piwik no script img

Umstrukturierungen bei „Bayern 2“Begräbnis der Radiokultur

Das Programm von „Bayern 2“ war besonders. Nach einer Reform ist davon wenig übrig geblieben, finden Fans – und tragen den Sender zu Grabe.

Plakate und Blasmusik bei einer Demo von BR-Mitarbeitenden Foto: Peter Kneffel/dpa

München taz | Es war „a scheene Leich“, wie man in Bayern zu sagen pflegt, ein würdiges Begräbnis. Zu Grabe getragen wurde am Dienstagabend in München ein Radioprogramm: „Bayern 2“ in seiner bisherigen Form. „Bayern 2“, das muss man dazu wissen, ist nicht nur der Kultursender des Bayerischen Rundfunk, sondern über viele Jahrzehnte bereits der wohl außergewöhnlichste Kanal in der bayerischen Rundfunklandschaft: viel gesprochenes Wort, viel Kultur, viel Intellekt, viel Mut zur Länge und zu Musik, die nicht auf dem Mainstream dahinplätschert. Und damit ist das Programm nicht weniger das krasse Gegenteil dessen, was man heute gemeinhin unter Radio versteht.

Ist? War, sagen die, die es nun betrauern. Am 2. April hat „Bayern 2“ ihnen zufolge das Zeitliche gesegnet. An dem Dienstag nach Ostern nämlich ist das reformierte Programm in den Äther geschickt worden, um noch einmal eine Metapher zu bemühen, die freilich längst überholt ist. Denn auch „Bayern 2“ sucht sich seine Verbreitungswege zunehmend im Digitalen. „Podcast“ lautet das Zauberwort.

Überhaupt findet man im BR die Aufregung über das vermeintliche Ableben von „Bayern 2“ reichlich übertrieben – nicht nur, weil es ja weiterhin ein Programm dieses Namens gibt. Nein, „Bayern 2 bleibt Bayern 2“, behauptet Stefan Maier, der den schönen Titel „Programmbereichsleiter Bayern 2“ innehat.

Heimatsound statt Vielfalt

Es seien Veränderungen, mit denen man das Profil stärken wolle, schreibt er auf der Website des BR und spricht von Hintergrund und Tiefgang, Anspruch und Vielfalt und – Heimatsound.

Als der Himmel pünktlich zu Beginn der Trauerfeier am Rundfunkplatz zuzieht und erste Tropfen fallen, haben sie die Särge schon aufgestellt. Kleine schwarze Pappsärge mit den Aufschriften: „Nachtstudio“, Radiotexte“, „Kulturwelt“, „Diwan“, „Kulturjournal“, „Jazz und Politik“. Alles beliebte Sendungen, die künftig bei Bayern 2 nicht mehr vorkommen.

Insgesamt ist das Programm kleinteiliger geworden. Vormittags etwa gibt es nun zwei dreistündige Sendestrecken, eine mit dem Schwerpunkt Politik und Kultur, die andere mit dem Fokus auf Wissenschaft und Bildung – viele kurze Beiträge im Wechsel mit Musik. Ähnlich verhält es sich zu den übrigen Tageszeiten, das entsprechende Abendformat etwa heißt „Die Welt am Abend“ und ist „das neue Drivetime-Magazin“. Ein paar Formate wie die die einstündige Interviewsendung „Eins zu Eins. Der Talk“ oder das Musikprogramm „Zündfunk“ konnten sich ins neue Schema hinüberretten. Auch das Kinderprogramm „Radiomikro“ gibt es weiterhin, allerdings nur noch am Wochenende.

Eine sechsköpfige Blaskapelle stimmt einen Trauermarsch an, eine schwarzgekleidete Frau zündet ein Grablicht an. Auf ein DIN-A3-Blatt hat sie geschrieben: „Ich trauere um meinen Bayern 2 Kultursender.“ Rund 40 Leute sind gekommen, während der Zeremonie kommen noch ein paar dazu.

„Radio TikTok“

Ganz überwiegend sind es ältere Hörerinnen und Hörer, die hier zusammengekommen sind. Oft standen sie hier, seit die Umbaupläne des BR bekannt geworden waren, haben sich originelle Aktionen einfallen lassen. Einmal haben sie sogar einen Schneemann aufgebaut – zu einer Zeit, als in der Stadt schon alles weggetaut war. Den Schnee haben sie von außerhalb angekarrt. Im Netz haben fast 10.000 Menschen eine Petition gegen die Kürzungen bei „Bayern 2“ unterzeichnet.

Alles vergebens. „Schluss jetzt, verabschiedet euch“, drängelt Kabarettist Holger Paetz, der als BR-Anstaltsseelsorger die Zeremonie zu einem Ende bringen muss. Dem Sender sei mit dem windschnittigen neuen Programm schließlich die Anpassung an die Jetztzeit gelungen. „Jetzt ist eine schlimme Zeit.“

Fast anderthalb Stunden dauert die „BR-digung“. Eine Langstrecke, würde man im BR sagen. Es gibt Livemusik, einen Einspieler des FDP-Politikers Gerhart Baum über die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ehemalige Bayern-2-Größen verlesen Nachrufe auf „eine der letzten Bastionen gegen­ beliebiges Blabla“, die „zu einer Resterampe verkommen“ sei ganz im Sinne der „Schnäppchen-Mentalität der Wisch-und-weg-Generation“.

