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Kürzungen beim BürgergeldEin Rechenweg ins Ungewisse

Die Ampel-Koalition will durch neue Sanktionen Millionen einsparen. Der Selbsthilfeverein Tacheles zweifelt aber an den Zahlen der Regierung.

Ob diese Rechnung aufgeht? Foto: imago

Berlin taz | Nur „eine kleine Minderheit“ der Arbeitslosen, so Sozialminister Hubertus Heil (SPD), lehne Jobangebote hartnäckig ab. Trotzdem sollen die neuen Bürgergeldsanktionen, an denen die Regierung gerade arbeitet, immerhin 170 Millionen Euro pro Jahr einsparen. So steht es im Entwurf für die Gesetzesänderung. Derzufolge bekommt künftig kein Geld mehr, wer sich wiederholt weigert, „eine zumutbare Arbeit aufzunehmen“. Kommt diese Millionensumme tatsächlich hin?

Nein, behauptet der Wuppertaler Selbsthilfeverein Tacheles, der bundesweit für die Rechte sozial Benachteiligter lobbyiert. Heils Ministerium habe das angenommene Einsparvolumen „unseriös festgesetzt“, kritisiert Vorstandsmitglied Frank Jäger. Den Berechnungen des Vereins zufolge müsste die neue Sanktion pro Jahr über 210.000-mal eingesetzt werden, damit sie Bund und Kommunen wirklich 170 Millionen Euro spart.

Das wären überraschend viele Fälle: Wie viele To­tal­ver­wei­ge­r*in­nen es genau gibt, ist zwar nicht bekannt. Laut Statistiken früherer Jahre geht aber regelmäßig nur ein kleiner Teil aller Sanktionen auf abgelehnte Arbeit zurück. Heils Ministerium spricht im Gesetzesentwurf von „einigen wenigen“ Betroffenen.

Der Verein Tacheles ist mit einer einfachen Rechnung auf seine Zahl gekommen: Den Plänen der Regierung zufolge darf künftig der Bürgergeldregelsatz für maximal zwei Monate komplett gestrichen werden. Wird der Zeitraum komplett ausgereizt, geht es also zunächst um zwei mal 563 Euro.

Von dem Betrag hat Tacheles noch 30 Prozent abgezogen: Die Komplett-Sanktionierung soll schließlich nur bei wiederholtem Fehlverhalten ziehen – und in diesen Fällen zahlen die Jobcenter schon jetzt nur reduzierte Beträge.

Bleiben noch knapp 800 Euro Einsparung pro Fall. Um auf die von der Regierung angepeilten 170 Millionen Euro zu kommen, muss man diese Zahl eben grob mal 210.000 nehmen.

Regierung rechnet nicht öffentlich

Das Arbeits- und Sozialministeriums wollte seinen Rechenweg am Mittwoch auf Anfrage nicht offenlegen. Da sich das Vorhaben noch innerhalb der Regierung in Abstimmung befände, sei das nicht möglich, sagte ein Sprecher. Er räumte ein, dass die 170 Millionen Euro „natürlich ein Schätzwert seien“. Er verwies allerdings auf „seriöse Studien“, denen zufolge die „jetzt angekündigten Sanktionen eine Präventivwirkung entfalten werden“.

Soll heißen: Die Einsparungen, von denen die Regierung ausgeht, ergeben sich nicht nur aus den jeweils zwei Monaten, in denen kein Bürgergeld gezahlt wird. Stattdessen, so die Hoffnung, nehmen Betroffene unter dem Druck der neuen Sanktion doch eine Arbeit auf und fallen dauerhaft aus dem Bürgergeldbezug. Rechnet man damit, reichen schon weit weniger als 210.000 Fälle aus, um auf 170 Millionen Euro zu kommen.

Ob dieses Kalkül aufgeht, ist freilich offen. Vom Verein Tacheles heißt es daher, die neue Sanktion sei nicht die geeignete Maßnahme, um eine „konkrete Haushaltseinsparung“ zu erreichen. Sie bediene stattdessen „Ressentiments und Vorurteile, die aktuell in weiten Teilen unserer Parteienlandschaft in einer sozialpolitischen Debatte hochgehalten werden“.

