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Koalition ohne Kickl gesucht

Die rechtsradikale FPÖ gewinnt mit den Themen Corona und Migration die Nationalratswahlen in Österreich. Koalitionspartner hat sie allerdings keine. Denkbar wäre eine Große Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten – wenn Letztere denn mitspielen

Das geht gegen Herbert Kickl, Spitzenkandidat der FPÖ und gemeinhein als Nazi wahrgenommen: Proteste nach den Nationalratswahlen am Sonntag in Wien Foto: Foto:Leutner/reuters

Aus Wien Florian Bayer

Noch am Wahlabend sah sich Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu einer ungewöhnlichen Stellungnahme bemüßigt. „Ich werde nach bestem Wissen und Gewissen darauf achten, dass die Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie respektiert werden: etwa Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft“, sagte Van der Bellen. Aber was jahrelang selbstverständlich war, ist es nach dem fulminanten Wahlsieg der FPÖ vom Sonntag eben nicht mehr.

Die rechtsradikale Partei erzielte in den Nationalratswahlen 28,8 Prozent und damit das beste Ergebnis ihrer Geschichte. Damit übertraf sie alle Umfragen und landete überraschend deutlich vor der zweitplatzierten ÖVP (26,3 Prozent). Abgeschlagen auf Platz drei: Die Sozialdemokraten (21,1 Prozent) unter der einstigen Zukunftshoffnung Andreas Babler. Unter ferner liefen: Die liberalen Neos (9,2 Prozent) sowie die Grünen (8,3 Prozent), die zuletzt mit der ÖVP eine Koalition bildeten.

Nun fragt sich ganz Österreich gespannt, wer künftig regieren wird. Paradoxerweise wurde eine Regierungsbeteiligung der FPÖ durch ihren Wahlsieg unwahrscheinlicher. Denn ihr einziger möglicher Partner wäre die ÖVP, die aber nur ungern Juniorpartner in einer von Kickl angeführten Koalition würde.

Unerwartet tat sich am Wahlabend aber eine andere Option auf. Weil mehrere Kleinparteien – unter anderem BIER und die KPÖ – unter der Vierprozenthürde blieben, gab es ausreichend Mandate für ÖVP und SPÖ, um gemeinsam eine hauchdünne Mehrheit im Parlament zu haben: 94 von 183 Mandaten entfallen auf Sozialdemokraten und Konservative.

Die früher so verhasste, für Stillstand stehende und nicht mehr ganz so große „Große Koalition“ ist nun also der Hoffnungsträger für all diejenigen, die die FPÖ nicht in der Regierung sehen wollen. Es wäre wohl auch einfacher, nur die Interessen von zwei Partnern unter einen Hut bringen zu müssen als eine Dreierkoalition von ÖVP, SPÖ und Neos, die zuvor als wahrscheinlichste Variante galt. Zumal gerade in der Sozialpolitik die Liberalen und die Sozialdemokraten weit auseinanderliegen.

Wie es nun weitergeht, liegt vor allem in den Händen der ÖVP. Ohne sie kann es keine Regierungsmehrheit geben. Die großen Parteien ließen sich vor der Wahl dennoch nicht in die Karten blicken und tun es auch nicht am Tag danach. Mit wenigen Ausnahmen: Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, vor allem als Unruhestifter innerhalb der SPÖ bekannt, sprach sich am Montag dezidiert für eine Oppositionsrolle aus. Andere Schwergewichte in der Partei, etwa der Wiener Flügel, wollen aber regieren, ist doch die SPÖ bereits seit Ende 2017 in Opposition.

Doskozil empfahl, erst mal nach den Ursachen der SPÖ-Schlappe zu suchen, immerhin ist es das schlechteste Ergebnis aller Zeiten für die Sozialdemokraten – dabei haben sie zuletzt nicht einmal regiert. Der FPÖ gestand er zu, besser als alle anderen Parteien mobilisiert zu haben.

Wie ist ihr das gelungen? Der derart eindeutige FPÖ-Sieg überraschte auch viele Beobachter. Weil die Partei tatsächlich deutlich nach rechts rutschte, wenn sie etwa einer Weltverschwörung durch die Weltgesundheitsorganisation WHO das Wort redet oder einen totalen Asylstopp fordert. Weil Kickl kein besonderer Sympathieträger ist. Und weil der Ibiza-Skandal um veruntreute Partei­spendengelder und russische Einflussnahme, in den der damalige FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache verwickelt war, auch erst fünf Jahre zurückliegt. Bei den Neuwahlen nach der Ibiza-Affäre im Herbst 2019 war die FPÖ von 26 auf 16 Prozent abgestürzt.

Eine Nachwahl-befragung zeigt, dass die FPÖ nicht wegen Kickl gewählt wurde

All das scheint nun vergessen. Die Freiheitlichen profitierten von ihrem Kurs gegen die Coronamaßnahmen. Auch schaffte es die FPÖ, sich erfolgreich als Alternative zum „System“ zu präsentierten, wiewohl Kickl seit mehr als 20 Jahren diverse hochrangige Parteiämter ausfüllt. Dank FPÖ-TV und Telegram ist die Partei auch nicht mehr auf klassische Medien angewiesen. Spitzenkandidat Kickl schlug mehrere Interviews und Wahlduelle im Vorfeld der Wahl aus, dem öffentlich-rechtlichen ORF gab er am Wahlabend kein Interview.

Deutlich wurde in einer Nachwahlbefragung, dass die FPÖ nicht wegen ihres Spitzenkandidaten gewählt wurde. Wichtiger als Kickl seien demnach die Themen gewesen. Mehr als acht von zehn FPÖ-Wähler:innen sehen außerdem die Entwicklung Österreichs negativ und die Interessen der Menschen im Parlament nicht gut abgebildet. Für zwei Drittel der FPÖ-Klientel spielte das Thema Zuwanderung eine besondere Rolle bei der Wahlentscheidung, noch vor der Teuerung und Sicherheitsthemen.

Österreich steht vor langwierigen und schwierigen Regierungsverhandlungen. Schon jetzt fest steht der massive Rechtsruck, der durch das Land geht.