Begegnungen in Frankfurt (Oder): Die Freude am Provinzschock

In Frankfurt kann man noch neues kennenlernen. Interessant ist etwa zu beobachten, was Begegnungen mit zeitgenössischer Kunst auslösen können.

Das alte Gebäude des Kleist-Museums und daneben der Neubau in Frankfurt (Oder)

Ein Besuch wert in Frankfurt (Oder): das Kleist-Museum Foto: picture alliance/dpa/Patrick Pleul

Trotz Theaterferien finden sich in unserem Städtchen derzeit immer Veranstaltungen – die meist spannender ausfallen, als ihre Ankündigung klingt. Keine Ahnung, wie das funktioniert. Aber in diesem konkreten Fall: dem Provinzschock sei Dank. Eine Malereiklasse der Kunsthochschule Weißensee hat nämlich eine Ausstellung im Frankfurter Kleist-Museum gestaltet. In „Chroniken des Verrats“ haben die Studierenden Motive aus dem literarischen Schaffen von Heinrich von Kleist in ganz unterschiedlichen Techniken der zeitgenössischen bildenden Kunst verarbeitet. Ich vermute stark, in Berlin wäre das absolut nichts Besonderes.

Aber hier in Frankfurt (Oder), am ganz östlichen Ende von Deutschland, treffen bei der Vernissage die assoziativen Kunstwerke und abstrakten Erläuterungen ihrer Schöp­fe­r*in­nen auf ein lokales Publikum − sehr kulturinteressiert, aber doch etwas konservativer als in der Hauptstadt. Zwischen Ölgemälde, Videoinstallationen und Grafiken bemalt sich also eine in Leinen gekleidete Person mit Wachsstiften. Auf den überspannten Reifen steht ein rassismus- und patricharchatskritischer Brief an Kleist. Im Hintergrund läuft der Ton zu einem Film. Um die 50 Leute drängeln sich in den Ausstellungsraum und schauen sich mit fragenden Gesichtern um.

„Also, wenn der Ton zu der Vorstellung hier gehört, sollte man den lauter machen“, kritisiert ein älterer Besucher. Aber der Ton gehört nicht zur stummen Performance. „Kommt da jetzt noch was?“, wird in einer anderen Ecke gefragt. Der Ungeduld Rechnung tragend, beginnt die Führung mit den Kunstschaffenden. „Zu welchem Kleist-Werk gehört das jetzt?“, fragt jemand. Die Künstlerin erklärt überrascht, aber geduldig.

An einem zweiflügligen Altar mit bunten Pferdemotiven freut sich eine Besucherin: „Das ist ja eindeutig, das verstehe ich endlich!“ Dutzende neugierige Augen erkunden die Details auf dem Holz, später noch die Grafiken eines Syrers über seine Flucht.

Freude am Kulturschock

Das Kennenlernen klappt. Und ich hoffe, alle Anwesenden hatten letztlich Freude an diesem kleinen Kulturschock. Denn der ist, wenn wir ehrlich sind, gar nicht so selten.

Selber Tag, selber Ort. Wir haben gerade privat Besuch aus Berlin. Und der ist auch so wunderbar neugierig schockiert von Dingen, die hier normal scheinen. „Was, die Polizei kontrolliert hier ständig, wer über die Brücke geht?“ Ja, das Migrationsthema wird doch medienwirksam debattiert. „Was, die Studierenden gehen nicht hier feiern, sondern fahren dafür nach Berlin?“ Ja, die wenigsten wohnen hier. Leider. „Was, viele Tesla-Mitarbeitende kommen aus Polen und fahren hier jeden Tag stundenlang zur Arbeit?“ Ja, zu anderen Betrieben gibt es sogar mehrmals täglich Shuttle-Busse.

Ich find’s ja klasse: Die Provinz ist noch zu schocken. Die Provinz kann noch schocken. Das macht Spaß. Liebe Ber­li­ne­r*in­nen, kommt uns öfter besuchen! Tipp: Am 2. September ist wieder Frankfurt-Słubice-Pride.

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Jahrgang 1988, freie Autorin, wohnhaft in Frankfurt (Oder). Themenschwerpunkte: Gesellschaft und Kultur jenseits von Berlin in östlicher Richtung. In der taz erkundet sie monatlich die liebenswürdigen Widersprüche der deutsch-polnischen Oder-Grenzregion (Kolumne grenzwertig) und berichtet aus der Ukraine.

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