Stark-Watzinger unter Druck: Hat die Ministerin gelogen?
In der „Fördergeld-Affäre“ drängt die Opposition auf Aufklärung. Forscher:innen sorgen sich um die Zukunft.
Ein Verdienst, das zu einem hohen Anteil der FDP-Ministerin anzurechnen ist. Doch mit so viel Wohlwollen wie in Hohen Neuendorf, Neubrandenburg oder Aschaffenburg kann Stark-Watzinger aktuell fast nirgendwo mehr rechnen.
Seit Wochen steht Stark-Watzinger im Verdacht, die Öffentlichkeit in der sogenannten Fördergeld-Affäre belogen zu haben. Bis heute beteuert die Ministerin, von den umstrittenen Vorgängen in ihrem Haus erst nach einem Pressebericht am 11. Juni erfahren zu haben. Mit der Absetzung ihrer Staatssekretärin Sabine Döring am 16. Juni hält Stark-Watzinger die Sache offenbar für beendet. Doch mit jeder weiteren Woche mehren sich die Zweifel an der Darstellung der Ministerin.
So belegen Chatprotokolle aus ihrem Haus, die der Spiegel vergangene Woche veröffentlicht hat, wie früh intern über mögliche Konsequenzen für Forscher:innen gesprochen wurde, die in einem offenen Brief die Räumung eines propalästinensischen Protestcamps an der Freien Universität Berlin kritisiert hatten – und zwar bevor die damalige Staatssekretärin angeblich ohne Mitwissen Stark-Watzingers förderrechtliche Sanktionen prüfen ließ.
Keine Aufarbeitung
Pikant dabei: Ausgerechnet der Mitarbeiter, den Stark-Watzinger nun zum neuen Staatssekretär machen möchte, begrüßte demnach, dass sich Forscher:innen aus Sorge um Fördergelder selbst zensieren könnten. Sollte sich dieser Eindruck bestätigen, sagte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Oliver Kaczmarek der taz, wäre er „für das Amt des Staatssekretärs nicht geeignet“.
Für Unmut sorgt vor allem die mangelnde Aufklärungsbereitschaft von Stark-Watzinger. So ist mittlerweile zwar bekannt, dass die Pressestelle im BMBF bereits am 10. Mai – zwei Tage nach Erscheinen des öffentlichen Briefes – eine Liste aller Unterzeichner:innen erstellen ließ, die BMBF-Gelder erhalten. Doch auch davon will Stark-Watzinger nichts gewusst haben. Im Bildungsausschuss des Bundestages wich die Ministerin der Frage aus, wer die Liste in Auftrag gegeben hat. „Die Mehrheit der Fragen“ sei bis heute nicht beantwortet, kritisiert Thomas Jarzombek von der CDU.
Die Opposition drängt auf weitere Aufklärung: Sowohl Linkspartei als auch die CDU/CSU-Fraktion haben eine kleine Anfrage zur „Fördergeld-Affäre“ gestellt; die der Union umfasst ganze 100 Fragen. Darin geht es auch um die Frage der „ordnungsgemäßen Aktenführung“.
Die Ministeriumsspitze nämlich nutzt zum internen Austausch den Chatdienst „Wire“ – in den Akten zur „Fördergeld-Affäre“, die das BMBF auf Antrag der Plattform „Frag den Staat“ öffentlich machen musste, fehlt diese Kommunikation jedoch. Von einer „eklatanten Missachtung der Transparenzpflichten“ spricht Projektleiter Arne Semsrott gegenüber der taz: „Uns wurden offenbar absichtlich Informationen vorenthalten.“
Forscher:innen in Sorge
Die stockende Aufarbeitung beobachtet die Wissenschaftscommunity mit Sorge. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (KMK) sagt auf Anfrage der taz, dass es nach der „klaren Grenzüberschreitung“ jetzt darauf ankomme, „seitens des BMBF und seiner Leitung künftig keinerlei Zweifel daran aufkommen zu lassen“, dass „wissenschaftsbezogene Förderentscheidungen hierzulande allein wissenschaftsgeleitet getroffen werden“.
Ähnlich formuliert es auch der SPD-Politiker Kaczmarek: An dem Verständnis von Wissenschaftsfreiheit hänge die Glaubwürdigkeit des Forschungsministeriums. „Angesichts des festzustellenden Vertrauensverlustes ist es umso unverständlicher, warum das BMBF nicht weiter aufklärt“, so Kaczmarek.
Auch der Grüne Kai Gehring fordert, „dass die gesamte BMBF-Hausspitze zweifelsfrei und glasklar zur Wissenschaftsfreiheit steht und den schwerwiegenden Vorgang intern aufarbeitet, damit derart problematische Vorkommnisse künftig ausgeschlossen werden können“.
Der Berliner Staatsrechtler Clemens Arzt ist skeptisch, ob sich der Schaden wieder ganz reparieren lässt. „Als Wissenschaftler muss ich nun damit rechnen, dass es jederzeit wieder zu so einer Prüfung kommt“, so Arzt. Diese Unsicherheit habe dramatische Folgen, so Arzt: „Künftig werden sich Wissenschaftler:innen dreimal fragen, ob sie sich zu bestimmten Themen öffentlich äußern.“
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