Design für Kinder: Wo ist der latest Shit?
Das Berliner Bröhan-Museum untersucht „Design für Kinder“ seit der Zeit der Reformbewegung. Die Ausstellung weist jedoch einige Leerstellen auf.
Das von dem Münchner Kommunikationsdesigner Gerwin Schmidt entworfene Plakat ist gut gemeint, dürfte aber auch eine abschreckende Wirkung entfalten: Neben den Worten „Design für Kinder“ gruppieren sich mit Wachsmalstiften gezeichnete fröhliche Monster um ein Fotomotiv.
Darauf jedoch sieht man keine „Kinder“, sondern einen blonden Jungen um 1966 in Lederkniebundhose. Etwas ängstlich in die Kamera schauend, schmiegt er sich gestellt in die Formen einer von Günter Beltzig entworfenen „Schaukelwanne“.
Nicht jedes Kind in der Stadt dürfte sich durch das historische Identifikationsangebot des Fotomotivs angesprochen fühlen. Erwachsene hingegen könnten rasch erahnen, dass das Plakat eine Ausstellung zu einem museal eher selten gezeigten Aspekt der Designgeschichte bewirbt.
„Design für Kinder“: Bröhan-Museum Berlin. Bis 16. Februar 2025
Dass sich „Design für Kinder“, die von einem Team um Anna Grosskopf, Kuratorin am Bröhan-Museum, für diesen Ort konzipierte Ausstellung an Erwachsene und Kinder richtet, wird beim Besuch aber schnell klar: Die für Besucher*innen verschiedener Größen ähnlich gut sichtbaren rund 250 Exponate werden durch 13 „Spielstationen“ ergänzt, an denen Kinder das Gezeigte gespielt in Funktion setzen können.
Spielzeugfiguren aus Holz
Zu sehen sind Beispiele aus Spielzeug-, Möbel-, Grafik- und Produktdesign für Kinder seit der Zeit der Reformbewegung um 1900. Zunächst chronologisch, im Verlauf des Parcours dann immer mehr thematisch gruppiert, beginnt man etwa bei den Miniaturen der Dresdner Werkstätten – Spielzeugfiguren aus Holz, mit denen so naturalistisch wie stilisiert Straßenszenen nachgeahmt werden konnten.
Man staunt über die frühen Abstraktionen in den expressionistischen Holzspielzeugen des Malers Georg Weidenbacher und schmunzelt darüber, dass die bunten Flickentiere der in der Charlottenburger Teresa-Werkstatt tätigen Resi Brandl tatsächlich als „Buflis“ vermarktet wurden.
Ganz klassisch führt die Ausstellung weiter in die Moderne, zeigt einen Nachbau des multifunktionalen Kinderspielschranks „TI 24“ der Bauhaus-Studentin Alma Siedhoff-Buscher, 1923 für das Kinderzimmer des Weimarer Hauses „Am Horn“ entworfen.
Weiter geht es mit niederländischen, von dem Modernisten Gerrit Rietveld und der „De Stijl“-Gruppe inspirierten Entwürfen von Klötzen oder Spielautos aus Holz, an denen sich – für die, die es sich leisten konnte – Grundformen und Primärfarben so richtig austoben durften.
Ein paar zeittypische Stahlrohrmöbel gesellen sich dazu, und auch wenn man Material, Form und Funktion kennt, sieht man hier doch überraschend immer kleine Versionen als Kindermöbel, erfährt dabei, dass auch der bekannte Freischwinger von Marcel Breuer von Anfang an als Kinderstuhl konzipiert war.
Nationalsozialismus wird ausgelassen
Den Zivilisationsbruch der 1930er und 40er, der sich fraglos auch im Design für Kinderspielzeug abbilden ließe, lässt die Ausstellung aus (auch die Militarisierung von Spielzeug zum 1. Weltkrieg spielte zuvor bereits keine Rolle), um dann ganz poppig auf den Stühlen des Plastic Age der 1970er, der Postmoderne der 1980er oder der Ikea-Welt von heute zu landen.
Eine nicht nachvollziehbare kuratorische Entscheidung. In der kürzlich in Weimar vom dortigen Bauhaus-Museum realisierten Ausstellung „Bauhaus und Nationalsozialismus“ wurde die Kinderwiege für Karl Otto und Ilse Koch (dem Buchenwalder Lagerkommandanten und dessen Frau) gezeigt, entworfen vom früheren Bauhaus-Studenten Franz Ehrlich, der ab 1937 als politischer Häftling in Buchenwald als Opfer für die Täter gestalten musste.
Dies wäre nur ein Beispiel dafür, dass man Design für Kinder im Nationalsozialismus gerade in einem Berliner Designmuseum nicht überspringen kann, zeigen müsste.
Teils hochinteressante Exponate
Die entstandene Leerstelle bleibt, trotz der teils hochinteressanten Exponate: Originale und Modelle der vielgestaltigen Spielplatzgeräte und -architekturen des vor zwei Jahren verstorbenen Beltzig seit den 1970er Jahren, auf vielen Berliner Spielplätzen anzufinden, das metallene Multifunktionsmöbel „Abitacolo“ („Cockpit“) von Bruno Munari (1971) oder fantastische Baukästen, etwa der von Bruno Taut miterfundene, sehr seltene „Dandanah“ (1920) mit bunten Glasbausteinen.
Auch zeithistorisch bleiben Leerstellen, gibt es ein loses Ende, denn wo ist hier – frei nach dem Meme-Designer Mike Meiré – der latest Shit? Handhelds? Game Design? Überhaupt: Spielzeuge mit Elektroantrieb? Auch das ist seit Jahrzehnten gebrauchtes, designhistorisch längst erfasstes „Design für Kinder“, kommt aber in der Ausstellung nicht vor.
Und so liegt der Kardinalfehler der Ausstellungskonzeption wohl darin, bei großer Unentschiedenheit Kinder zum Sonderfall des Designs erklären zu wollen. Denn im Umkehrschluss: Welches Museum würde eine Ausstellung ohne Not „Design für Erwachsene“ nennen?
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