: „Falsche Versprechen sind wie Lügen“
Bremen wollte Afghan*innen erleichtern, Verwandte nach Deutschland zu holen. Zusagen gab es nur für 25 – ob sie hier angekommen sind, ist unklar. Amena Rahemy über die Hürden beim Versuch, ihre Schwester zu holen
Interview Lotta Drügemöller
taz: Frau Rahemy, Sie versuchen seit drei Jahren, Ihre Schwester aus Afghanistan nach Deutschland zu holen. Können Sie mir etwas über sie erzählen?
Amena Rahemy: Meine Schwester ist jetzt 17 Jahre. Als Ortskraft bei der KfW konnte ich weg aus Afghanistan, als die Taliban die Macht genommen haben. Da war sie 14, seitdem hat sie ein Schulverbot. Meine Familie wohnt nicht mehr in unserem alten Zuhause: Die Taliban haben nach mir gesucht, drei Mal waren sie da. Meine Familie musste umziehen.
taz: Wie sieht ihr Alltag aus?
Rahemy: Die Taliban machen jeden Tag ein neues Verbot für Frauen: Schulen, Frisörsalons, Parks, Moscheen – es bleibt fast nichts. Meine Schwester ist jeden Tag zu Hause. Vielleicht einmal im Monat geht sie raus, mit meiner Mutter und meinem Bruder. Aber wir wissen nicht, ob die Taliban noch nach meiner Familie suchen. Deshalb tragen sie dann komplett Hidjab oder Burka, damit sie nicht gefunden werden. Sie schreibt mir jeden Tag: Dadai schreibt sie, das heißt große Schwester, Dadai, ich kann hier nicht mehr leben. Bitte mach etwas Schnelles.
taz: Das ist ein großer Druck …
Rahemy: Ja. Jetzt, wo ich Hoffnung habe, geht es mir besser, aber 2022 und 2023 hatte ich gar keine Aussicht. Ich hatte keine Konzentration, konnte meine Deutsch-Aufgaben nicht machen, habe in unseren Whatsapp-Calls geweint.
taz: Was haben Sie versucht?
Rahemy: Alles. Ich bekomme als Ortskraft in Deutschland Aufenthalt nach Artikel 22. Familiennachzug darf ich nicht beantragen, sagen die Geflüchtetenvereine. Das kann nur die Politik ändern. Deshalb habe ich mit Politikern Kontakt aufgenommen, mit Bundestagsmitgliedern. Dann habe ich drei Mal versucht, meine Familie mit dem Ortskräfteverfahren herzuholen. Allen wurde abgesagt. Jetzt probiere ich es mit dem Bundesaufnahmeprogramm. Dafür braucht man kein Geld, aber Erfolg hatte ich noch nicht. Und für meine Schwester probiere ich es mit dem Bremer Landesaufnahmeprogramm.
taz: Das wollte vieles einfacher machen, aber hat dennoch sehr hohe Hürden.
Rahemy: Ich wusste, dass man für das Programm viel Geld braucht. Deshalb habe ich einen zweiten Job angenommen. Es hat aber noch nicht gereicht. Eine Kollegin von mir dann hat die finanzielle Verpflichtung mit mir gemeinsam unterschrieben. So habe ich eine Zusage bekommen.
taz: Das war großes Glück: Es gab 437 Anträge aus Bremen. Nur 25 wurden bewilligt. Ob es von den wenigen jemand nach Deutschland geschafft hat, ist unklar.
Rahemy: Es ist kompliziert. Ich habe am 6. Juni erfahren, dass meine Schwester aufgenommen ist. In Afghanistan gibt es keine deutsche Botschaft, deshalb hat ein Mitarbeiter vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Zusage an die Botschaft in Teheran im Iran geschickt. Es hieß, ihr müsst nichts machen, die Botschaft kontaktiert euch und gibt euch schnell einen Termin für ein deutsches Visum. Ich habe trotzdem versucht, einen Onlinetermin zu buchen, und drei Mal eine Erinnerungsnachricht geschrieben. Es kam aber nichts zurück.
taz: Was macht man da? Warten?
