: Bevor es zu spät ist
17 namhafte Verfassungsrechtler:innen empfehlen dem Bundestag, ein AfD-Verbot zu beantragen. Vorteile überwiegen die Risiken, glaubt Mitinitiator Matthias Goldmann
Von Christian Jakob
Die Sätze haben es in sich: Die AfD sei „nachgerade der prototypische Fall“, um die „Mechanismen der grundgesetzlichen wehrhaften Demokratie“ zu aktivieren. Das schreiben 17 renommierte Verfassungsrechtler:innen in einer Stellungnahme, die sie am Donnerstag – auf eigene Initiative – an den Rechtsausschuss des Bundestages schickten. Die Anstrengung eines Parteiverbotsverfahrens sei „nicht ins Belieben der Antragsberechtigten gestellt, sondern politische Aufgabe und Verantwortung“, heißt es weiter.
Mitte November hatten 113 Abgeordnete verschiedener Parteien einen AfD-Verbotsantrag vorgelegt. Die Initiator:innen wollen noch vor Weihnachten im Bundestag darüber debattieren. Doch es ist fraglich, ob es vor der anstehenden Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf Scholz noch einen Termin geben wird. Vor diesem Hintergrund wollten die Jurist:innen Druck machen. Unter ihnen sind eher linke Professor:innen wie der in Kassel lehrende Andreas Fischer-Lescano. Unterzeichnet haben aber auch Konservative wie der Würzburger Staatsrechtler Kyrill-Alexander Schwarz, der etwa die CSU bei Klagen gegen die Ampel vertreten hat und Mitglied im dezidiert konservativen „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ ist.
Auf 12 Seiten führen die Jurist:innen aus, was sie zu ihrer Einschätzung gebracht hat. Unter anderem, dass sowohl „Ziele als auch Äußerungen und Verhalten“ von AfDlern ihr „völkisch-nationalistisches Programm“ offenbaren. Auf 17 weiteren Seiten fügen sie Belege an, etwa den jüngsten Beschluss der bayerischen AfD zur „millionenfachen“ Abschiebung und der „Aberkennung bereits zuerkannter deutscher Staatsbürgerschaften“.
Zu den Initiatoren gehört Matthias Goldmann, der an der EBS Universität in Oestrich-Winkel Internationales Recht lehrt. Es könnte sein, dass die AfD nach der Bundestagswahl eine Sperrminorität für wichtige Beschlüsse bekomme. „Das war für uns der Anlass, diesen Aufschlag zu machen“, sagt Goldmann.
Die Jurist:innen sehen ein Problem darin, dass die Anforderungen an ein Parteienverbot noch immer stark an der NSDAP orientiert seien. Verboten werden könne nur eine Partei, die als Ganzes die freiheitlich demokratische Grundordnung abschaffen will. Doch das sei bei der AfD, die völkische Rechtsextreme mit Wirtschaftsliberalen und Nationalkonservativen verbindet, schwierig. Die relevante Zielrichtung sei nur festzustellen, indem man begreift, „dass die Ambivalenz Teil der Strategie ist“, sagt Goldmann. Die Jurist:innen sprechen von „plausible deniability“ – einer manipulativen Mehrdeutigkeit der Sprache.
Das Argument, ein Verbotsverfahren nütze nur der AfD, überzeugt die Jurist:innen nicht. Es gebe „genügend Gründe, warum die AfD sich bereits jetzt zum Märtyrer macht“, sagt Goldmann. Die Partei steuere auf Wahlergebnisse zu, die ihr Kontrolle etwa über Verfassungsänderungen geben könnten. Auch wenn ein AfD-Verbot nicht die Gründe beseitige, warum sie gewählt werde, müsse eine „wehrhafte Demokratie den Staat vor einer Unterminierung schützen, bevor es zu spät ist“, sagt Goldmann und verweist auf Entwicklungen in Polen oder Ungarn. Für ihn überwiegen die Vorteile eines Verbots, nämlich der Verlust von Ressourcen, Vermögen, Wahlkampfkostenerstattung und Vorfeldorganisationen wie der Desiderius-Erasmus-Stiftung.
Bei vielen würde ein Verbot den Eindruck verfestigen, dass eine kleine Elite den Willen des Volkes missachtet und sich liberal gibt, aber autoritär agiert.
Goldmann sagt dazu, eine Kritik des Autoritarismus schließe nicht aus, dass der Staat sich gegen Kräfte, die „das Prinzip der Freiheit in Gleichheit beseitigen wollen“, wehren darf. „Das ist sehr ambivalent. Aber naiv darauf zu vertrauen, dass das, was das ‚Volk‘ tut, schon das Richtige ist – das ist in Zeiten von sozialen Medien, wo auch massivst manipuliert wird, nicht die richtige Methode“, sagt er. Zumal dieses „Volk“ auf Minderheiten oft wenig Rücksicht nehme.
Goldmann verweist darauf, dass es einen „harten extremistischen Kern“ auch schon vor der AfD gegeben hat. „Den muss man mit rechtsstaatlichen Mitteln und natürlich auch politisch bekämpfen.“
Die Herausforderung sei, die Masse an Wählern, die verloren gegangen ist, wieder zu gewinnen. Er erinnert an die Idee der antifaschistischen Wirtschaftspolitik der Ökonomin Isabella Weber: staatliche Investitionen für regionalen Strukturwandel, der die Deindustrialisierung auffängt. „Eine Riesenaufgabe für die Politik“, sagt Goldmann. Doch dass es dabei Schwierigkeiten gebe, könne nicht bedeuten, zu sagen „wir schauen zu, wie die AfD durchmarschiert.“
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