: Deutschland macht dicht, Brüssel schweigt
Die Bundesregierung will Menschen an den deutschen Grenzen im Eilverfahren überprüfen, inhaftieren und abweisen. Einzelne EU-Länder kündigen Protest an
Aus Brüssel und Berlin Eric Bonse und Konrad Litschko
Die Ansage von Nancy Faeser war markig. Eine „massive Ausweitung“ der Zurückweisungen von Geflüchteten an den deutschen Außengrenzen kündigte die Bundesinnenministerin am Montag an. Wie genau, das wollte Faeser am Dienstagnachmittag erst einmal vertraulich mit der Union besprechen. Und die rechtlichen Hürden sind hoch.
Nun aber plant Faeser ein Novum, um ihre Ankündigung umzusetzen: Schnellverfahren an der deutschen Grenze. Der Plan, den die taz aus Regierungskreisen erfuhr: Äußern Geflüchtete künftig an der deutschen Grenze ein Asylgesuch, soll die Bundespolizei nun im Schnellverfahren prüfen, ob die Personen bereits in einen anderen EU-Staat einreiste, der laut Dublin-Verfahren für das Asylverfahren zuständig wäre. Solange die Prüfung andauert, sollen die Geflüchteten in Grenznähe in Haft genommen werden. Zuständige Gerichte sollen die Haft mit Verweis auf eine Fluchtgefahr und Sicherstellung des Verfahrens verhängen. Die Asylverfahren sollen dann künftig „beschleunigt“ erfolgen, mit Befragungen schon durch die Bundespolizei, deren Ergebnisse an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übermittelt werden sollen. Zugleich soll bei den zuständigen EU-Ländern eine schnelle Zustimmung zur Überstellung der Person erwirkt werden.
Gibt es Klagen der Betroffenen dagegen, sollen diese „zügig“ von den Verwaltungsgerichten entschieden werden. Parallel soll die Bundespolizei den Zurückweisungstermin planen und diesen schnellstmöglich umsetzen. Wie schnell die Verfahren dann am Ende tatsächlich werden und damit auch, wie lang die Haft oder Wohnsitzauflage der Asylsuchenden, bliebe damit offen – denn es sind viele Variablen im Spiel. In Regierungskreisen wird aber beteuert, dass dieses Modell konform mit deutschem und europäischem Recht sei und auch „keine nationalen Alleingänge“ bedeute.
Zurück zu 2015 – nur umgekehrt
Doch in Brüssel sorgt die Politikwende in Deutschland für Diskussion. Betroffen sind nicht nur die neun deutschen Anrainerstaaten. Zuständig ist auch die EU-Kommission, die über die korrekte Anwendung des Schengener Abkommens und der Dublin-Regeln wachen soll. Doch die Brüsseler Behörde, die von der deutschen CDU-Politikerin Ursula von der Leyen geleitet wird, schaltet auf Durchzug. Einschreiten will sie – vorerst – nicht. Auskunft geben auch nicht. Trotz mehrfacher Nachfrage kamen von der EU-Kommission nur ausweichende Antworten. Man sei von der Bundesregierung über die geplanten Maßnahmen informiert (im Amtsdeutsch: notifiziert) worden, erklärte von der Leyens Chefsprecher am Dienstag in Brüssel. Nun werde alles sorgfältig geprüft. Über den Ausgang wolle man nicht spekulieren. Das war’s. Wie lange die Prüfung dauern wird, war in Brüssel ebenso wenig in Erfahrung zu bringen wie die Frage, ob die EU-Kommission am Ende auch Nein sagen könnte. Nicht einmal die Frage, ob Asylbewerber direkt an der Grenze abgewiesen werden dürfen, wurde beantwortet. Dabei ist das die Gretchenfrage, um die sich alles dreht. Sind die deutschen Maßnahmen mit dem Asylrecht, Dublin und Schengen vereinbar?
Eine weitere wichtige Frage ist, ob die deutsche Kehrtwende in der Asyl- und Flüchtlingspolitik einen Schneeballeffekt quer durch Europa auslösen könnte. Polen hat die deutschen Pläne bereits als „inakzeptabel“ zurückgewiesen, Österreich angekündigt, dass es keine Personen aufnehmen will, die aus Deutschland zurückgewiesen werden. Wenn das alle machen, bleiben die Asylbewerber in den Ankunftsstaaten hängen. In Griechenland, Spanien oder Italien droht eine Wiederholung der Krise von 2015/16 – mit umgekehrten Vorzeichen: Statt nach Deutschland ginge es dann zurück auf Start.
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