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Von der Mutter eingesperrt

Am Hamburger Schauspielhaus wird aus Frederico Garcia Lorcas/Alice Birchs „Bernarda Albas Haus“ ein erschütternder, provokanter Abende über Geschlechterrollen und Gewalt

Manchmal zeigt sie, wie sie selbst leidet unter sozialen Erwartungen, Druck und erlittener Gewalt: Julia Wieninger als Bernarda Alba Foto: Thomas Aurin

Von Jens Fischer

Das wird kein netter Abend in „Bernarda Albas Haus“: Unheil grummelnd kommt die Musik daher, aggressives Männergelächter weht vorüber. „Wenn du weinen willst, kriech unter dein Bett und steck dir die Faust in den Mund. Wisch dir die Tränen ab“, sagt Mutter Bernarda – 1. Szene, 1. Satz – zu einer Tochter, da haben sie gerade den Vater beerdigt. Eine Folge: Acht Jahre lang darf keine Frau das Haus verlassen. Ihren fünf Kindern sucht die Matriarchin (Julia Wieninger) die Gefühle auszutreiben, sie von der Außenwelt abzuschotten und dabei eine Fassade absoluter Tugendhaftigkeit aufrechtzuerhalten. Dafür ist die Bühne so beeindruckend wie bedrückend hergerichtet: Sie zeigt den Querschnitt durch zwei Etagen eines Hauses und liefert in dialogischer Polyphonie vielfältige Einblicke in die Parallelhandlungen, mit denen Küche, Esszimmer, Hof und Gefängniszellen-Klausen eindrucksvoll simultan bespielt werden.

Die die demente Großmutter (Bettina Stucky) hat sich längst in eine eigene Welt geflüchtet und die Töchter wissen gar nicht wohin mit ihrer Lebenslust: Sie verzehren sich nach den abwesenden Männern, posieren hinter den verschlossenen Türen dieses Treibhauses der Frustration in Unterwäsche vorm Spiegel, rasieren die Beine, rauchen, masturbieren, binden die Brust ab, daddeln mit dem Handy, tanzen. Was Bernarda auf ihren Kontrollgängen sofort verbietet. Aber wenn ein Mann am Haus vorbeispaziert, stürmen die jungen Frauen an die Fenster. Top-Projektionskörper ihres Begehrens und ihrer Fluchtträume ist Peter (Joël Schnabel): In Federico Garcia Lorcas Ursprungstext von 1936 eine Fantasiegestalt, wird daraus in Hamburg ein immer wieder aus dem Dunklen herbeischleichender Archetypus Mann von raubtierhafter Eleganz.

Die autoritäre Herrschaft Bernardas wird gerne als Abrechnung mit dem rigiden Katholizismus gelesen und als Kritik an der aufziehenden faschistischen Franco-Diktatur; aber auch als hoffnungsvoller Verweis auf das notwendige Scheitern jeden Totalitarismus. Die umgangssprachlich aktualisierte, präzisierend komprimierte Neufassung von Alice Birch (2024) ist dagegen eher eine gruppenpsychologische Untersuchung von Zwangssituationen, betont das Wechselspiel von Unterdrückung und Ungehorsam.

Die Töchter wissen gar nicht wohin mit ihrer Lebenslust

Die jungen Frauen wollen nicht nur nähen, bügeln, kochen, sie fordern Freiheit – was Bernarda mit dem Argument verweigert, sie müsse ja unnachgiebig für ihrer aller Sicherheit kämpfen. Die ineinander collagierte, sich überschneidende Konversation kommt daher beim Stichwort „Angst“ zusammen. Und da wird Regisseurin Katie Mitchell deutlich: Was bei Lorca nur angedeutet war, hier herrscht daran kein Zweifel: Bernardas Ehemann hat Tochter Angustias missbraucht, auch Bernarda selbst ist wohl Opfer ehemännlicher Gewalt. Draußen marodiert zudem eine machistische Trump-Gesellschaft und verlustiert sich in Massenvergewaltigungen. Einmal stürmt der männliche Pöbel das Haus und will eine Schutz suchende Frau lynchen, die ihr unehelich Geborenes aus Scham getötet hat. Bei Lorca stimmt die archaisch strenge Bernarda in die mörderische Hetze ein, bei Mitchell bietet sie ihr die vielleicht einzig mögliche Flucht an: den Selbstmord.

Wollen nicht nur nähen, bügeln, kochen: Adela (Linn Reusse), Magda (Josefine Israel), Amanda (Mayla Häuser), Mariche (Henni Jörissen) und Angustias (Eva Maria Nikolaus) Foto: Thomas Aurin

Winingers Bernarda schlägt und verbrüht ihre Kinder, wenn sie nicht gehorchen, zeigt in einsamen Momenten aber auch ihre eigene Unsicherheit, ein Aufflackern von Zweifeln und wie sie leidet unter gesellschaftlichem Druck und Gewalterfahrungen. Als die jüngste Tochter Adela, eine impulsive Rebellin, lustvollen Sex mit Peter hat, der eigentlich Angustias heiraten soll, versucht Bernarda ihn zu erschießen. Adela sieht ihre Zukunft an Peters Seite getötet, begeht Selbstmord. Allgemeines Entsetzen. So endet das Stück bei Lorca und Birch.

Mitchell setzt aber noch Tragik obendrauf: Da es anscheinend keinen Schutz vor Mannsbildern gibt, dafür aber das Verlangen nach ihnen, und es ferner niemandem hilft, wenn Frauen das System patriarchaler Machtausübung kopieren, gibt Bernarda Pillen zum kollektiven Selbstmord an die Töchter aus. Erschütternd ist diese Radikalisierung der Ohnmacht – aber auch ein provokanter Weckruf: Sich selbst abzuschaffen anstelle des Machismo, darf nicht die Lösung sein.

Nächste Vorstellungen: 7. + 26. 12.; 3. + 8. 1., Hamburg, Deutsches Schauspielhaus

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