Fragezeichen auch beim Bonus

Ein Fragezeichen steht auch hinter dem Volumen einer zweiten Sparmaßnahme: Gleichzeitig mit der Einführung der neuen Sanktion soll der sogenannte Bürgergeldbonus wegfallen. Ihn gibt es erst seit einem halben Jahr. Monatlich sieht er zusätzliche 75 Euro für Menschen vor, die bestimmte Weiterbildungsmaßnahmen absolvieren. Durch die Streichung will die Bundesregierung 100 Millionen Euro pro Jahr sparen.

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit, die die Maßnahme laut einer Sprecherin „natürlich gerne fortgeführt“ hätte, haben seit Juli 63.000 Personen den Bonus erhalten. Die Kosten für das halbe Jahr: Nur knapp 9 Millionen Euro. Da neue Maßnahmen erfahrungsgemäß eine Weile brauchen, um richtig anzulaufen, wären die Kosten für 2024 wahrscheinlich gestiegen. Die von der Regierung angenommen 100 Millionen Euro Gesamtvolumen sind aber zumindest nicht sehr defensiv geschätzt.

Ob die Zahl trotzdem hinhaut, wird sich in diesem Fall nicht mehr zeigen – der Bonus wird ja eingestellt. Bei der neuen Sanktion dagegen bittet der Sprecher des Heil-Ministeriums um Geduld: Es bleibe abzuwarten, wie sich die Einsparungen am Ende des Jahres tatsächlich darstellen. So oder so haben für die Bundesregierung beide Kürzungspläne einen Vorteil: Für den Moment helfen sie ihr zumindest dabei, ihren Haushalt verfassungskonform zu machen.

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8 Kommentare

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  • Ein sehr wichtiger Artikel zur Frage der Kausalität der Einsparungsmaßnahmen der Bundesregierung und zur Prüfung derselben durch den Verein Tacheles e.V.!



    Stellt sich hier doch die Frage, wie ernst es Regierung mit der gerade erst ins Leben gerufenen Reform „Bürgergeld“ eigentlich ist, wenn diese – vermeintlich? – in das Fahrwasser von Haushaltseinsparungen gerät.



    Diese Reform ist kritikwürdig. Doch wurde mit ihr im Ansatz der evidente Zusammenhang gesehen dass eine nachhaltige Vermittlung in Arbeit nur durch die Berücksichtigung der beruflichen Möglichkeiten und Wünsche der Erwerbslosen und mit deren entsprechenden Förderung gelingen kann. Und dies obendrein mit den Erfordernissen schon des gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitskräftebedarfs an Fachkräften in Einklang steht! Ich sage es absichtlich mal etwas „gehässig“: Könnte eine SPD nicht gerade damit einmal und endlich einmal wieder unter Beweis stellen, dass mit ihr tatsächlich „die neue Zeit geht“? Warum verweist sie nicht gegenüber den auf die Arbeitslosen mürrisch, schauenden Teil der Öffentlichkeit auf die offenliegenden sachlichen Gründe für eine nachhaltige Vermittlung und gegen die Schnelle in den Niedriglohnsektor hinein, die dann schon nach einem halben Jahr wieder enden kann?



    Die SPD als die Partei der Agenda 2010 sieht sich da vor der Aufgabe des Erklärens der Abkehr von einer von ihr bisher durchgeführten Politik. Doch die sachlichen Gründe dafür, wie eben angedeutet, sprechen triftig für sich!



    Doch statt auf die arbeitsmarktpolitische Ideenlosigkeit der Unionsparteien zu verweisen, plötzlich ein Vorschieben vordergründiger Gründe für eine wie im Artikel gezeigt wirkungslose, unlogische Sparpolitik: Des Volkes Unmut auf die Arbeitslosen soll besänftigt werden durch „strenge Sanktionen“, um nur ja die AfD und ihrer Hetze die Wählerstimmen zu nehmen? Ein Unmut, welchen die SPD nun mal tüchtig mit geschürt hat.



    Angst, liebe SPD, ist kein guter Ratgeber. Man sieht es an der Unlogik der Sparmaßnahmen.

  • "Laut Statistiken früherer Jahre geht aber regelmäßig nur ein kleiner Teil aller Sanktionen auf abgelehnte Arbeit zurück. Heils Ministerium spricht im Gesetzesentwurf von „einigen wenigen“ Betroffenen. [...] Die von der Regierung angenommen 100 Millionen Euro Gesamtvolumen sind aber zumindest nicht sehr defensiv geschätzt."

    --> Soll heißen, Minister Heil trickst mit Zahlen aus Wolkenkuckucksheim herum, um ja nichts beim größten Einzeletat der Bundesregierung (38,52 % der Ausgaben oder anders 171,61 Milliarden Euro) einsparen zu müssen.

    Und Einsparen muss die Koalition, da einer der Koalitionspartner Steuererhöhungen und höhere Schulden kategorisch ablehnt. Wie man sich bettet, so liegt man.

    Zu diesen Einsparungen gehört dann eben auch das Arbeitsministerium.

    Alternativ könnte man natürlich auch einfach die Rentenversicherung anpassen und 2 %-Punkte (einen für den AG, einen für den AN) steigen lassen. Das brächte ca. 5 Milliarden zusätzliche Beitragseinnahmen. Dann könnten diese 5 Milliarden im Haushalt beim größten Einzelausgabe-Posten des gesamten Bundeshaushalts, dem Zuschuss zur Rentenversicherung mit knapp 100 Milliarden, eingespart werden.

  • ...nach unten treten.

    Don't eat the rich, tax them!

  • taz: Das Arbeits- und Sozialministeriums [...] räumte ein, dass die 170 Millionen Euro „natürlich ein Schätzwert seien“

    Man schätzt also schon ab, wie viele Millionen Euro man mit Sanktionen gegen arme Menschen in diesem Land einsparen könnte, wenn die Arbeitslosen sich weigern für die mächtigen Kapitalisten - für ein paar Euro - zu arbeiten. Hört sich sehr interessant an, was die "soziale" SPD sich da wieder mal ausgedacht hat. Gibt es den Sozialstaatsgedanke (Art. 20 Abs. 1 GG) eigentlich noch oder hat der klimaschädliche und ausbeuterische Kapitalismus hier schon komplett das Sagen?

    Vielleicht sollten unsere "Volksvertreter" endlich mal gegen Wirtschaftskriminelle vorgehen, anstatt den Armen noch die Margarine vom Brot zu nehmen - und das Brot auch gleich noch. Aus einer Untersuchung der University of London im Auftrag der sozialdemokratischen S&D-Fraktion im EU-Parlament geht hervor, dass jedes Jahr (!!!) 125 Milliarden Euro Steuergelder in Deutschland hinterzogen werden. (Wer 125 Milliarden durch 170 Millionen teilt, der merkt schnell, dass in diesem Land schon lange etwas nicht mehr stimmt) Aber gegen Steuerhinterzieher vorzugehen ist wohl zu schwierig, da hält man sich lieber an die Armen. Für arme Arbeitslose hat man ja sogar eine sogenannte "Behörde" ins Leben gerufen, um die Arbeitslosen besser überwachen zu können. Die Arbeitsagenturen, die mit einem unglaublichen Bürokratismus und ca. 100.000 Mitarbeitern einen egozentrischen Aufwand betreiben, der in gar keinem Verhältnis zu den Vermittlungserfolgen steht, kosten den Steuerzahlern übrigens jährlich einige Milliarden Euro (JC-Gebäude, Löhne, etc.). Viel Geld, das man besser anlegen könnte, wenn man sich z.B. mal unsere heruntergekommenen Schulen anschaut, die alle dringend saniert werden müssten – aber dann hätte man ja kein Druckmittel mehr, um den Noch-Arbeitnehmern klar zu machen: „Wenn ihr nicht brav seid und mehr Lohn verlangt, dann landet ihr auch als Bürgergeldempfänger auf der Straße“.

    • @Ricky-13:

      Ich möchte Ihren Hinweis auf die gigantisch hohe Summe der jährlichen Steuerhinterziehung in D. unterstreichen!



      Auch als einer, der die Langzeitarbeitslosigkeit kennt, bin ich keiner, der will, dass den Bürgerinnen und Bürgern der "letzten Stuergroschen" "abgepresst" werden soll. Es muss aber z. B. schon danach gefragt werden, ob aus den Reihen derer, die auch große, planvoll durchgeführte Stuerhinterziehungen wie z. B. "cum-ex", begehen, mit am lautesten nach Sanktionen und anderen Repressalien gegen Erwerbslose rufen. Und wie viele von den kleinen Stuerhinterziehern mit dabei sind, die ihre Steuertrixerei natürlich nur als Kavaliersdelikt ansehen. Mehr noch: Die sich da in gerechter Opposition zum Staat sehen! Während ihnen dann der Gedanke nicht in den Sinn kommt, dass ein arbeitsloser Mensch um seine Identität ringt, wenn er plötzlich seine berufliche Identität gänzlich aufgeben soll, wenn er vom erlernten Berufsfeld wechsen soll in den unsicheren Niedriglohnsektor. Was schert mich aber die Identität und die Lebenssitutation der anderen?

