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Feindliches Design bei BVG und BezirkenAufenthalt unerwünscht

Der Künstler Martin Binder sammelt Beispiele für obdachlosenfeindliches Design in Berlin. Bezirke und BVG wollen davon keine Kenntnis haben.

Stylisch, aber ungemütlich: Wartebank in der 2020 eröffneten U-Bahn-Station Rotes Rathaus Foto: Martin Binder

Berlin taz | Bänke, auf denen man nicht liegen kann, eine kostenpflichtige Toilette, die kein Bargeld akzeptiert, und jede Menge Zäune: Auf dem Instagram-Kanal safeandurban postet der Künstler Martin Binder Beispiele für „feindliches Design“ – nach dem englischen „hostile design“. Der Begriff hat sich gegenüber der Bezeichnung „defensives Design“ durchgesetzt, um die diskriminierende Absicht zu kritisieren. Denn die ungastliche Gestaltung zielt vor allem darauf ab, obdachlose Menschen von öffentlichen Plätzen fernzuhalten.

Für ein Augmented Reality Projekt hat Binder in Zusammenarbeit mit dem Verein Querstadtund der Union für Obdachlosenrechte Berlin (UfO) ein Archiv von Bildern angelegt. Ein Beispiel sind die Wartebänke in der U-Bahn-Station Rotes Rathaus in Mitte. Die Sitzflächen sind auf kleine kreisförmige Bereiche begrenzt, die auf Betonquadern angebracht wurden. Wer sich dort hinsetzt, merkt schnell: Die Sitzmöbel mögen zwar stylisch aussehen, sind aber selbst für den kurzen Aufenthalt ungemütlich. Das Material ist kalt, hart und ruschtig, es gibt keine Rückenlehnen. Hier zu sitzen erfordert entweder Kraft in den Beinen oder rutschfeste Sohlen. Für einen längeren Zeitraum sind sie jedenfalls nicht geeignet.

Der Begriff defensive Architektur ist bei der BVG nicht bekannt

Das sollen sie vielleicht auch gar nicht. Immerhin bieten viele Wartebänke in Berlin wenig Platz und sind unbequem. Von feindlicher Architektur will die BVG jedoch nichts wissen. Auf eine parlamentarische Anfrage des Grünen-Abgeordneten Ario Ebrahimpour Mirzaie vom Juni vergangenen Jahres heißt es aus der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt: „Der Begriff ‚defensive Architektur‘ ist bei der BVG nicht bekannt, und es gibt hierzu keine Richtlinien. Sitzgelegenheiten werden grundsätzlich für Menschen, nicht gegen Menschen genutzt.“

„Feindliche Architektur hat oft mehrere Funktionen und manche davon können auch einen positiven Charakter haben“, sagt Andreas Abel. Er ist Streetworker bei Gangway, einem Verein, der in Berlin mit obdachlosen Erwachsenen und Jugendlichen arbeitet. Solche Uneindeutigkeiten erschweren die Kritik. Als Beispiel nennt Abel die Lichtinstallation am Savignyplatz in Charlottenburg, die in der Unterführung für bunte, schnell wechselnde Beleuchtung sorgt. „Für Pas­san­t*in­nen ist das Lichtspektakel bestimmt schick, aber obdachlose Menschen, die hier nachts regensicher untergekommen wollen, werden dadurch vertrieben“, sagt der Straßensozialarbeiter.

Keine Bänke, aber Betonblöcke mit Metallspitzen

Bewehrter Lüftungsschaft am Alex Foto: Martin Binder

An anderen Orten ist es leichter zu erkennen, dass ein längerer Aufenthalt verhindert werden soll: So wurde der Lüftungsschacht am Fernsehturm durch Querverstrebungen zum Sitzen unbequem und zum Liegen unbrauchbar gemacht. Zuvor hatten sich hier vor allem im Winter Menschen aufgehalten, weil die ausströmende Luft von unten wärmte.

