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SelbstbestimmungsgesetzJetzt ist Giulio auch ganz offiziell Giulio

Seit dem 1. November ist es für Transpersonen einfacher, ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Besuch bei einem Standesamt.

Glücklich: Giulio Guccini hat in Leipzig seinen Vornamen und seinen Geschlechtseintrag ändern lassen Foto: Christoph Busse

Leipzig taz | „Jetzt erst mal eine rauchen“, sagt Giulio Guccini an einem Montagmorgen Anfang November. Er kommt gerade aus dem holzgetäfelten Eingang des Standesamtes und dreht sich eine Zigarette. Auf den Treppen posieren sonst oft Brautpaare für Fotos. An diesem Morgen brechen viele junge Leute die bürgerliche Kulisse mit bunt gefärbten Haaren und Kapuzenpullovern. Einer davon ist Guccini. Seit einer halben Stunde hat er auf dem Papier einen neuen Vornamen und ein anderes Geschlecht. „Heute ist es endlich passiert“, sagt er und zieht an seiner Zigarette.

Ab dem 1. November ist es Personen möglich, auf dem Standesamt ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag unbürokratisch ändern zu lassen. Es gilt als eines der wenigen gesellschaftspolitischen Vorhaben, die von der Ampel tatsächlich umgesetzt worden sind. Das ist eine große Errungenschaft für trans, inter und non-binäre Personen (kurz TIN*), die zuvor demütigende Prozesse über sich ergehen lassen mussten. Das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz löst das veraltete Transsexuellengesetz ab. Es galt als verfassungswidrig. Für die Betroffenen bedeutet das: Gutachten, Gerichtsverfahren und hohe Kosten fallen ab sofort weg.

TIN* Personen umfassen laut Einschätzung verschiedener Verbände rund ein Prozent der deutschen Bevölkerung. Im Standesamt bekommt die kleine Zahl viele Gesichter. Allein in Leipzig haben sich rund 700 Personen für eine Eintragsänderung angemeldet. Seit August ist das beim Standesamt mit einem Vorlauf von drei Monaten möglich. Laut Hochrechnungen des Spiegel haben bundesweit rund 15.000 Menschen einen Termin. Wie läuft so ein Besuch beim deutschen Amt?

Giulio Guccini ist einer der ersten, die in Leipzig einen Termin bekommen haben. Der 27-Jährige ist Schulbegleiter für ein autistisches Kind. „Es ist süß, dass manche Leute ihre Freun­d:in­nen mitbringen. Eigentlich ist es ja nur ein schneller Besuch bei einer Behörde“, sagt Guccini. Neben ihm umarmt sich eine Gruppe Zwanzigjähriger. Es ist kurz vor elf. Guccinis Termin beginnt um Punkt.

Sorge vor ungeschultem Personal

„Ich habe Sorge, dass der Deadname gleich fällt“, sagt Guccini und nestelt an einem braunen Umschlag. Darin steckt seine Geburtsurkunde, die er ändern lassen wird. Als Deadname bezeichnen Transpersonen ihren ursprünglichen Namen. Ihn zu hören oder zu verwenden ist für sie oft mit Schmerz verbunden. Das kommt einem ständigen Outing gleich, weil das trans Sein ungewollt Thema wird. Auch das Misgendern, also ihn als Frau statt als Herrn Guccini anzusprechen, ist diskriminierend.

Mit seinem bei Geburt zugewiesenem Vornamen und weiblichem Geschlecht identifiziert Guccini sich nicht. „Niemand, der mich kennt, nutzt meinen Deadname. Ich bin schon lange Giulio. Der Name passt als Halbitaliener gut zu mir“, sagt er im Wartesaal des Standesamtes.

„Sie haben Glück, dass Sie in Leipzig wohnen“, sagt die Beamtin beim Öffnen der Bürotür. Hier habe man sich schlau gemacht, wie alles läuft. Die hohe Zahl der Vorabanmeldungen hätte zu einer gründlichen Vorbereitung geführt. Sie hält ihr Wort: Alles verläuft so banal wie bei jedem anderen Amtstermin auch. Ihre Kunstnägel klackern kurz über die Tastatur und schon spuckt ein Drucker die Formulare aus.

„Das sind die Namen, die derzeit in Ihrem Ausweis stehen“, diskret deutet die Mitarbeiterin auf den alten Vornamen, ohne ihn auszusprechen. „Hiermit unterschreiben Sie, dass Sie nun Giulio Gianni Guccini heißen und den männlichen Geschlechtseintrag haben möchten“, erklärt sie.

