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AfD-Ergebnisse bei der EuropawahlDeutschland kann von Mainz lernen

In Mainz hat die AfD bei der Europawahl keine Prozentpunkte gewonnen. Un­se­r*e Ko­lum­nis­t*in erklärt, was Deutschland der Stadt absehen kann.

Mainz ist anders, zumindest was das Wahlergebnis der AfD betrifft Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

E s lebt sich gut in Mainz. Wo Rieslingschorle fließt und man den Karneval noch Fassenacht nennt, ist etwas anders als in vielen Teilen Deutschlands: Die rechtsextreme AfD hat bei der jüngsten Europa- und Kommunalwahl gerade mal 6 Prozent bekommen. Das ist wenig, aber viel wichtiger ist: Es ist ziemlich genau so viel wie bei der letzten Wahl. Und progressive Kräfte haben sogar etwas gewonnen. In der SWR-Wahlrunde am Wahlabend war man bei der Mainzer AfD gleich so verdattert über das Ergebnis, dass man prompt die Zahlen infrage stellte: Vollkommen gegen den Bundestrend? Das könne nicht sein.

Doch. Kann sein. Man kann sagen, hier hat der Rechtsruck der letzten Jahre und Monate nicht stattgefunden. Und dafür gibt es gute Gründe. Wer in Mainz lebt, bemerkt schnell, dass die Stadtgesellschaft weltoffen ist und zusammenhält. Und das ist keine Floskel. Als Anfang 2024 gegen die Deportationspläne der AfD protestiert wurde, waren wie selbstverständlich auch die lokale CDU und die hiesigen Freien Wähler Teil der Demonstrationen. Das stand nicht mal zur Debatte.

In Mainz gibt es keine „Zugezogenen“, kein Argwohn gegenüber Menschen, die neu in die Stadt kommen. Diese Haltung ist tief verankert an Rhein und Main. Die Mainzer Lebensart hat etwas Antiautoritäres. Die Fassenachtsvereine sind das wahrscheinlich größte Bollwerk gegen die Faschisten. Dort schmeißt man Nazis im Zweifel einfach raus und lässt sie gar nicht erst versuchen, lokale Strukturen zu übernehmen. Wie dieses Jahr, als der Fraktionsvorsitzende der AfD nicht am Rosenmontagszug teilnehmen durfte.

Die AfD und auch ihre politischen Vertreter sind in der Stadt isoliert: ein paar alte Herren, die im Prinzip schon seit Jahren in der rechtsradikalen Szene unterwegs sind. Wer heute für die AfD im Stadtrat sitzt, saß vor 20 Jahren noch für die rechten Republikaner im selben Gremium. Unter jungen Menschen ist es hier nicht attraktiv, rechtsradikal zu sein. Kein Schobbe für Nazis lautet das Motto. Ihnen wird also keine Weinschorle serviert.

Gesellschaftliches Klima ist eine reale Ressource

All das funktioniert natürlich nicht im luftleeren Raum. Mainz betreibt seit Jahren erfolgreiche Wirtschaftspolitik, und das führt zu einer allgemeinen ­Aufbruchsstimmung. Der Rest der Bundesrepublik sollte von uns lernen, denn Mainz ist keine Insel. Die Stadt liegt in Deutschland, hier werden Häuser aus Stein gebaut, und auch sonst geht es ganz irdisch zu. Mainz ist nicht mal eine typische Ausreißerkommune mit horrend hohen Gewerbeeinnahmen, sondern seit 30 Jahren chronisch hoch verschuldet und erst durch Bion­tech kurzzeitig schuldenfrei gewesen. Keine Sorge: Auch die Mainzer Stadtkassen sind wieder leer.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Dass Mainz Biotechnologiestandort ist, muss nicht so bleiben. Bion­tech kann die Stadt verlassen, wenn es anderswo attraktiver ist. Mainz ist immer noch eine 200.000-Einwohner-Stadt und nicht Berlin oder Hamburg. Aber wenn eine Stadtgesellschaft ein attraktives Klima bietet, werden Fachkräfte zuziehen und Unternehmen Standorte ausbauen.

