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Drogenmissbrauch in DeutschlandSo viele Tote wie noch nie

Die Zahl der Toten in Deutschland durch eine Überdosis steigt laut Statistik auf ein Rekordhoch. Das Durchschnittsalter liegt bei 41 Jahren.

Heroin war laut Bundesdrogenbeauftragtem die am häufigsten mit Todesfällen verbundene Substanz Foto: Felix Zahn/dpa

Berlin afp | Die Zahl der Drogentoten in Deutschland ist auf einen historischen Höchststand gestiegen. Im vergangenen Jahr gab es 2.227 drogenbedingte Todesfälle, wie der Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert (SPD) am Mittwoch in Berlin mitteilte. Dies waren demnach zwölf Prozent mehr als vor einem Jahr und etwa doppelt so viele wie vor zehn Jahren.

Blienert schätzt die Lage nach eigenen Worten als „sehr ernst“ ein. „Mit 2.227 Drogentoten haben wir die höchste Zahl, die je registriert wurde – und ich befürchte, dass es in der Realität noch mehr Drogentodesfälle gibt.“ Es gebe „viel zu wenige toxikologische Gutachten und Obduktionen“.

Unter den Toten waren 1.844 Männer und 383 Frauen. Das Durchschnittsalter lag bei 41 Jahren, es stieg damit weiter an. Bei etwa zwei Dritteln der Toten – 1.479 Fälle – sei ein Mischkonsum verschiedener illegaler Substanzen festgestellt worden, 34 Prozent mehr als im Jahr 2022.

Heroin war nach den vorliegenden Daten bei 712 Todesfällen die ursächliche Droge, womit es nach wie vor die am häufigsten mit Todesfällen verbundene Substanz war. Die Tendenz sei aber leicht rückläufig.

Deutliche Anstiege von 507 Fällen auf 610 Fälle gab es im Zusammenhang mit Kokain und Crack. Bei Opiatsubstitutionsmitteln wie zum Beispiel Methadon oder Buprenorphin gab es einen noch deutlicheren Anstieg von 528 auf 654 Todesfälle. Auch die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit Metamphetaminkonsum erhöhte sich signifikant von 47 auf 122 Fälle.

Suchtberatungen in Geldnot

Laut Blienert geht der Trend global zu preiswerteren und stärker wirksamen Opioiden und Stimulanzien, die von global agierenden Kartellen in die Märkte gedrückt werden. Gleichzeitig steige das Angebot an Kokain in Deutschland und Europa stark an. Es müssten nun die Präventions-, Beratungs- und Hilfesysteme fit gemacht werden.

Laut Einschätzung von Christina Rummel, Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), steht die Suchtberatung in Deutschland finanziell mit dem Rücken zur Wand: „Erste Ergebnisse einer deutschlandweiten Befragung der DHS zeigen, dass Dreiviertel der öffentlich finanzierten Suchtberatungsstellen ihre Kosten in diesem Jahr nicht decken können.“ Beratungsangebote müssten deswegen eingeschränkt oder die Dienste komplett gestrichen werden. „Hilfsbedürftige Menschen mit Suchterkrankungen können somit nicht mehr adäquat versorgt werden.“

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14 Kommentare

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  • Da sieht man mal wie wichtig es ist, dass authentische Hilfsangebote jederzeit verfügbar sind. Wenn denen die Mittel fehlen, sind die Abhängigen richtig am Arsch. Man kann auch erkennen, wie wichtig es ist, dass Abhängige an gute Reinstoffe kommen. Von Methamphetaminen sollte eigentlich keiner sterben. Und auch superstarke Opioide wie Fentanyl wären nicht benötigt, wenn einfach Heroin immer verfügbar gewesen wär. Es ist einfach das kleinere Übel. Aber Hauptsache die Politik reduziert Drogenpolitik auf Cannabis. So wird das nie was hier. Und das obwohl Portugal es schon vor langer Zeit perfekt vorgemacht hat

  • Was wäre denn Ihrer Meinung nach die Alternative bzw. Lösung? Alkohol, Nikotin, Medikamente und Autofahren verbieten? Oder Kokain und Heroin nicht mehr Drogen nennen (wie Hasch) und freigeben (wobei dann wieder die Frage nach astreinen Lieferketten im Raum stünde etc.)?



