Pia Frankenberg
: Tagebuch einer Untergrundistin: Mist und Mief

Anlässlich eines Besuchs bei meinem Freund F. lernte ich seine neue Reinigungskraft M. kennen. M. kommt aus der Ukraine, besitzt trotz Flucht und Heimatverlust ein hartnäckig sonniges Wesen, und die beidseitige Verständigung läuft über ein einigermaßen funktionierendes Übersetzungsprogramm.

Während F. und ich uns bei Kaltgetränken am Weltgeschehen vom Nahostkonflikt über den Ukrainekrieg bis zu den ostdeutschen Wahlen abarbeiteten, wirbelte M. durch die Wohnung, saugte Teppiche und bearbeitete Badezimmer. Zwischendurch fragte sie nach meiner Telefonnummer. Sie suche noch zusätzliche Arbeit, klärte F. mich auf.

Auf dem Heimweg schmorte ich mit anderen schweißtriefenden Fahrgästen in der U-Bahn, als eine SMS von „Unbekannt“ auf meinem Handy aufpoppte: „Es tut mir leid, vielleicht haben Sie noch einige Bekannte, die gereinigt werden müssen, ich wäre Ihnen sehr dankbar. M.“

Ich war kurz davor, dem verwirrten Übersetzungsprogramm zu antworten: „Liebe M., mir tut es auch sehr leid. Selten war der allgemeine Reinigungsbedarf so groß“, doch während sich an jedem Halt neue Ausdünstungen mit alten mischten, dachte ich, wie erbeten, über den Reinigungsbedarf meiner Bekannten nach.

Vor Kurzem hatte einer die etwas vage Hoffnung auf die „Selbstreinigungskräfte der Gesellschaft“ geäußert, womit er den allgegenwärtig grassierenden, rechtsextremen Mist meinte. Er ließ auch sogleich Taten folgen, indem er, obwohl ideologisch unverdächtig und die Sache etwas zu wörtlich nehmend, vorsorglich Schritte zu seiner Selbstreinigung einleitete und sich einer sogenannten Darmsanierung unterzog. Die ungebeten detaillierte Schilderung spukt in meiner Erinnerung immer noch herum und liefert verstörende Bilder.

Den Rest der Fahrt beschäftigte mich die Frage, ob die Wissenschaft nicht endlich eine Sanierungsdroge für extremismusverseuchte Hirne entwickeln könnte, die nach kollektiver Verabreichung der darin modernden, völkisch kontaminierten geistigen Schlacke den Garaus machte. Aber solange wir noch auf diese Wunderdroge warten, müssen wir uns was anderes einfallen lassen.

Die Luft in der U-Bahn war jetzt zum Schneiden, und ich träumte, wie sich die Besatzung unseres Wagens brav in einer Reihe aufstellte und sich von M. die verschwitzten Körper und verstopften Hirne durchschrubben ließ, bis wir alle unter einem Schaumteppich verschwanden. Frischer „Seebrise“-Putzmittelduft senkte sich gnädig über die trübe Mischung aus Straßenstaub und Schweiß, Feierabendbier und Hitze-Aggro, und unsere Seelen waren kurzzeitig von Wut und Missgunst, Gleichgültigkeit und all dem anderen Müll gereinigt.

Leider jedoch verschwand das schöne Bild wie eine in der Ferne flimmernde Fata Morgana; dicht gedrängt standen wir in unserem Mief und atmeten so flach wie möglich. M. sucht übrigens immer noch eine Putzstelle.