Zustände im Maßregelvollzug: Kloeimer mit laufender Kamera
Die Nationale Stelle zur Prävention von Folter kritisiert in ihrem Jahresbericht 2023 menschenunwürdige Zustände im Maßregelvollzug.
Mitten im Raum steht eine Art Edelstahlbecken. Das soll die Toilette sein. An der Decke hängt eine laufende Kamera. Deren Bilder werden nicht verpixelt. Das Becken nicht zu benutzen ist für die Menschen in diesem Raum nicht möglich, denn sie verbringen hier zum Teil mehrere Monate.
Der Raum, ein sogenannter Kriseninterventionsraum, gehört zu einer Einrichtung des Maßregelvollzugs in Bad Schussienried in Baden-Württemberg, wie ihn die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter im vergangenen Jahr vorgefunden hat. „Menschenunwürdige Zustände“ seien das, heißt es in ihrem Jahresbericht für das Jahr 2023, den sie am Dienstag vorgestellt hat.
Keine richtige Toilette, Kameraüberwachung: „Eine solche Verfahrensweise vermag Gefühle der Minderwertigkeit auszulösen, die demütigen und erniedrigen können“, heißt es im Bericht. Solche Räume dürften nicht weiter benutzt werden, so die Autor*innen.
Im dritten Jahr in Folge hat sich die Nationale Stelle schwerpunktmäßig mit dem Maßregelvollzug befasst. Dort werden psychisch kranke Straftäter untergebracht, die nicht schuldfähig sind, aber von Gerichten als gefährlich eingestuft wurden. In den Jahren 2021 und 2022 hätten sie „viele kritische Situationen beobachtet, die in einigen Fällen eine schwerwiegende Verletzung der Menschenwürde darstellten“, schreiben die Autor*innen des Jahresberichts in der Einführung. Daher hätten ihre Mitglieder beschlossen, alle forensischen Einrichtungen – eben den Maßregelvollzug – in Deutschland zu besuchen, um sich ein umfassendes Bild zu machen.
Überbelegung und Überbelastung
Jahresbericht 2023
Ihr Fazit: In 14 aller 16 Bundesländer sind die forensischen Kliniken voll belegt oder überbelegt. Einzige Ausnahme bildeten Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Infolge der Überbelegung seien die Patient*innenzimmer doppelt oder dreifach besetzt. Erforderlich sei aber die Einzelunterbringung. Denn: „Die mangelnde Privatsphäre kann Aggressionen auslösen“, sie könne zu Konflikten führen und die medizinische sowie therapeutische Behandlung deutlich erschweren.
Eine weitere Beobachtung: In allen Bundesländern bis auf Rheinland-Pfalz gebe es zu wenig Personal und einen hohen Krankenstand. Für Untergebrachte bedeute dies weniger Therapien und Beschäftigung. Das verfügbare Personal sei überarbeitet. Das trage alles zu einer „angespannten Situation“ bei. Der Personalmangel sei ein Sicherheitsrisiko sowohl für Patient*innen als auch Mitarbeiter*innen.
Im Konkreten beanstandet die Anti-Folterstelle unter anderem den Umgang mit Isolierung. In einigen Isolationsräumen gebe es Urinflaschen und gepresste Pappbecken für Fäkalien. „Das muss morgens durch die gleiche Klappe hinausgereicht werden, durch die dann anschließend das Frühstück hineingereicht wird“, erzählt Rainer Dopp, Mitglied der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter, bei der Vorstellung des Berichts.
„Anders machen kostet nicht immer was“
Er kritisierte auch, dass es in vielen Einrichtungen als einziges Möbel eine auf dem Boden liegende Matratze gebe. „Wenn Sie dort aber länger sind, dann brauchen Sie etwas, um sich hinzusetzen.“ Andere Einrichtungen böten Schaumstoffsessel an. Warum manche Bundesländer diese für eine Gefahr hielten, andere nicht, erschließe sich ihm nicht, erklärte Dopp. Die Anti-Folterstelle wolle mit ihren Besuchen in Einrichtungen dazu „anstacheln, darüber nachzudenken, ob nicht manches anders geht, was als ausgeschlossen galt“. Und: „Anders machen kostet nicht immer was.“
Apropos Kosten: Sowohl Bopp als auch Ralph-Günther Adam, Leiter der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter, bemängelten die Unterfinanzierung ihrer Einrichtung. Während die Mitglieder alle ehrenamtlich arbeiteten, brauche es lediglich Gelder für das Büro und die Besuchsreisen. Zuletzt sei das Budget im Jahr 2020 erhöht worden, doch seitdem sei alles teurer geworden.
In diesem Jahr fehlten noch 60.000 Euro. Aktuell ruhten die Besuche. „Was sollen wir machen?“, fragte Dopp in die Runde. „Sollen wir weitermachen?“ In der Hoffnung, das Geld werde schon noch freigegeben? „Ja, weitermachen“, antwortete Alfred Bindels, der zuständige Abteilungsleiter aus dem Bundesjustizministerium, in Vertretung seines Chefs. Das Geld sei „im Zulauf“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken