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Klimawandel und das aktuelle HochwasserVom Himmel hoch, da kommt es her

Aufgeweichte Deiche, überflutete Straßen und wegschwimmende Autos sind die neue Normalität. Wie Dürre und Waldbrände. Warum begreift das niemand?

Wohnhäuser an einer überfluteten Straße in Lilienthal, Niedersachsen, 28.12.2023 Foto: Focke Strangmann/dpa

S eit ich vor 30 Jahren meine Familie um die Sektion Göttingen erweitert habe, frage ich mich: Was bedeutet eigentlich das „Nieder“ in Niedersachsen? Jetzt habe ich die Antwort: Niedersachsen ist das Sachsen, wo die Keller volllaufen und die Sandsäcke gefüllt werden, wenn es mal ein paar Tage am Stück regnet. Und nicht nur die Keller: Talsperren saufen ab, Flüsse erwachen und verlassen ihr Bett, Deiche durchweichen, Überflutungsgebiete machen ihrem Namen alle Ehre, die Feuerwehr wird zur Wasserwehr. Im Harz und im Auenland entlang von Leine, Weser und all der Flüsse, deren Namen man plötzlich kennenlernt, entstehen neue Feuchtgebiete und Pop-up-Moore.

Alles schlimm genug. Menschen müssen gerettet werden, die Schäden an Straßen, Brücken und auf Feldern sind groß. Aber erstaunlich ist, wie erstaunt die Menschen sind. Wie laut die Ursachen für diese Katastrophe verschwiegen und ignoriert werden. Und wie wenig wir alle realisieren, dass das keine Ausnahme mehr ist. Sondern Teil eines neuen Normalzustands. Wir nennen es Klimakrise.

Sicher, noch gibt es keine Modellrechnungen, um wieviel wahrscheinlicher die Erderhitzung die großflächigen und ergiebigen Regenfälle rund um Weihnachten in Norddeutschland gemacht hat. Aber klar ist: Sie passen genau ins Muster, sie entsprechen allen Vorhersagen und erfüllen mit schöner naturwissenschaftlicher Konsequenz, was Politik und Wirtschaft immer gern wegrechnen, ignorieren oder mit „technologieoffen“ Hoffnungen zukleistern.

Auf den Websites der niedersächsischen Regierung stehen all die Gutachten, in den Archiven der Medien finden sich die Berichte über die einschlägigen Reports – und in allen Klimaprojektionen zu Deutschland im Klimawandel steht es auch: Wärmere Atmosphäre bedeutet mehr Feuchtigkeit in der Luft, die Winter werden wärmer und nasser, mehr Extremwetter wie Starkregen und Dürre stehen ins Haus. Oder besser: Sie stehen schon kniehoch im Haus, nämlich im Keller.

Vornehme Zurückhaltung

Dann kommt es genau so wie seit Jahren vorhergesagt, und: Ministerpräsident Stephan Weil spricht von „Naturkatastrophe“. Tja, da kann man dann wohl nichts machen, oder? Und überall in den Medien sehe ich: lange Berichte über die Wassermassen, die Maßnahmen, die Hilfsbereitschaft.

Kaum etwas zu möglichen Ursachen. Vornehme publizistische Zurückhaltung, die wir sonst gar nicht kennen: Wenn an Silvester irgendwo in Neukölln eine Mülltonne brennt, wird großflächig über verfehlte Migrationspolitik debattiert; wenn die Börse mal schwächelt, wird schnell nicht mit Aktien, sondern Vermutungen spekuliert. Nichts tut das politische Berlin lieber, als faktenarm über Motivation und Entscheidungen von Regierung und Opposition zu schwadronieren. Aber ein faktenbasierter Hintergrund dazu, was und warum da jetzt so alles vom Himmel hoch runterkommt – und dass das keineswegs eine Naturkatastrophe ist? Eher nicht.

Denn das hieße ja: Anerkennen, dass wir bereits mitten in der Klimakrise leben. Dass es um Future geht, auch von Saturday bis Thursday. Oder dass eine Regierung in Stadt, Land, Fluss vielleicht sogar – verwegener Gedanke – den Klimanotstand nicht nur erklärt, sondern auch entschlossen bekämpfen müsste.

Wenigstens die Mützen stimmen

Für eine solche Zeitenwende wäre es aber eben nicht genug, im Sommer im Bundeskabinett eine Strategie zur Klimaanpassung zu verabschieden – sondern dieses Denken müsste sich überall breitmachen, nicht nur bei Öko-Steffi. Sondern auch bei Bau-Klara, Verkehrs-Volker und vor allem bei Finanz-Chrissie. Aber bis dahin wird noch viel Wasser die Leine herunter durch die Innenstädte fließen.

Vielleicht sind wir aber mal wieder viel weiter als diese Menschen an den Schleusentoren der Macht: Auf dem Weihnachtsmarkt in Göttingen jedenfalls laufen mir zwei Menschen mit grünen Mützen über den Weg. Drauf steht nicht wie sonst „Schietwetter“ – sondern „Schietklima“. Na bitte. Geht doch.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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1 Kommentar

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  • gibts irgendein gebiet irgendwo auf der welt, wo derzeit die klimakatastrophe nicht heftig zuschlägt? nordeuropa bibbert, nordindien ebenso, greatbritain mal wieder heftigste regenfälle (meldet zumindest d-radio, auf tagesschau sind sie noch nicht so weit). von wegen niemand weiß ... doch, alle wissen, bloß das eigene auto verschrotten (so mal als pars pro toto) - soll doch der nachbar vorangehen, und außerdem lebts sich doch aufm land so gesund - nur geht eben nicht ohne auto, wa?