Sexismus auf TikTok: Die digitale Schmuddelecke
Auf Tiktok trenden derzeit sexistische Inhalte, die vor allem Frauen beleidigen. Zeit für einen Frühjahrsputz auf Social Media.
Es gibt so manche Orte, an die will man einfach nicht geraten. Zum Beispiel eine Schwurbeldemo während der Coronalockdowns oder die Tribüne eines Fußballstadions, von der rassistische Gesänge ausgehen. Meistens sind die Orte selbst nicht das Problem, sondern eher die Menschen, die sich dort aufhalten und diese zur Schmuddelecke machen.
In den sozialen Medien gibt es so eine Schmuddelecke auch. Dort werden Frauen nach ihrem Body-Count, also mit vielen Männern sie Sex hatten, gefragt. Jährlich flammt dieser Trend auf, auch derzeit macht er wieder seine Runden.
Es geht um Maskulinität und weibliche „Energie“. Die Videos, die es dazu gibt, sind oft sehr ähnlich: Männer, oft breit wie Möbelpacker, werfen große Worte um sich und posaunen ihren sexistischen Bullshit ungefiltert in die Welt hinaus. Im Hintergrund läuft dramatische Musik, man(n) muss ja unterstreichen, dass man ein Alpha-Male ist.
„Mach nicht denselben Fehler immer und immer wieder, indem du mit einer Feministin in die Kiste steigst!“
„Männer und Frauen können nicht befreundet sein, dass liegt nicht in unserer Biologie.“
„Sie hat schon mit fünf Typen geschlafen. Ekelhaft.“
„Frauen wollen einen Mann, der sie begehrt, aber sie nicht braucht.“
„Frauen lieben Player!“
Wie hoch ist dein Body-Count?
Aussagen wie diese haben eine klare Funktion. Sie sollen Frauen zeigen, dass sie sich nur selber schaden, wenn sie selbstbestimmt leben wollen. Dass es ihnen doch viel besser ginge, wenn sie doch nur auf den Mann hören würden. Dass sie kein eigenständiges Sexleben führen dürfen. Aussagen wie diese sollen Frauen klein halten.
Schon die Frage nach dem Body-Count, die derzeit auf Tiktok umgeht, ist sexistisch. Die Frage ist für Männer und für Frauen unterschiedlich.
Je höher der Body-Count bei Männern, desto besser. Man ist der „Player“ und der dominante, maskuline Mann, wenn man mit vielen Frauen schläft. Als Frau kann man diese Frage gar nicht erst richtig beantworten. Wenn der Body-Count niedrig ist, ist man prüde, wenn er hoch ist, eine Schlampe.
Manche kennen solche Gespräche und ähnliches vielleicht noch vom Pausenhof. Doch wie Body-Count und Co jetzt in den sozialen Medien so prominent thematisiert werden, gibt dem ganzen eine neue Dimension.
Im echten Leben kann man sich dem leichter entziehen, man kann die schmuddeligen Orte ganz einfach meiden, nicht hingehen, einen großen Bogen um sie machen. Doch auf Tiktok wird man hineingezogen wie von einem Strudel. Es reicht schon, ein mal ein Video von „WinnerMindset“, „The High Caliber Man“ oder anderen sogenannten „Men-Coaches“ vorgeschlagen zu bekommen.
Wie bei den Pausenhof-Bullys
Und ja, diese Accounts gibt es wirklich, ich hab meinen Tiktok-Algorithmus ruiniert, damit ihr es nicht müsst. Eine Sekunde zu lange auf so einem Video verweilt und schon wird der Feed von weiteren geflutet.
Warum sich so viele Menschen, vor allem Männer, in dieser Ecke pudelwohl fühlen, das kann ich nur vermuten: Es muss etwas mit dem Selbstwertgefühl zu tun haben. Andere klein halten, um sich selbst groß zu fühlen. So war das auch bei den Pausenhof-Bullys.
Ähnlich wie bei Mobbern ertappt man sich dabei, auch ein klein wenig Mitleid mit diesen Menschen zu verspüren. Man stelle sich vor, das Selbstwertgefühl ist zu niedrig, um eine Freundschaft mit einer Frau zu führen. Ich kann nur sagen, mir würde es nicht gut gehen, wenn plötzlich die Hälfte meines Freundeskreises futsch wäre.
Klar ist, die Schmuddelecke könnte einen richtigen Frühjahrsputz gebrauchen. Und wenn man schon dabei ist, kann man auch gleich ekelhafte Ausdrücke wie „Body-Count“ – diese Bezeichnung kommt ursprünglich aus der Militärsprache und steht für getötete Feinde, – und ähnliches in den Mülleimer kicken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung