Eric Bonse über den geplanten EU-Beitritt der Ukraine
: Viele offene Fragen

Viktor Orbán hat sich verzockt. Auf dem EU-Gipfel hatte der ungarische Regierungschef damit gedroht, die europäische Ukrainepolitik mit einem Veto zu blockieren. Die geplanten EU-Beitrittsverhandlungen wollte der notorische Neinsager ebenso stoppen wie eine 50 Milliarden Euro große Finanzspritze, die Kiew vor dem drohenden Staatsbankrott retten soll.

Doch nach achtstündigen fruchtlosen Verhandlungen musste Orbán einsehen, dass er sein Blatt überreizt hat. Von Kanzler Olaf Scholz ließ er sich zu einer Kaffeepause überreden. Kaum hatte er den Saal verlassen, einigten sich die verbliebenen 26 Staats- und Regierungschefs auf grünes Licht für Beitrittsgespräche. Orbán war weg, der Konsens war da. Der Kniff ist legal, denn Abwesenheit gilt nach den EU-Regeln als Enthaltung und nicht als Nein. Er hat damit den Weg für Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau frei gemacht. Georgien wird zum EU-Kandidaten, auch Bosnien und Herzegowina bekommt eine Chance. Das ist mehr, als selbst Optimisten erwartet hatten. Doch in die Freude mischt sich auch Sorge: Nicht einmal die EU selbst ist vorbereitet auf einen neuen „Big Bang“, wie die erste große Osterweiterung 2004 getauft wurde. Die nötigen Reformen wurden verschlafen. Bisher gibt es dafür aber nicht einmal einen Plan; er soll erst 2024 nachgereicht werden. Die EU lässt sich auf ein Abenteuer ein, für das sie selbst nicht gerüstet ist.

Die größte Sorge gilt aber dem Krieg. Wie kann man mit einem Land über den Beitritt verhandeln, das um sein Überleben kämpfen muss? Schon jetzt hat die EU größte Mühe, Geld für neue Finanzhilfen für die Ukraine aufzutreiben. Der Wiederaufbau wird noch teurer.

Orbán hatte vor dem EU-Gipfel eine Strategiedebatte angemahnt. Sein Ziel war es, Entscheidungen zu verhindern. Damit ist er krachend gescheitert. Das entbindet Scholz und die anderen Staats- und Regierungschefs aber nicht von der Pflicht, ihre Pläne zu erläutern und die vielen offenen Fragen zu beantworten. Es geht nicht nur um die Zukunft der Ukraine, sondern um ganz Europa.

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