    Ich denke, das Problem bei Heroin ist weniger die Zahl der Toten, sondern eher die Beschaffungskriminalität.

    • @Vigoleis:

      Da gibt es so einiges was anders gemacht werden könnte.

      1: kostenfreie Tests für Drogen, Informationen zu kursierenden Streckmitteln mit Fotos zu den jew. Pillen.

      2:Konsument:innen sollten grundsätzlich nicht verfolgt werden, das ist einfach nur kontraproduktiv.

      Das wären 2 schnell umsetzbare Reformen.

      Aber spinnen wir den Gedanken etwas weiter

      Schlafmohn ließe sich auch in Deutschland staatlich kontrolliert anbauen und verarbeiten, um damit bereits abhängige zu versorgen. Damit wäre dann auch die Beschaffungskriminalität kein nennenswertes Problem mehr.

      Ich sage nicht das jedes Rauschmittel legal verkaufbar sein sollte, vor allem nicht mit Gewinnabsicht.

      Aber jede:r hat ein Recht auf Rausch, wenn er oder sie damit niemand anders Schaden zufügt.

      Und die bisherigen Gesetze darüber was legal konsumiert werden darf und was nicht sind ziemlich willkürlich.

  • Das Durchschnittsalter 41 überrascht mich sehr - waren es nicht früher hauptsächlich Menschen in den Zwanzigern, die sich mit Drogen umbrachten - oder trügt mich da die Erinnerung? Weiß jemand, woher diese Altersverschiebung kommt?

    • @B. Iotox:

      Stimmt, danke für diesen Hinweis.



      Vielleicht könnte es auch daran liegen, wie man Drogentote definiert. Fallen hier auch diejenigen rein, die nach Jahren an den Langzeitfolgen erwiesenen Drogenkonsums gestorben sind?



      Das würde das höhere Durchschnittsalter erklären - würde aber gleichzeitig auch die Brisanz der Steigerung der Absolutzahlen sehr relativieren (weil ja keine Aussage mehr über aktuellen Drogenkonsum)



      Das ist wie gesagt, nur eine Idee - nichts davon ist bewiesen. Erbitte ebenso weiteres Feedback.

  • "Dies waren demnach zwölf Prozent mehr als vor einem Jahr und etwa doppelt so viele wie vor zehn Jahren."



    Das sind sehr horrende Zahlen!

    Natürlich ist dieses Thema sehr komplex, wie man in eine fatale Drogensucht reinrutscht.



    Dennoch: eine mediale Landschaft, die das eigene Ego und das liberale Ausleben der eigenen Wünsche ganz oben auf die "neue" Werteliste setzt, sollte sich über solche horrenden Zahlen nicht all zu sehr wundern. Entwurzelung und ich, ich, ich - da braucht man sich nicht wundern, wenn so manche*r desorientiert abgleitet, der ansonsten sein Leben vielleicht anders ausgerichtet hätte. Solche Aspekte tragen sicherlich dazu bei - natürlich nur als Trigger, nicht als Ursache.

  • Relationen:



    2227 Drogentote, Alkoholtote 74.000, Tabaktote 121.000, 16-25.000 Nebenwirkungen Medikamente, Straßenverkehr 2.830 - alles pro Jahr.



    Ich finde es befremdlich, dass Saufen einfach so hingenommen wird, man bei Drogentoten aber so tut, als sei die das größere Problem. Das Problem heißt Saufen und Rauchen.

    • @Rudi Hamm:

      Vielen lieben Dank für den notwenidgen Kommentar! /.-)

      Das hat mich schon an der ollen "Drogentotentafel" in der Tagesschau stets extremst genervt. Gerade Ende 80er war Leberzirrhose quasi Volkssport.

