Social-Media-Verbot für Teenager: Jugendschutz echt daneben

Australien will Teen­age­rn den Zugang zu sozialen Medien verbieten. Dabei sind digitale Räume essenziell und Erfahrungen dort so real wie die analogen.

Zwei Mädchen fotografieren mit ihren Smartphones

Bald kein Social Media mehr für Jugendliche? Foto: Schank/Pond5/imago

Jugendliche einfach aussperren. Das ist die Lösung! Findet zumindest die australische Regierung, die Menschen, bis sie 14 oder 16 Jahre alt sind – so sicher sind sich die Erwachsenen da noch nicht –, den Zugang zu Social Media verbieten will. Dieses sinnfreie und diskriminierende Gesetz soll noch 2024 ins Parlament eingebracht werden, sagt der Premierminister Anthony Albanese.

Wie die Aussperrung aber technisch umgesetzt werden soll, das hat er lieber noch nicht erklärt. Aber egal, welchen Mechanismus er sich da vorstellt: Er wird darauf beruhen, dass Daten über Jugendliche gesammelt und von Konzernen wie Regierung genutzt werden. Eine Dystopie.

Derlei Vorschläge sind aber nicht originär australisch, auch in Deutschland werden sie immer wieder diskutiert. Dabei sind derlei Vorschläge zum einen unsinnig und gefährlich, zum anderen ein Grund, die Altersdiskriminierung einfach mal weiterzudenken.

Ich fordere im Sinne des wutgetriebenen, wissensfreien Ageism: Facebook nur bis 60! Älteren fehlt es an der nötigen digitalen Medienkompetenz. Viel zu schnell lassen sie sich vom Populismus auf dieser Plattform radikalisieren. Und Tiktok auch nur bis 30! Einfach, um den Jüngeren wenigstens ein klein bisschen Platz zu lassen.

Nicht die Opfer aussperren

Gewalt, Betrug und Propaganda sind ernst zu nehmende Gefahren, denen junge Menschen online ausgesetzt sind. Gefahren, um die sich die Politik dringend kümmern muss. Nur ist ein Ausschluss der potenziellen Opfer kein „Kümmern“.

Übersetzen wir das Ganze doch mal in die Erwachsenenwelt: Auf Volksfesten wie dem Oktoberfest werden Gewalttaten begangen, insbesondere sexualisierte von Männern gegen Frauen. Ist die Lösung, Frauen nicht auf diese Feste zu lassen? Es wäre eine faule, diskriminierende Pseudolösung, die jenen schadet, die zu Opfern gemacht werden, nicht jenen, die zu Opfern machen.

Australiens Albanese argumentiert aber nicht nur mit den offensichtlichen Gefahren für Kinder und Jugendliche wie Grooming, Radikalisierung und Mobbing. Er sagt auch, soziale Medien würden Kinder von „echten Freund*innen“ und „echten Erfahrungen“ fernhalten.

Potenzial für echte Lösungen

Wenn Erlebnisse und Freun­d*in­nen auf Social-Media-Plattformen nicht echt sind, was sind die Instagram-Beiträge meiner Cousinen über die Einschulung ihrer Kinder dann? Fragen Sie mal all die Menschen, die sich auf Dating-Apps oder auf Social-Media-Plattformen kennengelernt haben, den größten Liebeskummer ihres Lebens, eine langjährige Beziehung und eventuell sogar ein oder mehrere Kinder dabei gewonnen haben: Ist all das nicht echt? Und war es das nicht auch von Anfang an?

Soziale Medien, egal ob Tiktok, Instagram, Snapchat oder oldschool Foren, haben das Potenzial, echte Lösungen für Probleme aus dem Analogen zu schaffen. Lösungen, die analog nicht entstehen können. Das Internet ist voll von Communitys und Sub-Communitys, die sich so nie oder nur unter größter Anstrengung in der nichtdigitalen Welt begegnen könnten. Das betrifft auch und vor allem Jugendliche und auch und vor allem marginalisierte Menschen. Für sie können soziale Medien lebensrettend sein.

Sich diese Lösungen in der Realität zu schaffen, ist manchmal schwieriger als im Internet. Findet doch mal einen Ort, an dem sich eine queere Jugendgruppe treffen kann. Ein Ort, den alle regelmäßig und problemlos erreichen können, egal ob sie in Nürnberg oder Buxtehude leben, ob sie reich sind oder arm. Ohne Angst, auf dem Weg von Nach­ba­r*in­nen gesehen und verurteilt zu werden oder sogar von expliziten Homo- und Trans-Hassern. Ohne von den Eltern gefragt zu werden, wo man hingehe, und dann im Zweifel lügen zu müssen.

Teen­age­r*in­nen sind schlauer

Gewalt – auch gegen Jugendliche – passiert nicht nur online. Sie passiert im Umgang mit ihnen überall. Ganz besonders dann, wenn sie zu Minderheiten gehören. Vor manchen Fällen dieser Gewalt kann das Internet schützen. Man muss nicht 16 sein, um diesen Schutz zu brauchen. Nicht mal 14.

Wofür man übrigens auch nicht 16 sein muss: Lösungen finden, um Verbote zu umgehen. Teen­age­r*in­nen sind jünger, aber nicht dümmer als Alte. Ich vermute: Sie sind schlauer. Sie wissen, wie man (auch im Digitalen) über Zäune klettert, Löcher reinschneidet, Tunnel darunter gräbt. Das ist eine ihrer Kernkompetenzen, neben dem Infragestellen von Autoritäten und unsinnigen Regeln.

Die Regel, die australische Erwachsene sich da gerade ausdenken, ist so eine. Sie schützt nicht, sondern sie zerstört Schutz.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Redakteur für Medien und Digitales. Ansonsten freier Journalist und Teamer zum Thema Verschwörungserzählungen und Fake News. Steht auf Comics, Zombies und das Internet. Mastodon: @drosdowski@social.anoxinon.de

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben