Auf medialer Mission

Schon wieder sorgt eine neue politische Gruppierung für Schrecken in Deutschland: die Erdoğan-Fans ansprechende Partei Dava. Aber hat sie den Hype wirklich verdient?

Überraschung: Nicht alle Deutschtürken sind Islamisten Foto: Wolfram Steinberg/picture alliance

Von Volkan Ağar

Die Romane des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq thematisieren den spezifischen Leidensdruck der (Post-)Moderne. Es geht um die schmerzhafte Leere, der der Einzelne in einer durchsäkularisierten, durchverwerteten und sinnlos-chaotischen Welt gegenübersteht. In seinen dystopischen Erzählungen spielt der Autor zudem mit der Angstlust, jener ambivalenten Gefühlslage, bei der ein Mensch Lust aus Angst empfindet. Dieses Motiv kommt besonders im umstrittenen Roman „Unterwerfung“ (2015) zum Ausdruck, der im Jahr 2022 spielt: Ein charismatischer Islamist scheint die einzige Chance zu sein, um die Machtübernahme der Rechtsextremen zu verhindern, weshalb sich Linksliberale und Konservative mit ihm verbünden. Am Ende wird der Islamist Staatspräsident und transformiert die laizistische Ordnung in eine islamistische: Scharia, Theokratie, Polygamie.

Neun Jahre nach Veröffentlichung dieses Werks scheint diese Dystopie in Deutschland zum Greifen nahe. Zumindest wenn es nach der Bild-Zeitung und Po­lit­ike­r:in­nen der Union, aber auch der Grünen geht, die wegen einer Parteigründung alarmiert sind. Die neue Partei heißt Dava, der Name steht für „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ und sie will im Juni zur Europawahl antreten. Das Wort Dava kann als „Mission“ übersetzt werden. Nicht nur diese religiöse Aufladung des Namens, sondern auch die Personen, die hinter der Partei stehen, legen nahe, dass sie Verbindungen zur türkischen AKP pflegt.

„Es geht ihr um mehr Macht in Deutschland: Jetzt kommt die Erdoğan-Partei“, schreibt die Bild und zitiert den Unions-Fraktionsvize Jens Spahn: „Erdoğan lacht sich angesichts der Ampel-Politik ins Fäustchen“. Als Spitzenpolitiker einer Partei, die seit Jahrzehnten die Integration von Deutschtürken sabotiert, beschuldigt Spahn den türkischen Präsidenten, die Integration von Deutschtürken zu sabotieren. Mit der doppelten Staatsbürgerschaft erleichtere die Ampel ihm dieses Vorhaben, so Spahn. Mitte Januar hatte der Bundestag eine Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts beschlossen, zu dem auch die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft gehört, die bisher vor allem Türkeistämmigen verwehrt blieb. Während aus der SPD Aufrufe zur Gelassenheit kamen, äußerten sich Grüne wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und der Bundestagsabgeordnete Max Lucks ebenso besorgt über die Parteigründung: „Was hier entsteht, ist nichts anderes als eine türkische Version der AfD“, sagte Lucks den Funke-Zeitungen. Die türkische AfD! Das fetzt!

Viele Medien von Springers Welt bis zu den Öffentlich-Rechtlichen und auch die taz haben diesen Vergleich in ihre Überschriften aufgenommen. Insgesamt nahm die Gründung der neuen Partei in den letzten Tagen medial enorm viel Raum ein. Der erste Auftritt von Dava in der deutschen Öffentlichkeit war also trotz vieler kritischer Beiträge ein voller Erfolg. Denn auch schlechte Werbung ist Werbung.

Dabei ist es gar nicht übertrieben, die Partei als Ableger der AKP, der Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, und damit als islamistisch, nationalistisch und antisemitisch einzuordnen. Die Partei, die sich als Anwalt von diskriminierten und sozial abgehängten Mi­gran­t:in­nen präsentiert, dementiert zwar, dass es Verbindungen zur türkischen Regierung gebe. Die Bezüge ihrer Kandidaten sind aber eindeutig: ein ehemaliger Leiter einer Hilfsorganisation, die vom Bundesinnenministerium verboten wurde, weil sie eine der Hamas nahestehende Organisation unterstützt haben soll; ein ehemals hochrangiger Funktionär des Moscheeverbands Ditib, der der türkischen Religionsbehörde und somit der türkischen Regierung untersteht; und ein Spitzenkandidat, der jahrelang im Vorstand einer AKP-Lobbyorganisation in Deutschland und Europa saß.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Dava wenig bis keine Chancen hat, ein relevanter Player in Deutschland oder Europa zu werden. Auch wenn sich die Zahl der gegenwärtig ungefähr 1,5 Millionen Deutschtürken mit deutschem Pass durch die doppelte Staatsbürgerschaft erweitern sollte, bliebe das Wählerpotential marginal. Denn die deutschtürkische Community ist politisch und kulturell viel heterogener, als es in das Weltbild vieler Medien und Po­li­ti­ke­r:in­nen passt. Nicht alle Deutschtürken sind Islamisten.

Zudem sind ähnliche Parteiprojekte bei Landes-, Bundes- und Europawahlen bereits kläglich gescheitert. Das 2010 gegründete „Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit“ (BIG) erlangte zwar in NRW und Hessen wenige kommunale Mandate. Bei der Landtagswahl in NRW 2021 kam es aber nicht über 0,1 Prozent und bei der Europawahl 2019 nicht über 0,2 Prozent hinaus. Die Partei Allianz Deutscher Demokraten (ADD), die sogar mit Erdoğan-Plakaten für sich warb, erreichte bei der Bundestagswahl 2017 nur 0,1 Prozent. Bei der Europawahl gibt es zwar keine Sperrklausel, aber um ein Mandat zu erhalten, reicht das nicht.

Politiker der Union, die seit Jahrzehnten die Integration von Deutschtürken sabotiert, klagen nun, die Integration würde von Erdoğan und seiner neuen Partei sabotiert

In einem Punkt ist der Vergleich mit der AfD schließlich trotz allem plausibel: die medial-politische Hysterie um Dava erinnert an jene um die AfD, lange bevor diese bei ihren heutigen Umfragewerten stand. Die AfD wurde auch politisch relevant, weil sie medial relevant gemacht wurde. Statt sich in Verbalradikalismus und Schattenboxen zu üben, sollten deutsche Amts­trä­ge­r:in­nen deshalb gegen extremistische Einflussnahme dort vorgehen, wo es möglich ist und auch Wirkung hätte. Deutsche Po­li­ti­ke­r:in­nen haben Aktivitäten des Moscheeverbandes Ditib oder von Vereinen der rechtsextremen Grauen Wölfe viel zu lange toleriert oder gar gefördert, weil das ihnen politisch opportun schien. Es braucht schließlich keine Partei, um islamistische Ideologie zu verbreiten.

In Houellebecqs Roman wenden sich manche Rechtsextreme nach der islamistischen Machtübernahme dem neuen Regime zu. Sie finden Gefallen an der neuen Ordnung. Ein rechter Professor stellt fest, wie nahe sich die Vorstellungen der Islamisten und Rechtsextremisten eigentlich sind.

Und die AfD hält sich bisher sehr zurück, was die Kommentierung der neuen Partei angeht.