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Auf sie mit Durcheinandergebrüll!

Allzu plakativ: Am Theater Osnabrück wird die Geschichte des Gerechtigkeit suchenden Michael Kohlhaas zur Krawallnummer

Reiter und Ross: Thomas Kienast auf Michi Wischniowski Foto: Uwe Lewandowski

Von Jens Fischer

Der Anfang täuscht. Lattenzaun und Plastikstuhl auf einem Drehpodium, das könnte ein Hinweis sein auf textkonzentriertes Spartheater. So wird in Osnabrück die Ausgangssituation von Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“ vorgestellt: Den putzig Pferd spielenden Michi Wischniowski muss der leicht ironisch rechtschaffene Kohlhaas (Thomas Kienast) an einer Grenze zurücklassen: Der Grund-und-Boden-Besitzer fordert ein Pfand für einen fehlenden Passierschein.

Als der Rosshändler zurückkehrt, liegt sein Gaul fast totgeschunden am Boden. Zunehmend empört erzählt Kohlhaas, wie er am korrupten Rechtssystem scheitert. Bei einem Bittgesuch wird auch noch seine Frau (Rebekka Biener) tödlich verletzt.

Aus ein bisschen Bewunderung für Herrn Kohlhaas, der den vorgeschriebenen Weg durch die Instanzen geht, erwächst Mitgefühl angesichts der quälenden Ungerechtigkeiten. Jetzt müsste, der Vorlage gemäß, Verstörung einsetzen: darüber, dass der Protagonist sich zum unbeugsamen Idealisten stilisiert, der gegen ein repressives System kämpft. Dabei aber der Psychologie des Terrorismus folgt und selbst Brandschatzer und Mörder wird.

Diese Verstörung sucht auch Lorenz Noltings Inszenierung – will sie aber nicht anhand von Kleist auf der Bühne entwickeln, sondern unter dem Titel „Kohlhaas (Glück der Erde, Rücken der Pferde)“ mit selbst- sowie von Sofie Boiten verfassten Texten im Publikum provozieren. Dort sieht Kohlhaas einen „Acker voller Keime des Zorns! Keime, die nur einen Kippmoment davon entfernt sind, zu voller Ernte aufzublühen!“ Oder: „Wir haben hier gemeinsam genug Probleme im Raum, um ganz Deutschland anzuzünden.“

Schon toben Anklagen los: Großkonzerne werden als Burgen heutiger Feudalherrscher bezeichnet. Es fallen Stichworte wie „Cum-Ex-Strafverfahren“, „Mobbing“, „Jeff Bezos“ und so weiter. Auf dass wir Zu­schaue­r:in­nen den inneren Schalter umlegen, die Weltlage nicht mehr bloß hinnehmen, sondern Widerstand als unsere Pflicht ansehen? Ob damit nun Wutbürgertum, AfD-Hetze oder RAF-Gewalt gemeint sind, bleibt unklar. Denn es regiert ein in die Unverständlichkeit galoppierender Dauererregungstonfall, das Genre: Vollgas-Schreitheater.

Bald sind Kohlhaas und die wieder lebendige Gattin in Cowboy-Lächerlichkeit hergerichteter Gegensatz: Sie will die Reformation der Verhältnisse ohne Gewalt, er schmeißt sich in Piffpaffpuff-Pose und zieht sich zu Orgelmusik in den Untergrund zurück, einen plastikgrünen Nebenraum, um die Revolution zu planen.

Irgendwann sinkt er zusammen und rätselt lauthals, was sein Antrieb sei und woran er glaube. Eine Teufelspuppe räsoniert rasend, dass nur an den Markt zu glauben sei als „die ordnende allwissende Kraft“. Ja, schon die Französische Revolution habe „nur neue Käuferschichten freigesetzt, die endlich auch so konsumieren konnten wie das Ancien Regime! Kuchen! Käse! Champagner!“ Genauso sei es gewesen bei der Russischen Revolution, beim Prager Frühling und am Ende der DDR.

Aber das alles ist nur in der Textfassung nachzulesen: Live lässt sich kaum etwas nachvollziehen im performativen Durcheinanderbrüllen gegen das Ohnmachtsgefühl. Dazu spendiert die Regie Nebel, Metal-Musik, Videos, Bühnenrotation, Lichteffekte, Agitprop-Parolen, Gesänge, Leidensausdrucktanz, Flugblätter … nur das Pferd, das wahre Opfer, bleibt zumeist unbeachtet am Rand des Tohuwabohus. Sklavenhaft klopft es Steine oder boxt in Napoleon-Uniform.

Wer mag, kann nun über Kleists feindliche Haltung gegen den französischen Kaiser nachdenken. Aber dazu müsste man davon schon etwas wissen, denn dieser laut-grelle Theaterabend vermittelt statt historischer Einordnung hauptsächlich die Behauptung von Aktualität.

nächste Vorstellungen: 11. 12.; 4., 7. + 8. 1. 2025, Osnabrück, Emma-Theater

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