Gesellschaftliches Klima ist eine reale Ressource, die ganz direkte Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen hat – und damit auf den Erfolg oder Misserfolg der Faschisten. Die wollen nämlich das Gegenteil, sie wollen ein Umfeld aus Nationalismus, Abschottung und Fremdenfeindlichkeit, wodurch Wirtschaftsstandorte abgehängt werden.

Das gesellschaftliche Klima fängt bei uns selbst an. Lasst uns alle ein bisschen Mainz sein.

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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • ""Man kann sagen, hier hat der Rechtsruck der letzten Jahre und Monate nicht stattgefunden. Und dafür gibt es gute Gründe.

    Wer in Mainz lebt, bemerkt schnell, dass die Stadtgesellschaft weltoffen ist und zusammenhält. Und das ist keine Floskel.

    Als Anfang 2024 gegen die Deportationspläne der AfD protestiert wurde, waren wie selbstverständlich auch die lokale CDU und die hiesigen Freien Wähler Teil der Demonstrationen. Das stand nicht mal zur Debatte.""

    ===

    Der Unterschied zu vielen anderen deutschen Städten:



    Mainz steckte -- wie fast alle Deutschen -- sehr tief im braunen Sumpf des Nationalsozialismus in den Jahren 1933 bis 1945.



    siehe



    www.jüdische-gemei...nz-rheinland-pfalz

    Der kleine - aber wichtige & entscheidende Mainzer Unterschied zu anderen Städten in Deutschland:

    Das breite Bündnis gegen Rechts - und die klare antifaschistische Botschaft zivilgesellschaftlicher Akteure gegen Neofaschisten und Rechtspopulisten.

    Städtepartnerschaften -- zum Beispiel zwischen Mainz und Dresden -- könnten hilfreich sein Wissen weiter zu vermitteln, wie sich Neofaschismus, Rechtsradikal und Rechtspopulisnus besiegen lässt.

  • Nicht zu vergessen: In der Mainzer Innenstadt gilt überall höchstens Tempo 30. Weiß nicht, wie sie das geschafft haben. Der Verkehr fließt trotzdem gut, außerhalb der Fußgängerzone.

    • @Patricia Winter:

      Deutschland könnte auch von Sonneberg "lernen" da haben 47 % afD gewählt. Tatsache ist die AfD hat bundesweit zugelegt, die Grünen verloren. Sonneberg und Mainz sind Ausnahmen.

    • @Patricia Winter:

      In Dortmund gibt es das in der innenstadt auch. Das hat mit "Lärmschutz" zu tun. Und das obwohl hier 13 % AfD gewählt und die CDU gewonnen hat.

  • Das Mainzer Rezept gegen die AfD?

    Weiter so wie bisher, mit mittelständischem Wohlstand und Wohlstandsversprechen für den ärmeren Rest. Im warmen Schaumbad der Behaglichkeit vergehen nationalistischer Unmut der einen und emanzipatorische Ungeduld der anderen. Nur ändern tut sich nichts, am Kurs der eigenen Behaglichkeit wider alle Vernunft.

    Was sind Mehrheiten für die Mitte gegen ein paar Prozent mehr für die AfD?

    • @Stoersender:

      Was Sie beschreiben, geht wohl in Richtung Wohlstandsverwahrlosung, ein Riesenproblem unserer Zeit.



      Dass die so nicht weitergehen kann, ist klar. Aber dagegen ist die Alternative nun wirklich keine Alternative. Das einzige, was helfen könnte, wäre Verstand. Wer jedoch Reden von Brandner, Hilse, Kotré, v. Storch, Weidel... eigentlich kann ich sie alle aufzählen - gehört hat, weiß wie es bei denen mit Verstand aussieht

    • @Stoersender:

      Ein paar Prozent mehr für die AfD wären wirklich traurig in einer der ältesten und schönsten Städte Deutschlands. Parks, Konzertlocations, Kino, Theater, Öffis, Radwege und ein großartiger Botanischer Garten: What's Not to Like? Es ist ja nicht so, als würde sich im Rest des Landes das Emanzipatorische in Windeseile ausbreiten.