigkeiten, einen Romanüber sexuellen Missbrauch im Sport zu schreiben, und eine problematische Kultur

Gemeinsam stark: Fußball von seiner schönen Seite Foto: Ulmer/imago

Interview Johannes Kopp

taz: Herr Schäuble, wie kamen Sie auf die Idee, über sexuellen Missbrauch im Sport einen Roman zu schreiben?

Martin Schäuble: Der Verlag ist schon vor Jahren auf mich zugekommen. Das Thema wäre wichtig, auch als Jugendbuch. Fokus sollte der Leistungssport sein. Mich hat das zuerst nicht so gereizt, es vergingen die Jahre. Über meine Kinder, die auch in Sportvereine gingen, hat mich das zunehmend interessiert. Wir haben dann aber beschlossen, dass wir uns dem Breitensport widmen, weil es einfach alle betrifft. Eine Zahl hat mich zu Beginn meiner Recherchen wirklich umgehauen. Zwanzig Prozent erleben laut einer Studie im Breitensport sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt.

taz: Sie sind ein erfahrener Jugendbuchautor, haben schon einige gesellschaftlich relevante Themen in Romanform verarbeitet. Was war dieses Mal anders als sonst?

Schäuble: Ich hatte mit Betroffenen gesprochen, die Missbrauch erlebt haben und noch sehr dran waren an dem, was geschah. Bevor die Gespräche losgingen, habe ich mich von einer Psychologin schulen lassen, wie ich am besten in solche Gespräche gehe, ohne zu retraumatisieren. Bei meinen bisherigen Arbeiten war es nicht so, dass ich den Menschen so nahe gekommen bin. Und ich musste sehr bei der Anonymisierung aufpassen. Es ist zwar ein Roman, aber die Geschichte ist aus vielen wahren Einzelschicksalen entstanden. Einzelne Szenen sind so wirklich geschehen und ich musste aufpassen, weil es teils noch laufende Verfahren gibt.

taz: Berichte von Betroffenen haben eine unmittelbare, heftige Wucht. Mit der Übersetzung ins Fiktionale kann diese dosiert werden?

Schäuble: Ja. In meinem Roman war mir eine zweite Perspektive wichtig. Deswegen habe ich mit Tim einen Jungen eingeführt, der einen immer wieder aus der Geschichte von Lena, der Jugendfußballerin und Protagonistin, herausnimmt, und der anders drauf schaut. Die Fiktionalisierung ist grundsätzlich auch eine Chance, mehr Menschen zu erreichen. Jugendliche greifen in der Regel nicht zu Sachbüchern. Und einen Roman kann man gut enden lassen. In der Realität enden neun von zehn Fällen nicht gut. Da findet weder ein Therapie statt, noch wird Anzeige erstattet. Meist wird der Missbrauch erst Jahrzehnte später als solcher erkannt. Das ist die Chance des Romans, ein positives Bild zu zeigen. Man ist nicht verloren, das Leben kann auch positiv weitergehen.

taz: Wie kommt das Buch zu den Jugendlichen? Unter Erwachsenen ist die Scheu groß, ihre Kinder mit dem Thema zu konfrontieren.

Schäuble: Man braucht bei Büchern, die schwierige Themen berühren, einen langen Atem. Das ist keine Stapelware. Der Roman kann eine Gesprächsgrundlage für Eltern und Jugendliche sein, gemeinsam über diese Geschichte nachzudenken, was das eventuell mit der eigenen Lebenswelt zu tun hat. Es kann Anlass sein, ein Thema zu besprechen, bei dem die Kinder vielleicht ansonsten eher abblocken würden.

taz: Sie haben im Nachwort geschrieben, dass Sie bei der Recherche auf einige Widerstände bei den Vereinen gestoßen sind.

Schäuble: Meine Anfragen an die Vorstände der Vereine, es waren vielleicht 10 bis 15, sind erst einmal im Sande verlaufen. Einige Trainerinnen haben dann gesagt, komm doch vorbei. Sie haben sich gegen die Entscheidung ihrer männlichen Vorstände gestellt. Bei den Vereinen will man mit dem Thema nicht in Verbindung gebracht werden. Allein, wenn einer da ist und Fragen stellt, könnte das ja schon Verdacht erregen.

taz: Sie waren der Unruhestifter?

Schäuble: Ja. Der klassische Breitensportverein auf dem Land oder in der Kleinstadt wird von Männern geführt, die ein gewisses Alter haben. Wie ich mitbekommen habe, nehmen diese die nun gewünschten Schutzkonzepte häufig als Belastung wahr. Es ist für sie etwas, das gemacht werden muss, um weiter Fördergelder zu bekommen, aber nicht etwas, das sie an sich für wichtig halten. Das hat Auswirkungen auf die Qualität dieser Maßnahmen. Mit Workshops für Trainer und aufgehängten Plakaten ist es ja nicht getan. Die Kultur und die Strukturen müssen sich auch verändern. Das ist eine riesige Herausforderung. Bei dem häufig formulierten Satz „Der Verein sollte wie eine Familie sein“ bekomme ich immer wieder eine Gänsehaut.

taz: Weshalb?

Foto: Tobias Elsäßer

Martin Schäuble

46, ist ein deutscher Journalist und Autor. Er hat mehrere Jugendbücher geschrieben, u. a. über den Nahostkonflikt, Depressionen und KI.

Schäuble: Seit meinen Recherchen weiß ich, dass ein Verein das genau nicht sein sollte. Denn es geht nicht darum, sich nah zu sein und sich beizustehen, sondern einfach gemeinsam Sport zu machen. Entsprechend muss sich die Atmosphäre kulturell und strukturell verändern.

taz: Inwiefern hat sich Ihr eigenes Bild vom Sport und Sportvereinen verändert?

Schäuble: Also zunächst mal schaue ich jetzt selbst genauer hin, bei meinen Kindern oder wenn ich unterwegs zufällig an einem Sportplatz vorbeikomme. Wie ist die Stimmung da? Es ist etwas, was Spaß macht. Gibt es Druck, ist dieser überhaupt notwendig? Welche Hierarchien entstehen daraus? Zugleich weiß ich, dass Sport total wichtig ist, er vielen total gut tut. Von einem getrübten Blick zu sprechen, wäre vielleicht zu hart. Es ist ein ernüchterter Blick.

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