Joggen oder doch lieber joggen lassen?

In Südostasien verhelfen neuerdings Strava-Jockeys zahlenden Kunden zu besseren Daten auf der Trainingsplattform

Warum eigentlich noch selbst schwitzen, wenn es auch andere für einen tun können? Foto: Foto:Karsten Thielker

Von Sven Hansen

In holprigem Englisch bietet @dorst622 auf Singapurs Kleinanzeigenportal Caroussel.sg seine Dienste unter dem Begriff „Strava Jockey“ an. Er laufe Strecken auf Zeit, mindestens 5, maximal 20 Kilometer. Je größer die Distanz, desto höher der Preis. „Läufe an gesonderten Locations mit Preisaufschlag“, heißt es im Inserat, ohne Zahlen zu nennen. Treffpunkt ist der Punggol Park im Nordwesten des südostasiatischen Stadtstaates.

Strava ist eine fitnessorientierte Handy-App mit einer Mischung aus Sport- und Trainings-Tracking samt sozialem Netzwerk. Sie wird vor allem von Läufern und Radfahrern genutzt. Nach Angaben der dahinter stehenden gleichnamigen US-Firma aus San Francisco gibt es mehr als 120 Millionen Nutzer in über 190 Länder. Der vom schwedischen Wort sträva abgeleitete Name Strava bedeutet „Streben“. Die per GPS erfassten Sportdaten etwa zu Geschwindigkeit, Dauer, Route und Höhenmetern werden von der App dokumentiert und können mit den eigenen Leistungen wie mit denen von Sportsfreunden verglichen werden. Auch gibt es Bestenlisten und damit Vergleiche und Wettkämpfe im digitalen Raum.

Gute Werte bezeugen die eigene Fitness, steigern das Selbstwertgefühl und beeindrucken Freunde und Kollegen. Das Geschäftsmodell der Strava Jockeys nutzt diesen Geltungs- und Mitteilungsdrang, den auch andere soziale Netzwerke fördern, aber auf unfaire und unsportliche Art, indem sie Kunden gegen Geld ermöglichen, sich mit fremden Federn zu schmücken. „Wenn es nicht auf Strava ist, ist es nie passiert,“ lautete bisher der Slogan der App. „Wenn es nie passiert ist, ist es trotzdem auf Strava“, wäre jetzt passender.

Mutmaßlich begann der Trend in Indonesien, schrieb Singapurs Staatssender Channel NewsAsia (cna) Mitte Juli auf seiner Webseite, der als erstes Medium darüber berichtete. Unter dem Hashtag #jokistrava hatte am 3. Juli ein Nutzer namens @hahahiheho auf Indonesisch die wohl eher satirisch gemeinte Nachricht auf X gepostet: „Übrigens, ich öffne einen Strava Jockey Service. Aber die Person, die laufen wird, ist mein Bruder, der ein guter Läufer ist. Der Preis ist abhängig von Tempo, Kilometer etc.“ Bebildert war der Post mit einem Routenverlauf aus dem Videospiel Grand Theft Auto: San Andreas.

In kurzer Zeit ging der Post von @hahahiheho viral. Inzwischen wurde er 900.000-mal angesehen und brachte in Indonesien, wo es 1,2 Millionen Strava-Nutzer geben soll, offenbar manchen dazu, sich selbst als Jockey anzubieten. „Mein Hobby ist Laufen, so dachte ich, ich sollte die Situation nutzen und daraus ein Geschäft machen,“ sagte der 17-jährige Wahyu Wicaksono zu Channel NewsAsia. Er berechne 10.000 indonesische Rupiah (etwa 57 Euro-Cent) pro Kilometer bei einem Tempo von vier Minuten pro Kilometer. Laufe er nur halb so schnell, koste es auch nur die Hälfte. Gezahlt werde, bevor er im Strava-Account des Kunden eingeloggt loslaufe.

Einmal habe er bereits 100.000 Rupiah (5,70 Euro) am Tag verdient. Seine Kunden hätten in der Regel mehr Geld als Zeit und seien älter als er, sagt er. „Sie müssen tagsüber arbeiten und können nicht laufen gehen.“ Ihm reiche ein Kunde pro Tag. „Das ist ein angenehmer Job, denn Laufen ist mein Hobby.“ Er werde jetzt für etwas bezahlt, das er ohnehin aus Spaß mache.

Manche Apps zahlen künstliche Währungen, kleine Belohnungen oder Boni aus, wenn Nutzer hohe Werte erreichen. Und bei manchen Vielfliegerprogrammen ist es auch möglich, gesammelte Bonusmeilen auf andere Personen zu übertragen und so damit zu handeln. Kostenlose Apps und soziale Netzwerke leben davon, dass sie Nutzerdaten und -profile an Werbekunden verkaufen. Dass jetzt Sportler auf die Idee gekommen sind, ihre sportlichen Leistungen selbst zu vermarkten, ist eigentlich folgerichtig. Doch verstößt die Übertragung privater sportlicher Daten zu einem zahlenden Kunden gegen das Prinzip sportlicher Fairness. Im Kampf um Anerkennung und Geltung ist es eine Art Datendoping hinter dem Rücken von Sportsfreunden.

Wie geht Strava damit um? „Laut unseren Nutzungsbedingungen müssen Strava-Athleten zustimmen, nur einen Account für ihren persönlichen Gebrauch zu nutzen und diesen und die Zugangsdaten nicht mit anderen zu teilen“, erklärte Strava-Sprecher James Foster auf Anfrage der taz. Wer dagegen verstoße, werde von der Plattform ausgeschlossen. Das Risiko dürfte für die Jockeys, die in fremdem Namen schwitzen, sehr gering sein, zumindest viel geringer als für ihre Kunden.