      • @Moon:

        Es geht bei so einer Summe nicht um den kleinen Bürger, der vielleicht mal ein paar Euro nicht bei der Steuererklärung angibt. Selbst wenn jeder Bürger in Deutschland - vom Baby bis zum Greis - Steuern hinterziehen würde, käme so eine gigantische Summe (125.000.000.000 €) auch nur schwerlich dabei heraus. Ich habe mit voller Absicht 'Wirtschaftskriminelle' geschrieben, denn darum handelt es sich ja auch, um 'Kriminelle'.

        In den 1980er Jahren gab es mal eine Krimiserie, die "Schwarz-Rot-Gold" hieß. Sie handelte von Kriminalfällen im Bereich der Zollfahndung. Irgendwann wurde die Serie aber leider eingestellt. Wahrscheinlich weil in der Fernsehserie unter anderem Subventionsbetrug, Steuerbetrug und Schmuggel thematisiert wurde und das wohl für einige Herrschaften in Deutschland dann doch zu nah an der Realität war - und man den Zuschauer mit zu vielen Informationen über Wirtschaftskriminalität auch nicht zu sehr "belasten" wollte. Am Ende hätte der Zuschauer vielleicht sogar noch gemerkt, wer die wirklichen Gauner und Schmarotzer in Deutschland sind. Heutzutage lenkt man von solchen "Leistungsträgern" aber geschickt ab, denn wenn man den Normalbürgern erzählt, dass der Bürgergeldempfänger (die Bezeichnung Hartz-5-Empfänger würde wohl passender sein) ein "fauler Müßiggänger" ist, dann hat der Bürger etwas worüber er/sie sich aufregen kann und was den Denkapparat des kleinen Bürgers auch nicht zu sehr belastet. Wie ich oben schon geschrieben habe, hat man eine sogenannte "Behörde" mit ca. 100.000 Mitarbeitern eingerichtet, damit man die Arbeitslosen "lenken" und man die Arbeitslosen den Firmen als billige Arbeitskräfte besser zuteilen kann (damit die deutsche Wirtschaft innerhalb Europas ihre Stellung als Exportweltmeister halten kann, benötigt man nämlich billige "Lohnsklaven", die vom Jobcenter "geliefert" werden); aber gegen Wirtschaftskriminelle, die dem Staat jedes Jahr (!!!) 125 Milliarden Euro kosten, dagegen wird immer noch nichts unternommen.

  • Probleme, die gar nicht existieren würden, wenn da nicht die destruktive Haltung und koordinierte Hetzkampagne der Union wäre, die die Zwangsarbeit durch die Hintertür wieder einführen will.

    Schuld daran ist auch die Presse, die die CDU/CSU nicht klipp und klar als die verfassungsfeindliche, menschenverachtende, trumpelnde Mafia benennt, die sie ist!

    • @Ajuga:

      Weil Sie es nicht ist. Weil 3/4 der Deutschen laut Umfragen diesen Verschärfungen zustimmen. Weil das Verfassungsgericht diese Möglichkeit bereits in einem Urteilsspruch dargelegt hat. Die Streichung des Bürgergeldes ist bei Verweigerung möglich, da der Verweigernde es selber in der Hand hat, die finanzielle Not zu beenden. (durch Annahme des Jobs)

      Was mich aber aufregt ist das populistische Austeilen gegen die CDU als verfassungsfeindlich und Menschenverachtend.



      Wenn man in einer Demokratie lebt, dann gibt es mehrere berechtigte Meinungen.



      Es gibt eben nicht die eine richtige Meinung und alles andere ist Falsch. Dann brauchen wir keine Demokratie, keine Wahlen, dann ist die Diktatur wohl wirklich besser...

      Abgesehen von der AFD ist in den Deutschen Bundes- und Landesparlamenten keine Partei verfassungsfeindlich und Menschenverachtend.