Auf Anfrage der Grünen an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, wer diesen Umbau zu verantworten hat, kam nur heraus: Das Bezirksamt Mitte war es nicht. Die Maßnahme erforderte auch keine Baugenehmigung.

Auch der Bezirk will von obdachlosenfeindlicher Architektur nichts wissen: „Von dem Bezirksamt Mitte wird nicht versucht, mit sogenannter defensiver Architektur auf die Nutzung des öffentlichen Raums restriktiv Einfluss zu nehmen“, heißt es. Besondere Sensibilität gibt es allerdings auch nicht. „Leitfäden oder Rundschreiben zum Umgang mit defensiver Architektur beziehungsweise allgemein zu dem Themenbereich sind dem Senat nicht bekannt.“

Mehr als eindeutig zeigt sich am Ostbahnhof die ablehnende Haltung gegenüber Menschen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten: Vor den Parkplätzen gegenüber der Bahnhofshalle wurde eine Wiese mit Blumenbeeten und einem kleinen Mäuerchen 2012 durch Betonblöcke ersetzt, 2015 wurden diese mit Blechspitzen versehen.

Der Effekt: Die Blöcke können nicht mehr zum Sitzen genutzt werden. Innerhalb des Bahnhofs gilt das Hausrecht, das den Aufenthalt auf den Bänken ohne Fahrschein untersagt. Auch hier sieht der Senat die Verantwortung nicht bei sich, sondern bei der Deutschen Bahn.

Menschen mit eingeschränkter Mobilität haben Nachsehen

Das Unternehmen begründet die Baumaßnahme damit, die Parkplätze von der Straße abgrenzen zu wollen. Auf die Frage der Grünen, ob es Vorgaben zur Gestaltung der Sitzgelegenheiten gibt, teilt die Senatsverwaltung mit, dass sich die Deutsche Bahn neben technischen Vorgaben vor allem an die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung und mit eingeschränkter Mobilität halte.

Welche Funktion die Metallspitzen in dieser Hinsicht haben sollen und warum stattdessen auch an dieser Stelle – wie auch auf dem ganzen Gelände rund um den Bahnhof – keine Bänke vorhanden sind, bleibt offen. Obwohl ja insbesondere Menschen mit eingeschränkter Mobilität auf Sitzgelegenheiten angewiesen sind. In einem kurzen Video fängt Martin Binder das Resultat ein: Neben den bewehrten Betonklötze sieht man eine Gruppe von rund 40 Personen, die an der Bushaltestelle warten – im Stehen.

„Verdrängung von Obdachlosen aus dem öffentlichen Raum findet auf verschiedenen Wegen statt, Architektur und Design sind nur ein Teil davon“, sagt Andreas Abel. Zusammen mit dem Grips-Theater und anderen Un­ter­stüt­ze­r*i­nnen lobte Gangway 2021 den Negativpreis „Goldene Keule“ für den „Obdachlosenfeindlichsten Ort Berlins“ aus.

Die Auszeichnung ging an den Hansaplatz in Tiergarten im Bezirk Mitte. Grund ist unter anderem die 2020 geänderte Platzordnung, die, rechtlich höchst fragwürdig, das „unnötige Aufhalten im öffentlichen Raum“ untersagen wollte. Nach starker Kritik wurde diese Regelung geändert. Mittlerweile gilt die Platzordnung nur noch für private Flächen. „Wo genau die Grenzen verlaufen, ist nicht ersichtlich“, sagt Andreas Abel. „In der Bäckerei hängt die Platzordung bis heute aus.“

Reinickendorf verbietet defensive Architektur

Die klarste Linie gegen ausgrenzende Architektur gibt es in Reinickendorf. Dort beschloss die Bezirksverordnetenversammlung im Dezember 2022, dass das Bezirksamt von defensiver Architektur abzusehen hat. Gemeint sind damit laut Beschlussvorlage beispielsweise „verstreute Steine, Betonbänke und Poller, die vor allem den Zweck haben, Jugendliche und Obdachlose von öffentlichen Plätzen fernzuhalten“.

