piwik no script img

Haftbedingungen für Daniela KletteÜbereifer in der RAF-Verfolgung

André Zuschlag
Kommentar von André Zuschlag

In der JVA Vechta wird die Ex-RAF-Terroristin isoliert und dauerhaft gefilmt. Niedersachsens Behörden nehmen die RAF-Verfolgung viel zu ernst.

Das gab es wegen Haftbedingungen schon mal: Solidarität mit der RAF Foto: Annette Riedl/dpa

G eschichte wiederholt sich nicht? ­Sicher nicht, aber: Seit der Verhaftung der Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette vor vier Wochen zeigen sich plötzlich doch wieder einige Verhaltensmuster und Praktiken, die einen an die Untiefen der 1970er denken lassen. Im Zentrum stehen dabei vor allem die niedersächsischen Behörden, die die RAF-Verfolgung vorantreiben. Und da sind es aktuell besonders die JVA Vechta und das Justizministerium, die manch alten RAF-Vorwurf gegen den Staat wieder überraschend aktuell erscheinen lassen.

So hatte in der vergangenen Woche Klettes Anwalt die Haftbedingungen seiner Mandantin in Vechta als „völlig unangemessen“ kritisiert. Klette werde nahezu durchgehend videoüberwacht, beklagte der Berliner Strafverteidiger Lukas Theune. Zudem werde sie in der JVA Vechta von anderen Insassinnen komplett isoliert, Bücher und Zeitungen würden ihr nicht zugestellt, auch Kugelschreiber blieben ihr verwehrt.

Das niedersächsische Justizministerium wies die Vorwürfe zurück. Der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung bestätigte ein Sprecher Einschränkungen, die die Anstaltsleitung in Vechta angeordnet hätte. Er bezeichnete sie allerdings als angemessen. Die Maßnahmen würden laufend überprüft, doch bislang weiter angewendet, bestätigte der Sprecher am Mittwoch auf Nachfrage. Wie lange das also noch geht? Niemand weiß es.

Isolation? Totale Überwachung? Ab 1972 erhoben die RAF­-Häftlinge der ersten Generation den Vorwurf, ihnen gegenüber werde eine „Isolationsfolter“ und „Vernichtungshaft“ praktiziert. Die Kritik an ihren Haftbedingungen war plausibel: „Tatsächlich waren die RAF­-Mitglieder im Rahmen der sogenannten ‚strengen Einzelhaft‘ (…) zeitweise unter sehr harten Bedingungen inhaftiert“, fasste es die Historikerin Sabine Bergstermann in ihrem Buch „Stammheim“ zusammen.

Einen Solidaritätseffekt gab es schon

Dieser harte Umgang des Staates mit seinen RAF-Gefangenen sorgte damals für einen massiven Solidaritätseffekt. Besonders Ulrike Meinhofs Schilderungen über ihre zeitweilige „Isolationsfolter“ in einer leer stehenden frauenpsychiatrischen Gefängnisabteilung, in der man sie „akustisch“ wie „optisch“ vom normalen Anstaltsleben separierte, wurde entsprechend stark in der Öffentlichkeit rezipiert. Die Historikerin Bergstermann konstatierte: „Im Nachhinein erwies sich die Entscheidung, die Gefangenen solch harten Haftbedingungen zu unterwerfen, als desaströs für die Glaubwürdigkeit der Be­hörden.“

Und heute? Zwar gibt das niedersächsische Justizvollzugsgesetz derlei besondere Sicherungsmaßnahmen her. Videoüberwachung etwa, wenn Suizidgefahr besteht; Isolation, um Kontaktversuche mit weiter flüchtigen Ex-RAFlern zu verhindern. Nur – sind solche harschen Maßnahmen tatsächlich angemessen im Fall der 65-jährigen RAF-Rentnerin?

Der Eindruck jedenfalls, dass sich die niedersächsischen Behörden gerade ganz gut in ihrer Sheriff-Rolle gefallen, verstärkte sich zuletzt. Das fing schon bei der Pressekonferenz nach der Verhaftung Klettes an, als Innenministerin Behrens (SPD) den Anschein erwecken wollte, eine für die ganze Gesellschaft hochgradig gefährliche und aktive Terroristin festgenommen zu haben. Wie im Rausch sprach Behrens von einem „Meilenstein in der deutschen Kriminalgeschichte“.

Es folgten mehrere große Razzien auf der Suche nach Klettes Komplizen, die allesamt erfolglos blieben, die aber sogar seitens der Berliner Polizei zum Vorwurf führten, ihre niedersächsischen Kol­le­g:in­nen benähmen sich „wie die Russen in Prag“. Dringend sollten sich die Behörden von ihrer Sheriff-Rolle lösen. Oder haben sie Lust auf einen neuen Solidaritätseffekt?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

André Zuschlag
Redakteur taz nord
Jahrgang 1991, hat Politik und Geschichte in Göttingen, Bologna und Hamburg studiert. Von 2020 bis August 2022 Volontär der taz nord in Hamburg, seither dort Redakteur und Chef vom Dienst. Schreibt meist über Politik und Soziales in Hamburg und Norddeutschland.
Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Es ist sicher nur noch eine Frage der Zeit, bis die Militanten im Untergrund jemanden entführen, um Daniela Klette freizupressen.

    Mitten im Deutschen Frühling.

  • Die Haftbedingungen dienen dazu, einen Suizid der Gefangenen zu verhindern. Wenn man an den Suizid der Stammheimer Gefangenen zurückdenkt, ist das ja durchaus eine Option. Damals wurde den Sicherheitsbehörden ja auch die Ermordung der Insassen vorgeworfen. Insofern will sich die Behörde wohl nur schützen.

  • Nun es gibt eine Historie bei RAF Terroristen was Suizide und auch Einflussnahme nach außen betrifft. Das Märchen von der „netten Rentnerin“ ist bei den Waffenfunden und der kriminellen Energie, welche die Dame entwickelte wohl kaum glaubhaft. Diese Dinge sollten jenseits von Ideologischen Positionen geregelt werden. Zu bemerken wäre noch, dass die Dame immer noch einen gewissen Rückhalt in der „Szene“ hat. Es gibt Sympathisanten auch in einflussreichen Positionen. Also ist Vorsichtig geraten . Dabei geht es noch darum der mutmaßlichen Verbrecherin das Leben schwer zu machen, sondern einzig darum zu verhindern, dass sie sich selbst etwas antut oder zu anderen Mitgliedern der Terrorgruppe Kontakt aufnimmt.

  • Die "Hysterie" und "Drangsalierung" bezüglich des Themas RAF ist aber kein Alleinstellungsmerkmal deutscher Behörden, sondern breitet sich auch auf die Wirtschaft aus. So wurde unlängst die Betriebsrstsvorsitzende des Bremer Klinikverbundes Gesundheit Nord von ihren Aufgaben entbunden und freigestellt, da sie privat eine Solidaritätsdemonstration für Daniela Klette vor der JVA Vechta organisieren wollte.

    • @Sam Spade:

      Solidarität mit einer Terroristin ist in meinen Augen grundsätzlich problematisch.

  • Wer wie ich den Deutschen Herbst erlebt hat, kann sich über diesen Kommentar von Herrn Zuschlag nur wundern, vielleicht seinem Geburtsjahr geschuldet. Die RAF , das waren Mörder , Antisemiten, verhetzte Ideologen, da muß , auch im Namen der Opfer dieser Bande , strafrechtlich hart durchgegriffen werden , auch wenn das in manchen Berliner Kreisen noch nicht angekommen ist.

  • Die Würde des Menschen ist unantastbar.



    Von einer 65 jährigen Kriminellen die mit Überfällen ihr Leben finanziert hat,



    Zur Top Staatsfeindin



    Mit verschärften Haftbedingungen.



    Für unser System ein der leichtesten Übungen.



    Aber natürlich könnte sie unter normalen Bedingungen mit ihren Komplizen von früher einen Staatsstreich anzetteln.

  • Jetzt haben sie Kante gezeigt, jetzt können sie etwas zurück nehmen. Und jeden Besucher umfangreich observieren.

  • Da steckt wohl mehr Psychologie drin als kompetentes Arbeiten mit Inhaftierten. Schließlich will die Justiz nach 30 Jahren gelebter Unfähigkeit und fachfremder Übergabe der Gesuchten nun wenigsten in der Unterbringung zeigen was sie kann. Aber auch ein übertriebenes Bestrafen für die 30 jährige erlebte Demütigung versteckt sich hinter diesem Verhalten.



    Warum sollte unsere Justiz ein besseres Verhalten zeigen, als wie es in so vielen nicht demokratischen Ländern zu erleben ist.



    Vielleicht sind sie sogar etwas stolz auf ihr kleines norddeutsches Guantanamo.

  • Warum sollten sich Polizei und Vollzug seit damals geändert haben?

    Wenn irgendwas links riecht hyperventilieren sie, wenn irgendwelche Rechten 60k Schuss Munition horten, dann ha, ha, sie wollen nur spielen. Ist doch heute immer noch so.

  • Eine völlig absurde Reaktion des Staates, um Stärke zu demonstrieren. Als ob es nicht wichtigere Probleme für den Staat gäbe, als RAF-Rentner, zu jagen, die Capoeira betreiben oder andere Rentner betreuen: z.B. Dutzende von rechtsextremen Untergetauchten, die sehr wohl eine Gefahr für den Rechtsstaat darstellen, da sie in der AFD ihren legalen parlamentarischen Arm haben.

  • 6G
    663803 (Profil gelöscht)

    in Sachen Glaubwürdigkeit sind die Behörden wegen der 30 Jahre Suchaktion schon etwas angezählt und ob sie nun den Schwenk zur Gebäudesituation des Gefängnis machen oder weiterhin durch diverse Formulierungen den Unterstützerkreis durchleuchten bzw. im Internet verfolgen, schlussendlich wäre es besser die beiden anderen Männer zu fassen, denn in ihrem Selbstverständnis waren sie wohl ein Trio