Bauernproteste in Sachsen: Für Kretschmer klatschen

Auch in Dresden ist der Protest der Landwirte groß – die radikalen Kräfte sind dieses mal aber klein.

Michael Kretschmer in grüner Jacke mit Mikrofon in der Hand

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer auf einer Kundgebung des Bauernverbands auf dem Dresdener Theaterplatz Foto: Sebastian Kahnert/dpa

DRESDEN taz | Es wäre keine Großdemo in Sachsen, wenn die Redner und Veranstalter sie nicht in einen historischen Kontext gestellt hätten. Die angeblich 4.000 Traktoren in der Dresdner Innenstadt und die geschätzt 5.000 Demonstranten auf dem Theaterplatz sind mit dem Bauernkrieg vor 500 Jahren, der Friedensbewegung der 1980-er Jahre und den erfolgreichen Protesten gegen das SED-Regime 1989 verglichen worden.

Laut den Rednern beginnt an diesem Mittwoch in Dresden etwas ähnlich Großes: eine anhaltende bundesweite Protestwelle, mit Sachsen als Vorreiter. Wie sich schon am Montag angedeutet hatte, ging die Dresdner Demo weit über die Agrarwirtschaft hinaus und geriet zu einer Generalabrechnung mit der Berliner Ampel und ihrer Politik: „Die Bauern machen den ersten Schritt – am Ende fällt immer der König“, ist auf Plakaten zu lesen. Auf anderen werden Neuwahlen gefordert.

Landesbauernpräsident Torsten Krawzyk attackiert denn auch die allgemeine politische Übergriffigkeit gegenüber der gesellschaftlichen Mitte, den „Leistungsbereiten“. Der Druck im Kessel sei hoch und der größte Fachkräftemangel herrsche in der Regierung. Nationalistische Töne sind in diesem Tag mehrfach zu hören – etwa bei dem Slogan „Unser Land zuerst“.

Anders als zu Wochenbeginn sind extreme Kräfte auf dem Platz vor der Semperoper aber Randerscheinungen geblieben. Am deutlichsten sichtbar ist die AfD mit Bannern wie „Dem Handwerk reicht´s“ in unverkennbarem Blau-Rot, aber das Parteilogo vermeidend. Ein allzu eifriger Schwenker der weiß-grünen Fahne mit Königswappen der radikalen „Freien Sachsen“ wird von Ordnern sanft an den Rand eskortiert. Seine Gesinnungsfreunde behalten die Fahnen im Rucksack.

Kretschmer entschuldigt sich

Zu sehen und zu hören sind aber auch nachdenkliche Äußerungen. „Ohne Pandemie und Kriege wäre Geld da zu Genüge“, heben sich zwei Privatpersonen von der empörten Grundstimmung ab. „Die Welt braucht keine Milliardäre“, mahnt ein Plakat. Die Proteste seien „kumulierter Ausdruck einer falschen Europa- und Weltpolitik, die uns jetzt auf die Füße fällt“, sagt eine Landwirtin. Niemand wolle hier noch mehr Subventionen, so der Tenor derer, die ans Rednerpodium treten. Nur fairen Wettbewerb.

Ein Milchbauer aus dem Raum Kamenz würde auch gern ohne sie auskommen, wenn die Erzeugerpreise die Existenz sichern würden. „Dafür müssten aber die Lebensmittelpreise steigen!“ Er und die sächsischen Landwirte sind besonders sauer, weil Sachsen als einziges Bundesland bislang die EU-Ausgleichszahlungen noch nicht weitergeleitet hat. Dafür entschuldigt sich Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), ohne seinen grünen Landwirtschaftsminister Wolfram Günther zu erwähnen. Dessen Rücktritt wird heftig gefordert.

Kretschmer, begleitet von vielen Mitgliedern der CDU-Fraktion aus dem nahen Landtag, wird teilweise mit Pfiffen empfangen, ausgebuht und aufgefordert, seine grüne Jacke auszuziehen. Dabei stellt er sich weitgehend hinter die Proteste und lobt die „Helden des Alltags“. Der Agrarsektor sei nicht hochsubventioniert, sondern mit hohen Abgaben belastet und auch im europäischen Maßstab benachteiligt.

Kretschmer erhält den meisten Beifall, als er in neidvolle Äußerungen gegenüber vermeintlichen Schmarotzern einstimmt. „Deshalb müssen wir an das Bürgergeld ran!“ Einige Sätze später beschwört er wiederum den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Der ist an diesem Mittwoch bei der Bauerndemo nicht gefährdet. Auch nicht, als am Nachmittag gewaltige Trecker mit hohem Tempo dank verbilligtem Diesel gen Autobahn zurückdonnern.

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