Grünen-Frau über Dialog mit Blockierern: „Die reagierten auf Argumente“

Eine Sitzung der Grünen im Kreis Segeberg wurde von wütenden Bürgern gestört. Also bat die Fraktions-Chefin Denise Kreissl zwei Teilnehmer zum Gespräch.

Eine schwarze LKW-Zugmaschine mit Transparent am Führerhaus, daneben steht ein Polizeiauto.

Die Grünen als Sündenböcke: Protest vor dem Segeberger Kreishaus am 19. Februar 2024 Foto: Foto: Grüne Segeberg

taz: Frau Kreissl, es heißt, Bauern hätten den Bad Segeberger Kreistag blockiert. Was ist da tatsächlich passiert?

Denise Kreissl: Vor einer Woche sollte unsere Grünen-Fraktion tagen. Da wurden mir nachmittags Bilder aus einer Telegram-Gruppe hier aus dem Kreis zugespielt. Da wurde aufgerufen, zu unserer Sitzung zu kommen und uns ordentlich die Meinung zu geigen, so der Tenor. Aufgerufen hatten zwei Personen, deren Namen ich von den Corona-Demos kannte. Wir telefonierten dann mit dem Landrat und der Polizei. Die reagierte schnell und sagte: Machen wir mal ’ne Lage draus.

Wann begann die Sitzung?

Um 19 Uhr. Die Demonstrierenden wollten sich um 18.15 Uhr hier auf umliegenden Parkplätzen sammeln und das Gebäude der Kreisverwaltung blockieren.

War Ihre Sitzung öffentlich?

Wir laden uns dort häufig Gäste ein. Aber es war keine öffentliche Sitzung, wo die Bevölkerung einfach teilnehmen kann.

War es ein Bauernprotest?

Nein. Ich rief vor der Sitzung den Vorsitzenden des Kreisbauernverbands an. Er sagte, nee, das seien keine Landwirte, zumindest keine ihm bekannten. Wir stehen im guten Austausch.

Aber es waren dort Trecker?

Dass da jemand mit einem Traktor dabei war, stimmt. Es waren auch Lkw-Zugmaschinen dabei. Den Großteil ließ die Polizei gar nicht mehr aufs Gelände.

41, arbeitet als Medizinerin in der Aus-, Fort- und Weiterbildung und ist seit Oktober 2023 Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag Segeberg.

Wer kam auf die Idee, mit den Protestierenden zu reden?

Das ergab sich so. Ich stand vor dem Saal, weil noch ein, zwei von unserer Fraktion fehlten, und sah, dass die Demonstrierenden die Türen mittlerweile alle belagerten. Da ging ich nach draußen und wurde natürlich zunächst beschimpft. Ich sagte, ich wolle nicht streiten. Ich möchte nur, dass sie unsere Fraktion sicher reinlassen. Das taten sie dann auch. Und dann riefen sie mir zu, ich wäre dafür verantwortlich, dass es ihnen so schlecht gehe. Dass der Mindestlohn nicht angehoben würde und andere Vorwürfe. Ich entgegnete, das seien bundespolitische Themen. Und fragte zurück, welche Entscheidung wir Grünen im Kreis Segeberg ihrer Meinung nach nicht im Sinne der Bevölkerung entschieden hätten?

Und dann luden Sie sie ein?

Einer kam auf mich zu und sagte: Wir würden ja gerne reden, aber die Kreisverwaltung sage, wir wollten das nicht. Darauf sagte ich: Ich rede immer gerne, es ist das Einzige, was uns weiterbringt. Aber hier ist eine Drohkulisse aufgebaut. Mir werden Handys ins Gesicht gehalten, ich werde angeschrien als Kriegstreiberin, und das hat wenig mit reden zu tun. Dann bat ich nach Rücksprache mit meiner Fraktion zwei Herren herein. Vorher klärten wir noch ab, dass die beiden legitimiert sind, für diese Gruppe zu sprechen.

Hat Sie etwas von dem, was die sagten, überrascht?

Ja. Die Tatsache, dass die beiden doch sehr adäquat auf unsere Gegenargumente reagierten. Das fand ich sehr angenehm. Überrascht hat mich auch, dass nicht verstanden wird, wie wenig Einfluss wir als ehrenamtliche Kreispolitikerinnen auf die Landes- oder Bundesebene haben. Sie kritisierten primär Dinge bundespolitischer Natur. Der Mindestlohn sei zu niedrig, die Krankenkassenbeiträge zu hoch. Das Vergaberecht für Bauten im öffentlichen Raum sei völlig falsch. Durch Bürokratie würde alles doppelt so teuer und dauere dreimal so lange. Dann kam das berühmte Argument, dass für die Leute hier kein Geld da sei, aber Deutschland Radwege in Peru finanziere. Das kann ich echt nicht mehr hören, denn dass es sich um Kredite für Wiederaufbau handelt, die noch von der CDU-Regierung freigegeben wurden, das dringt nicht durch. Und diese Kreditvergabe hätten auch wir unterstützt.

Haben Sie nicht überzeugt?

Die beiden sahen ein, dass das ein Quatsch-Argument ist. Uns war wichtig, zu signalisieren: Ihr seid Menschen, wir sind es aber auch. Und sie sagten, wir sehen euch als Politikerinnen. Da sagte ich: Das eine schließt das andere nicht aus. Und dass wir als grüne Fraktion immer ein offenes Ohr hatten und auch Bauern nicht in rechte Ecken stellen.

War es ein rechter Protest?

Teils nahm ich rechtes Gedankengut wahr, den Flaggen nach. Sicher kann ich das bei dieser scheinbar sehr heterogenen Gruppe nicht sagen.

Nannten die beiden Punkte, die nachdenklich machen, wo sie Recht haben? In alltagspraktischen Dingen etwa?

Sie sagten, dass die Menschen nicht mehr arbeiten gehen würden, weil der Mindestlohn im Vergleich zum neuen Bürgergeld zu niedrig ist. Der eine führte ein Unternehmen für Gebäudereinigung und sagte, er würde sogar übertariflich zahlen, und fände dennoch keine Mitarbeitenden. Und den Arbeitgeberanteil der hohen Krankenkassenbeiträge könne er nicht eins zu eins an seine Kunden weitergeben. Er bleibe auf den Kosten sitzen. Es würde vieles bürokratisiert. Leute, die Hausfassaden putzen, müsse er in Maßnahmen schicken, in denen ihnen erklärt wird, wie sie Sonnenschutz auftragen. Lustigerweise haben wir in der Fraktion eine Dame, die eine Straßenbaufirma führt. Die sagte, dieser Sonnenschutz sei wichtiger Arbeitsschutz. Und so entstand eine Diskussion.

Das macht nachdenklich?

Sagen wir so: Uns fehlen Busfahrer, uns fehlt Pflegepersonal, uns fehlen an allen Ecken Leute in diesen wichtigen Berufen, die das Fundament unserer Gesellschaft bilden. Aber wenn ein Bundespolitiker das alles überblicken und alle Baustellen lösen müsste, um den Erwartungen gerecht zu werden, ist das nicht menschenmöglich.

Würde es helfen, wenn der Mindestlohn erhöht wird?

Wenn der Reinigungs-Unternehmer schon übertariflich zahlt und keine Leute findet, nicht. War auch mein Gegenargument an der Stelle. Da sagte er, da hätten aber wenigstens andere was von.

Wie sind Sie verblieben?

So, dass wir unsere Kontakte austauschen, um die Gespräche weiterzuführen. Aber lösungs- und sachorientiert, das war uns wichtig. Dass die die Themen sammeln und clustern. Was genau sind ihre Kernanliegen? Welches betrifft welche politische Ebene, also Kreispolitik, Landespolitik oder Bundespolitik?

Wie kommt es zu der aufgestauten Wut? Muss die Politik was anders machen?

Ja. Die Politik erklärt zu wenig. Es gibt komplexe Zusammenhänge, die muss man sich hart erarbeiten, und dafür hat nicht jeder die Zeit und die Kapazitäten, weil jeder in seinem Alltag steckt. Wie sollen Leute solche Dinge verstehen, wenn man ihnen – wie bei uns im Kreis passiert – nur sagt: Wenn du was wissen willst, lies dir die Dokumente durch im Kreisinformationssystem. Aber solche Dokumente sind oft verklausuliert und in Verwaltungsdeutsch geschrieben, das normale Menschen nicht verstehen.

Also ist die Politik unterkommuniziert?

Ja, auch auf Bundesebene passiert manchmal nach einer Ankündigung des Kanzlers tagelang nichts. Da bleibt viel Zeit für Interpretation und das Aufstauen von Unzufriedenheit, weil man nicht weiß, wie es weitergeht. Psychologisch ist mir das klar.

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