    • @Rudi Hamm:

      Klassischer whataboutism.



      Nur weil saufen und rauchen schlimm ist und nicht genug getan wird heißt es nicht, dass man die anderen Drogentoten beiseite schieben kann.



      Und hier wird auch nicht so getan, als ob die Drogentoten das größte Problem wären. Ich habe im Text nicht gelesen das der Alkoholkonsum nicht schlimm wäre oder dass die Alkoholsuchtberatung gekürzt werden soll. Auch wurde nicht der Kampf gegen den Klimawandel für unwichtiger erklärt. Es wird vielmehr auf ein Problem von vielen hingewiesen. Insbesondere der Negativtrend ist bemerkenswert, bedenkt man die gegenläufige Entwicklung beim Alkohol

      • @Choronyme:

        Eher die genannte Zahl im größeren Kontext betrachtet.

        Sie sagen es doch schon selbst "die anderen Drogen-Toten".

        Alkohol, Tabak sind auch Drogen, einige Medikamente ebenso.

        Aber nehmen wir mal nur die Zahlen von Alkohol und Tabak..

        Von rund 200.000 Drogen-Toten sind also fast 99% an legalen Substanzen gestorben.



        Das nur von den 1% gesprochen wird ist doch einfach nur selektive Wahrnehmung.

    • @Rudi Hamm:

      Ganz genau mein Gedanke.

    • @Rudi Hamm:

      Es gab Experten, die behaupteten, Tabak sei die Einstiegsdroge Nr. 1.

      Ich persönlich könnte gut damit leben, dass Saufen und Rauchen ebenfalls verboten werden.

      Die Zeit der Prohibition in den USA war eine andere in einer anderen Kultur.

      Nun tendiert aber die Gesellschaft aktuell zum Recht auf Rausch.

      In dieser Logik wäre dann auch Kokain & co. zu legalisieren.

      • @rero:

        Sie scheinen nicht zu wissen, was die Auswirkungen der Prohibition in den USA war und warum diese wieder aufgegeben wurde.

        Bei der Mafia haben die Sektkorken geknallt...

        Bei Werbeverbot und Einschränkungen zu Verkaufsmöglichkeiten bin ich ganz bei Ihnen... aber ein totales Verbot führt nur zu den gleichen Konsequenzen, wie das Verbot anderer Substanzen, für die es eine Nachfrage gibt. Der Schwarzmarkt floriert als Konsequenz.

        Cocain und co sollte es natürlich nicht im Supermarkt geben...

        Aber eine staatlich kontrollierte Produktion/Abgabe ohne Gewinnabsicht wären ein schwerer Schlag gegen das organisierte Verbrechen.

        Selbstverständlich muss es auch mehr Aufklärung an Schulen geben und auf Fakten basierte Drogenpolitik.

        Verbot und Strafverfolgung helfen hingegen niemanden.

        • @sociajizzm:

          Sehen Sie echt keine Unterschiede zwischen den USA in den 1920er Jahren und Deutschland in den 2020er Jahren?

          Ich erkenne sie durchaus deutlich.

          Die mafiösen Strukturen sind da nur ein Beispiel.

          Die Freigabe von Cannabis wird kein großer Schlag gegen das organisierte Verbrechen werden.

          So lange Sie Cannabis nicht billig im Supermarkt kaufen können, wird es auch einen Schwarzmarkt geben.

          Sie erinnern sich an die geschmuggelten Zigaretten in den 90ern, die es bald vor jedem Supermarkt zu kaufen gab?

          Im Supermarkt waren sie nur teurer.

          Die Freigabe von Kokain wird auch kein schwerer Schlag für die OK.

          Sicher helfen Verbot und Strafverfolgung, tut es bei anderen Themen genauso.

          Es ist eine Frage, ob eine Gesellschaft das will.

          Die Frage wird in Deutschland eben aktuell mit nein beantwortet.

          Meinen Sie echt, es trägt zur Sachlichkeit einer Diskussion bei, dem Diskussionspartner erst mal Unwissen zu unterstellen?