„Marsch für das Leben“ und Gegendemo: Getrennt durchs Brandenburger Tor

Christliche Fun­da­men­ta­lis­t:in­nen und Rechtsaußen demonstrierten am Samstag gegen das Recht auf Abtreibung. Doch sie stießen auf lauten Protest.

Ein Protestschild, auf dem steht: "Maul, geh beten"

Der Marsch für das Leben stieß auf Protest Foto: Paul Zinken/dpa

Berlin taz | Auf dem Pariser Platz stehen Tou­ris­t:in­nen und machen mit ihren Smartphones Fotos voneinander: im Hintergrund das Brandenburger Tor – und ein großer Transporter. Wie bei einem riesigen Imbisswagen ist die eine Seite hochgeklappt. Dort stehen drei Mikros. Silberne Luftballons, die wie Discokugeln aussehen, sind am Wagen befestigt und glitzern in der Sonne. Im Wagen hängt ein großes Banner mit der Aufschrift: „Mein Körper, meine Verantwortung, meine Entscheidung.“ Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung (BfsS) hat zum Aktionstag „selbstbestimmt leben“ aufgerufen. Das Bündnis fordert die Streichung von Paragraph 218 im Strafgesetzbuch, der regelt, dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verboten und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei sind.

Vor dem Wagen stehen junge und alte Frauen, Menschen mit Regenbogenfahnen, Familien mit Kinderwagen. Céline Feldmann steigt hoch in den Truck und tritt an eins der Mikros. Sie ist Juristin und Vorsitzende der Arbeitsgruppe zu Paragraph 218 beim Deutsche Juristinnenbund. Sie trägt ein grünes Halstuch, darauf steht: „#WegMit218Jetzt!“. Es sei höchste Zeit, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren: „Kriminalisierung verhindert keine Abbrüche, sondern macht sie unsicher“, sagt Feldmann. Statt Strafe brauche es Unterstützung.

Der taz sagt Feldmann: „Wir sehen, dass die Versorgungslage prekär ist. Beispielsweise in Bayern müssen schwangere Personen mitunter über zweihundert Kilometer reisen, um einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen.“ Viele Ärz­t*in­nen im ländlichen Raum wollten keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen, weil sie Angst vor Stigmatisierung hätten.

Zwischen den verschiedenen Redebeiträgen rufen die Moderatorinnen immer wieder: „My body, my choice!“ Die Demonstrierenden stimmen mit ein: „Raise your voice!“ 450 Menschen sind laut Polizei zusammengekommen.

Ines Scheibe ist Mitgründerin des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung, das die Demonstration angemeldet hat. „Es ist wichtig, dass wir heute ein Zeichen gegen den sogenannten ‚Marsch für das Leben‘ setzen und zeigen, dass es progressive Stimmen gibt“, sagt Scheibe der taz. Es sei wichtig, genau jetzt auf die Straße zu gehen, weil es mit einer anderen Bundesregierung noch schwieriger werden könnte, Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetzbuch zu holen: „Wenn die Christdemokraten nächstes Jahr in die Regierung kommen, dann wird es keine Entkriminalisierung geben“, sagt Scheibe.

Ab­trei­bungs­geg­ne­r:in­nen auf der anderen Seite

Blick man durch das Brandenburger Tor, steht auch dort eine Bühne, die mit Luftballons geschmückt ist. Darauf steht ein junger Mann. Er singt „Valerie“ von Amy Winehouse. Die Menge davor ist gemischt: Senior:innen, junge Familien mit Kindern und Jugendliche. Sie sind beim „Marsch für das Leben“. Dieser richtet sich gegen Schwangerschaftsabbrüche und Sterbehilfe. Unter den De­mons­tran­t:in­nen sind Abtreibungsgegner:innen, konservative Politiker:innen, christliche Fundamentalist:innen, aber in den letzten Jahren vermehrt auch Ultrarechte. Auch in diesem Jahr beteiligt sich wieder die AfD-Politikerin Beatrix von Storch, außerdem ein Trump-Unterstützer und Vertrauter des argentinischen Präsidenten Javier Millei. Ein Mädchen trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „I love Jesus“. Luftballons und Schilder mit Aufschriften wie „Das Leben ist schön“ oder „Frauenrechte beginnen im Mutterleib“ werden verteilt.

Der Marsch bedient sich auch dieses Jahr der bekannten Slogans und Motive. Neben der Bühne stehen weiße Holzkreuze. Die Abtreibungsgegnerin Alicia Düren sagt auf der Bühne unter Tränen, dass jeden Werktag 400 Kinder in Deutschland getötet würden. Schwangere müssten sich gegen Abtreibung entscheiden, egal wie schwierig die Umstände seien. Durch das Brandenburger Tor dringen das Pfeifen und die Rufe der Gegenseite.

Die Ab­trei­bungs­geg­ne­r:in­nen kritisieren unter anderem die „Bannmeile“ um Abtreibungskliniken und Schwangerschaftskonfliktberatungen, die der Bundestag im Juli beschlossen hat. Sie soll verhindern, dass Ab­trei­bungs­geg­ne­r:in­nen sich rund um diese Einrichtungen den Schwangeren aufdrängen oder sie bedrohen.

Nun soll es eine Schweigeminute für alle „abgetriebenen Kinder“ geben. Es ist kaum still geworden, da rufen aus der Menge plötzlich drei junge Frauen: „My Body, my Choice, raise your Voice!“ Sie haben sich von der Gegendemo untergemischt. Ältere Frauen vom „Marsch für das Leben“ gehen auf sie zu und sehen aus, als wollten sie, ihnen die Münder zuzuhalten. Dann werden die Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen von der Polizei weggeleitet.

Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen stören den Marsch

Kurz danach setzt sich der „Marsch für das Leben“ in Bewegung. Eine Sprecherin der Polizei spricht von bis zu 2000 Demonstrant:innen. Der Zug ist noch nicht weit gekommen, da bildet sich eine Sitzblockade der Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen mitten unter den Leuten des Marsches. Sie rufen Sprechgesänge und tragen pinke und lilafarbene Regenschirme.

Als der „Marsch für das Leben“ zurück am Brandenburger Tor angelangt ist, kommt es bei der Abschlusskundgebung zu einer weiteren Protestaktion: Während ein Bischof des Berliner Erzbistums mit den Ab­trei­bungs­geg­ne­r:in­nen Kirchenlieder singt, stürmen einige Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen die Bühne.

Vorher war die Demo der Ge­gen­de­mons­tran­t:in­nen vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung (BfsS) vom Brandenburger Tor zum Bebelplatz gelaufen. An dem Protest beteiligten sich auch die „Omas gegen rechts“. „Es ist ganz klar, dass wenn die Rechten stärker werden, zuerst die Frauenrechte beschnitten werden“, sagt Angelika Krüger von der Berliner Ortsgruppe. Das sehe man in vielen Ländern. „Wir haben heute schon mehrmals gehört, dass zwei Drittel der Menschen in Deutschland für die Abschaffung von Paragraph 218 sind. Aber wo sind die heute?“, fragt Krüger.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.