„Die Verdrängung einer ohnehin benachteiligten Gruppe ist falsch“, heißt es auf taz-Nachfrage von der FPD Reinickendorf, die den Beschluss eingebracht hatte. Sie fordert, zusätzliche seniorengerechte Möbel – zum Beispiel mit einem Bügel zum Aufstehen – anzubringen. Mit obdachlosenfreundlicher Architektur hat das wenig zu tun: Denn auch die Bügel dienen dazu, Menschen vom Liegen abzuhalten.

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8 Kommentare

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  • Einige Beispiele sind, nicht nur gegen Obdachlosen sondern auch gegen Alte, Schwangere, Erschöpfte oder einfach auch nur sitzen wollende Menschen feindlich. Im öffentlichen Raum muss es genügend Sitzgelegenheiten und Toiletten geben. Verweilen, egal für wie lange, darf auch nicht verboten werden, wir sind ja nicht in den USA. Und die Ausrede "man kenne den Begriff gar nicht" ist peinlich bis absurd. Natürlich weiß ein jeder Raumplaner und Stadtarchitekt, was dahinter steckt. Manchmal, so wie bei dem Lüftungsschächten, ist das teilweise ok, dort "defensiv" zu bauen, da ein längerer Aufenthalt dort (z.B. übernacht) zum Ersticken führen kann. Aber anderswo, zb auf Haltestellen, in Parks etc. ist es einfach mdnschenfeindlich.

  • "Von feindlicher Architektur will die BVG jedoch nichts wissen. "



    Das erinnert mich an eine öffentliche Stellungnahme der BVG im Sommer 2020 zum Thema Ansteckungen mit C19 in Verkehrsmittel. Kein Fall bekannt, hieß es da aus der Geschäftsführung.



    Na Hauptsache ist ja schließlich, dass sie uns lieb haben.

  • Die BVG bzw. Bahn hat keine CSR gegenüber Obdachlosen. Bei den Sitzen der BVG (Bahn) handelt es sich um Einrichtungen für die Kunden zum kurzfristigen Aufenthalt bis zum Eintreffen des nächsten Zuges oder Busses.

    Eine obdachlosenfreundliche Architektur, die für den Aufenthalt von mehr Obdachlosen sorgt, schreckt Kunden von der Nutzung des ÖPNV ab und ist damit höchst kontraproduktiv.

    Ferner nicht auszudenken, was passiert, wenn das abgebildete Gitter unter dem Gewicht der darauf Sitzenden einbricht.

    • @DiMa:

      Wenn das Gitter öffentlich zugänglich ist, dann ist es so zu konstruieren, dass es auch dann nicht einbricht, wenn in der vollen Fläche Menschen darauf stehen. Wenn dies nicht gegeben ist, muss es abgesperrt werden.

      • @celcon52:

        Scheinbar reicht die getroffene Lösung je bereits aus.

        Eine Absperrung ist eher schwierig, da solche Öffnungen häufig einen Notausgang darstellen. Wäre doch echt unschön, wenn das abgesperrt werden würde und im Falle einer Havarie die Leute nicht rechtszeitig raus kommen würden.

    • @DiMa:

      Das eine obdachlosenfreundliche Architektur im Endeffekt Kunden von der Nutzung des ÖPNV abschrecken könnte und damit höchst kontraproduktiv wäre, ist der BVG wahrscheinlich gar nicht bekannt, schließlich wissen sie ja dort auch nichts von einer feindlichen Architektur.

      • @AusBerlin:

        Die BVG hat lediglich eingeräumt, dass ihr der Begriff "defensive Architektur" nicht bekannt sei.

  • Selbst Betteln darf in Hamburg nur im stehen (taz Nord, 31.3.23) erfolgen, damit es nur nicht zu gemütlich wird. Wo kommen wir denn hin wenn die Bedürftigen sich dazu niederlassen, also hinsetzen? (Ironie aus)