Ökonomische Folgen der EM: Nichts als Feelgood

Ausrichtende Städte und Po­li­ti­ke­r:in­nen erhoffen sich von der EM einen andauernden positiven Einfluss. Aber was bleibt wirklich vom Turnier?

Wirtschafts­minister Robert Habeck (rechts) redet auf DFB-Präsident Bernd Neuendorf ein

Wirtschafts­minister Robert Habeck (r.) mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf beim Pokal­finale 2024 im Berliner Olympia­stadion Foto: Thilo Schmuelgen/reuters

Die Fußballeuropameisterschaft ist im letzten Viertel angekommen. Den Bun­des­po­li­ti­ke­r*in­nen bleibt noch bis zum Finalspiel am 14. Juli Zeit, sich im Stadion zu inszenieren. Blöd nur, dass die Deutschen schon ausgeschieden sind. Es wird also keine Bilder mehr geben von Robert Habeck im pinken Trikot zu irgendeiner Preisverleihung in Berlin.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach, Außenministerin Annalena Baerbock oder Bundeskanzler Olaf Scholz können sich nicht mehr als Edelfans der Nationalmannschaft auf der Tribüne zeigen. Die öffentlichkeitswirksamen Darstellungen patriotischer Fanartikel durch Politiker in den sozialen Medien wird dennoch in Erinnerung bleiben.

Teile der Bundesregierung scheinen der Meinung zu sein, man dürfe nationale Symbolik nicht den Rechten überlassen. Sie wollen von einem patriotischen Trend profitieren und lassen gleichzeitig nur allzu gerne vom freundlichen Image des weltoffenen Gastgeberlands und Wirtschaftsstandorts Deutschland reden. Von der Nation ist viel die Rede und von einer Aufbruchstimmung, die vom Turnier ausgehen soll. Dabei wird ausgeblendet, dass an den Orten, an denen Flagge gezeigt, die ­Nationalhymne gesungen und von „unseren Jungs“ gesprochen wird, auch viel Platz für rechtes Gedankengut ist, das als Katalysator für Rassismus, Queerfeindlichkeit und patriarchale Gewalt wirken kann.

So melden deutschlandweit Beratungsstellen Vorfälle im Zusammenhang mit der EM. Eine Sprecherin von „Response Hessen“, einer Anlaufstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Hessen, sprach gegenüber der taz von „rassistischen Anfeindungen in der Nachbarschaft und queerfeindlich motivierten Angriffen“. Zudem würden immer wieder die sattsam bekannten rassistischen Parolen zu „L’amour toujours“ gegrölt.

Selektive Problematisierung

Dem Berliner Register, Meldestelle für Diskriminierung und Ausgrenzung in Berlin, sind ebenfalls Ausschreitungen von extrem rechter Symbolik im Umfeld der EM-Austragungsorte bis zu Beleidigungen und Bedrohungen bekannt. Sprecherin Kati Becker sagte: „Fußballspiele sind schon immer Ereignisse, um die herum Vorfälle passieren können, zum Beispiel Hitlergrüße und rassistische oder antisemitische Angriffe.“

Jedoch wird im Brennglas eines Groß­events wie der EM einmal mehr sichtbar, dass nationalistische und rassistische Ausschreitungen auf dem Feld und in den Fankurven selektiv problematisiert werden, wenn zum Beispiel deutsche Fans auf den Rechtsextremismus von türkischen Fans verweisen, um vom eigenen abzulenken. Derweil wurde die EM bereits auf vielen Ebenen zum Spielfeld der Politik. Als Reaktion auf die Wolfsgruß-Geste des türkischen Nationalspielers Merih Demiral kam es sogar zu diplomatischen Verwicklungen zwischen Deutschland und der Türkei.

Vielleicht bringt das Turnier ja wenigstens den Ausrichterstädten etwas. Die zehn Städte, welche die EM-Spiele in Deutschland ausrichten, haben mehrere Millionen Euro investiert, um ein geeignetes EM-Umfeld zu schaffen. Die Uefa dagegen erwartet einen Gewinn von etwa einer Milliarde Euro bei gleichzeitiger Quasi-Steuerfreiheit. Dennoch erhoffen sich die Städte und Regionen natürlich genau wie Po­li­ti­ke­r*in­nen einen andauernden positiven Einfluss der EM. Aber bringt’s wirklich was?

Wenig vermutlich. Fußballeuropameisterschaften haben laut Öko­no­m*in­nen tatsächlich nur wenig Einfluss auf die Konjunktur. Dem Makroökonomen und Vizepräsidenten des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller, nach könnten kurzfristig zwar leichte positive Effekte auf die Konjunktur erwartet werden, langfristig allerdings „keine großen, substanziellen“.

Kurzfristig positive Stimmung, mehr nicht

Diese kurzfristige Wirkung hat tatsächlich eine Stimmungsverbesserung zum Grund, die Holtemöller als „Feelgood-Effekt“ beschreibt. Demnach wird die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in Form der individuellen Erwartungshaltung von Unternehmen und Kon­su­men­t*in­nen ihrer eigenen ökonomischen Lage gegenüber durch die gehobene Stimmung während großen Sportereignissen angekurbelt.

Dem positiven Effekt gegenüber stehen jedoch so viele Investitionskosten, Verdrängungs- und Substitutionseffekte sowie grundlegende infrastrukturelle Probleme, dass die positiven Effekte auf das Gesamt-Bruttoinlandsprodukt zu vernachlässigen sind. Dass es an einer funktionierenden ÖPNV-Infrastruktur in diesem Land bei Weitem fehlt, wurde bei nun mehreren EM-Spielen bereits ausreichend bewiesen. Die Welt hat lauthals über Deutschland gelacht. Die Vorstellung, mit der EM von einer miserablen Haushaltslage, hochgezogenen Grenzen und maroden Infrastrukturnetzen ablenken zu können, wird wohl nicht aufgehen.

Nach Ende der EM dürfte dann auch nichts von der guten Stimmung und den Flaggen bleiben.

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