Und dann ein neuer Ausweis

Guccini unterschreibt einige Zettel. Der Antrag kostet dreißig Euro. Sein zuständiges Standesamt ist im niedersächsischen Stade. Seine Formulare werden dorthin weitergeleitet.

„Denken Sie daran, bei der Bank, der Uni und allem anderen anzurufen und den Namen zu ändern“, erinnert die Frau ihn. Sobald die geänderte Geburtsurkunde da ist, kann Guccini offiziell seinen Personalausweis und Reisepass neu beantragen. „Wenn ich den Perso wirklich in der Hand habe, feiere ich das mit Freund:innen.“ Neue Passfotos habe er schon gemacht. Seinen Termin beschreibt Guccini als angenehm. Keine seiner Sorgen habe sich bestätigt. Vielerorts wurde vorab vor ungeschulten Mitarbeitenden gewarnt.

400 Kilometer weiter südlich hat Kim Endisch anderes erlebt. Am Telefon erzählt Endisch, dass es in der bayerischen Stadt Mainburg beim Standesamt einige Hürden gab. Der Antrag kostete doppelt so viel wie in Leipzig. Pro Änderung wird abgerechnet: Name plus Geschlechtseintrag ergeben dann sechzig Euro. Außerdem fiel mehrfach der Deadname von Endisch. Eine Schulung der Mitarbeitenden hat laut Endisch zu dem Zeitpunkt noch nicht stattgefunden. Auch sei die Software für den Antrag nicht aktualisiert.

„Es war unangenehm, aber damit habe ich gerechnet. Bayern versucht es Transpersonen möglichst schwer zu machen“, sagt Endisch. Und meint damit die Staatsregierung um CSU-Ministerpräsident Markus Söder. Aus Sorge vor Einwänden auf dem Standesamt hat Endisch einen Nachweis darüber mitgebracht, dass der Name unisex sei.

Nicht alle Vornamen sind erlaubt

Solche Sorgen sind nicht ganz unbegründet. „Jeder Standesbeamte ist weisungsfrei“, erklärt die Beamtin aus dem Leipziger Standesamt. Das heißt, das Standesamt entscheidet, ob ein Vorname zulässig ist. „Zu schräge Vornamen etwa wie die von Elon Musks Kindern (der Sohn heißt „X Æ A-Xii“, die Tochter „Exa Dark Sideræl“, Anmerkung der Redaktion) sind weiterhin nicht erlaubt.“ Im Zweifel müsse man zu einer Namensberatungsstelle, um den Wunsch zu prüfen. Guccinis Fall ist auch deswegen unstrittig, weil er einen männlichen Geschlechtseintrag und einen dazu passenden Namen gewählt hat. Er könnte sich als Mann nicht offiziell Julia nennen.

Trotz des erfolgreichen Termins wirkt Guccini im Anschluss nachdenklich. Es wäre schön, etwas in der Hand zu halten, das bestätigt, was gerade Großes passiert sei. Ein paar Schritte vom Standesamt entfernt ist ein Café. Er gönnt sich zur Feier des Tages einen Apfelkuchen.

„Hast du gesehen, dass ich die Karte beim Bezahlen so verdecke?“, fragt Guccini. Er hebt die Hand mit der EC-Karte. Sein Daumen liegt über dem Namen. „Auch wenn es wahrscheinlich niemanden juckt, ich will meinen Deadname darauf nicht zeigen. Das sind alles Momente, die sich für mich ändern werden.“ Er lächelt. Mit jeder Anekdote wird klarer, wie oft Guccini mit seinem trans Sein konfrontiert wird. Er erzählt von diskriminierenden Momenten im Wartezimmer beim Arzt oder bei der Fahrscheinkontrolle. „Vieles in meinem Leben konnte ich auch so ändern, aber manche Situationen sind von Ausweisen abhängig.“

Auf seiner „gender journey“, wie er es nennt, habe Guccini lange gebraucht, um sich als Transmann zu akzeptieren. Aber ein nicht-binärer Eintrag und damit der Eintrag „X“ im Ausweis war für ihn ausgeschlossen. Seine Schwester wohnt in Kanada. „Wenn ich sie besuchen oder auch verreisen will, kann ein X im Reisepass Probleme machen.“

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