Im Landesaufnahmeprogramm für Afghan*innen hat Bremen Erleichterungen ermöglicht, aber Vorgaben des Bundes bleiben schwer zu erfüllen: Antragsteller müssen den Lebensunterhalt ihrer Verwandten für fünf Jahre decken können.
Der Flüchtlingsrat bemängelte schlechte Informationspolitik und falsche oder unverständliche Berechnungen. Von 437 Anträgen wurden am Ende nur 25 bewilligt.
Die zuständige Botschaft in Teheran vergibt kaum Termine; ob es schon jemand nach Deutschland geschafft hat, ist unklar. Initiativen wie Fluchtraum fordern den Bremer Senat auf, auf die Botschaft einzuwirken. Der Innensenator will mit dem Auswärtigen Amt Kontakt aufnehmen.
Rahemy: Ich habe es bei allen Nachbarstaaten versucht: Zuerst bei der Deutschen Botschaft in Islamabad, Pakistan, später bei der Botschaft in Bagdad, aber nichts von ihnen gehört. Aus Usbekistan gab es eine Absage. In der Deutschen Botschaft in Shanghai in China haben sie mir schnell einen Termin gegeben. Vor zehn Tagen wäre der gewesen. Aber wir haben kein chinesisches Visum für meine Schwester bekommen.
taz: In der vergangenen Woche hatten Sie endlich Erfolg?
Rahemy: Ja, ich habe es noch mal in Islamabad versucht und endlich einen Termin bekommen. Das ist gut. Aber ich weiß nicht, ob es reicht: Um dort das Visum für Deutschland zu beantragen, brauchen wir jetzt schnell ein Visum für Pakistan. Vielleicht haben wir nicht genug Zeit.
taz: Das klingt anstrengend.
Rahemy: Es kostet viel Konzentration, viele Nerven. Aber wenn man muss, dann muss man.
Amena Rahim
31, studierte in Afghanistan Journalismus und BWL und arbeitete seit 2016 für internationale Organisationen, zuletzt für die KfW. Als Ortskraft kam sie nach der Machtübernahme der Taliban 2021 nach Bremen. Hier organisiert sie unter anderem Online-Schulkurse für afghanische Mädchen.
taz: Alle anderen haben noch keinen Termin. Einige Initiativen haben einen offenen Brief an den Bremer Senat geschrieben: Er soll sich dafür einsetzen, dass die Botschaft in Teheran endlich Termine herausgibt.
Rahemy: Ja, das sollen sie tun. Ich finde, dass hier in Deutschland viele große Programme der Regierung nur wie ein Show-off sind, wie Angeberei für die Medien. Das Ortskräfteprogramm, das Bundesaufnahmeprogramm, das Landesaufnahmeprogramm: Für die Menschen eine große Hoffnung, und am Ende gibt es nichts. Es gibt ein Sprichwort bei uns. Einer sagt: Hier ist Honig, iss ihn. Aber die Flasche mit dem Honig ist fest verschlossen. Solche falschen Versprechen sind wie Lügen. Sie sind schlimm für das Vertrauen in die Regierung, auch schlimm für die Wahl.
taz: Wenn alles gut geht mit dem Visum könnte ihre Schwester bald hier sein. Was möchten Sie ihr zeigen?
Rahemy: Insh’allah, das wäre wie ein Traum. Für ein, zwei Monate möchte ich eine Art Urlaub für meine Schwester, sie soll einmal tief atmen können. Ich wohne in der Bremer Neustadt. Jeden Tag möchte ich sie hier zur Kleinen Weser bringen, zum Spazieren. Sie selbst wünscht sich ein E-Bike: Sie will zum ersten Mal Fahrrad fahren. Im April wird sie dann schon 18. Wir müssen schauen, wie wir einen Deutschkurs bekommen, hoffentlich kann sie eine Ausbildung machen.
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