Stimmen von Hörerinnen und Hörern werden verlesen („Wir häppchen uns zu Tode“, „Radio Tiktok“).

Und schließlich werden die Särge über die Straße getragen und an die Hauswand des Rundfunkgebäudes gelehnt. Just dort, wo in einem Schaukasten Werbeplakate für „Bayern 2“ hängen. „Wem überlassen wir das Denken?“, steht auf einem.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Also, ich fand BR2 auch vorher schon grenzwertig. Positiv war, dass vereinzelt französischer Pop zu hören war, ansonsten fand ich das Programm wie Kraut und Rüben. Es gab (oder gibt) sogar slots mit Stubenmusik. Seit ich DAB- bzw. WLAN-fähige Geräte habe, bin ich zu DLF Nova abgewandert. Da ist auch viel Häppchen, aber Gottseidank ohne bayrische Folklore.

    • @CarlaPhilippa:

      Im BR2 gab es bis vor ein paar Jahren hochwertige baierische Volksmusik zwischen 4 und 6 Uhr in der Früh. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich ein großer Freund dieser Musik - vor allem ist es fast die einzige Musik, die ich mir ohne die Gefahr des Vorwurfs der kulturellen Aneignung hören kann - sie hat mir die Morgenstunden im Taxi erträglich gemacht.

  • Ich höre nicht regelmäßig aber oft B2 . In Südbayern ist kaum ein anderer Sender erträglich.



    Bisher kein großer Unterschied in den Inhalten zu erkennen. Das Programmkonzept hab ich eh nie verstanden. Die Musikeinspielungen sind weiterhin nerviger Mainstream, da muss ich leise drehen.



    Ich werde weiter beobachten

  • Der Kahlschlag hat schon länger begonnen. Auch beim WDR: Früher gab es das Funkhaus Europa. Das heißt jetzt Cosmos. Redaktionelle Beiträge gibt es keine. Früher gabe es "5 Planeten", eine hochwertig ausgearbeitet Sendung, die über die Musikszene über Europa hinausgehend berichtete.



    In Anstrengung die jungen Zielgruppen zu erreichen, werden etablierte Formate weggekürzt. Kultur muss divers sein. Auch ist es wichtig, um einem Bildsauftrag gerecht zu werden, Facetten der Kultur- und Medienlandschaft abzubilden.

  • Tolle Umstrukturierung des ÖR; was issn mit Bildungsauftrag, Regionalität, gute Unterhaltung, Musikvielfalt usw. usf. ?!? Des ÖR-TV verkauft vermutlich die 27 Quizsendungen und sowas wie "Hirschhausen weiß es" als Bildung, Rosamunde Pilcher und SOKO sowieso als Regionalität, Lanz und Nuhr als gute Unterhaltung und Schlagerspaß mit Silbereisen und Borg mit so illustren Gästen wie dem Alpenvolkshampel, der Angst vor queeren Leuten hat und ansonsten komische Kreuze liebt, als Musikvielfalt. Und eines der Fernsehformate kostet mehr als Bayern 2 des ganze Jahr....

  • Dann sollten der Intendant sich den Sender BR Klassik anschauen, und sich überlegen, Jazz- und Kulturstrecken dorthin zu verlagern. Daraus wird wieder Bayern 4.

    Sowieso ist diese Verjüngungskur von Bayern 2 alles andere als produktiv. Alleine bei mir gab es ganz zu anfang erstmal einen überregionalen (SWR3) und zwei regionale Sender (Radio 7 und Radio Donau 1 später Donau 3 FM) die meistens nur Top 40 und Heavy Rotation spielen. Neben einigen anderen Sendern, die aber andere Zielgruppen ansprachen.

    Dann kam noch Dasding. BigFM. Und jetzt digitale Radiosender über DAB und Webradio. Allesamt mit demselben Programmschema. 10 Hot AC, weil man ja meint die Jugend brauche Abwechselung. Nicht im Genre, sondern einfach nur in der Senderauswahl.

    In meiner perfekten Welt gibt es sowieso nur 5 Radiosender. Einen für Oldies und Evergreens, einen für hohen Wort- und Kulturanteil, einen für die jüngeren mit aktueller Musik, einen mit hohen Klassik- und Jazzanteil, einen reinen Nachrichten- und Dokumentationssender mit vielleicht ein paar Sportübertragungen. Ganz sozialistisch. Alternative Musikgenres dürfen gerne einfließen, und Slime's Bullenschweine darf gerne mal im Oldiesender laufen.

    Ich schweife ab. Es gibt schon noch einige Strecken, die Bayern 2 einzigartig im Programm machen. Doch diese Kur wird wahrscheinlich nicht die letzte sein.