Dating per App: Virtuelle Komfortzone
Dating-Apps schonen das Ego und sorgen für regelmäßigen Dopamin-Kick. Verloren gegangen ist dabei die Fähigkeit, sich auf das Ungewisse einzulassen.
I m August saß ich mit Johann an der Elbe. Johann, der eigentlich anders heißt, betreibt ein hippes Café in Dresden. Ich hatte bei ihm bestimmt schon 20 Espressi bestellt, als wir eines Abends ein Match auf Tinder und ein paar Tage später ein Date hatten. Ob er mich auch in seinem Café nach einem Treffen gefragt hätte, wollte ich wissen. „Nee“, sagte Johann. „Das fände ich komisch.“
Dass wir eine App brauchten, um uns zu treffen, obwohl wir mehrfach miteinander gesprochen und einander zugelächelt hatten: Das war seltsam. Und gleichzeitig so normal, seitdem sich mit Tinder, Bumble und Co die Suche nach dem nächsten Date von den Bars, Tanzflächen und Freundeskreisen auf die Handybildschirme verlagert hat.
Laura Catoni arbeitet als Journalistin in Dresden. Seit 2019 schreibt sie für die Dresdner Neuesten Nachrichten unter anderem über die Themen Pflege, Gesundheit, Feminismus – und Dating.
Laut Umfragen haben knapp zwei Drittel der Deutschen schon einmal eine Dating-App benutzt. Vor allem die Generationen Y und Z sind online auf der Suche. Eine andere Person einfach so ansprechen? Für viele junge Menschen mittlerweile undenkbar. Oft genug habe ich einen Mann im Club oder im Café gesehen und mich danach auf der Suche nach ihm durch Bumble gewischt. Weil da doch jeder ist. Weil ein getipptes „Hi“ so viel leichter fällt als ein gesprochenes. Und weil ich das Gefühl hatte, einfach noch mehr über ihn wissen zu müssen. Wenigstens, ob er Single ist. Gern, welche Partei er wählt. Wer nicht passt, wird aussortiert. Das nächste Match kommt bestimmt. Oder wie es die israelische Soziologin Eva Illouz einmal formulierte: „Emotionale Entscheidungen werden am Fließband getroffen.“
Was dabei verloren geht, ist die Fähigkeit, sich einzulassen. Nicht auf eine Beziehung, sondern auf alles Ungewisse, was mit einer neuen Begegnung einhergeht. Wie spricht der Mensch mit dem interessanten Gesicht? Was sind sein Job, seine Leidenschaften, seine Lieblingsband? Gefällt mir das alles und gefalle ich ihm auch? Treffe ich jemandem von einer App, sind solche Fragen oft schon geklärt, das Date ein Abgleich dessen, was man erwartet hat. So haben sich viele junge Leute seit Tinder – das 2012 den Urknall des App-Datings in Deutschland ausgelöst hatte – in einer virtuellen Komfortzone eingerichtet, in der sie die Kommunikation unter Kontrolle haben und die Scham einer direkten Abfuhr umgehen können.
Das Digitale ist gemütlich und schont das Ego, nimmt aber auch die Aufregung des Analogen. Emojis ersetzen Mimik, Kontrolle ersetzt Überraschung, Distanz ersetzt Unmittelbarkeit. Und vor allem: Der Algorithmus ersetzt den Zufall. Wer nur noch online nach Möglichkeiten schaut, übersieht schnell die Begegnungen offline.
Wie oft traf ich Menschen, die ich sofort gedatet, aber auf meinem Handybildschirm aussortiert hätte. Weil sie auf den ersten Blick nicht mein „Typ“ waren und weil das, was in natura Lust auf mehr macht – eine warme Ausstrahlung, ein anziehender Geruch, eine Geste –, sich in keiner App entfalten kann. Da können sich die Anbieter mit Sprach- und Videofunktion noch so sehr um Authentizität bemühen.
So lange wie möglich online halten
Eine App, die sich besonders bemüht, ist Hinge. Sie ist vor allem in der Generation Z beliebt und zielt mit dem Werbeslogan „designed to be deleted“ auf den wunden Punkt derer ab, die das Endlos-Swipen leid sind. Dass das ein hohles Versprechen ist, leuchtet ein, sobald man die Logik von Dating-Apps versteht. Die Anbieter wollen ihre Nutzer so lange wie möglich online halten. So können sie mehr Daten und Umsatz durch Werbung und Abos generieren. Deshalb ist es kein Wunder, dass hinter Hinge das gleiche US-Unternehmen steckt wie hinter Tinder.
Interessant ist der Hinge-Slogan trotzdem, offenbart er doch das Dilemma vieler, die auf Dating-Apps unterwegs sind: Sie sind dort, obwohl sie nicht mehr wollen. Doch warum eigentlich? Ganz einfach: Dopamin. Mit jedem Match, das wir kriegen, schüttet unser Gehirn Glückshormone aus. Und weil sich das so gut anfühlt, wollen wir mehr davon. Bis wir nicht mehr aufhören können. Viele versuchen daher den Entzug. Auf Tiktok zählt der Hashtag #datingdetox 1,2 Millionen Aufrufe, und auch auf Youtube und Instagram berichten User zahlreich von ihrem Ausstieg aus der Onlinedating-Spirale.
Wer nicht mehr aufhören kann, verliert nicht nur die Kontrolle über sich selbst, sondern auch einen Haufen Zeit. 291 Matches braucht ein Tinder-User laut einer Studie der Universität Trondheim in Norwegen im Schnitt, bis er jemanden trifft, mit dem er in einer neuen Beziehung landet. Bis zu meiner waren es sicher doppelt so viele. In der Zeit, die ich bis dahin auf Apps und ersten Dates mit ihren immer gleichen Unterhaltungen verbracht hatte, hätte ich auch einen Master studieren, für einen Marathon trainieren, Männer im echten Leben kennenlernen können.
Nur einen Wisch entfernt?
Dabei hatte alles so vielversprechend angefangen. Der nächste Flirt, der nächste Sex, die nächste Beziehung: alles zu haben, vom Bürostuhl aus, der Badewanne, dem Bett. Digitalisierung regelt! Doch hat sich so auch in vielen Köpfen der Glaube eingebrannt, dass der Mensch, der einem geben kann, was man sucht, nur einen Wisch entfernt sei. Und wenn man kein Match hat, regelt das die passende Zusatzfunktion, die, na klar, extra kostet. Seit Kurzem haben Tinder-Nutzer die Möglichkeit, auch Leute ohne Match anzuschreiben. Nicht nur der Preis – fast 500 Euro im Monat – ist absurd, sondern auch die Botschaft: Alles ist möglich, jeder verfügbar, immer und überall. Selbst, wenn er oder sie nicht will.
Dating-Apps also für immer verbannen? Nein. Aber wenn nur noch der Autopilot über den Bildschirm wischt und jedes erste reale Treffen Anstrengung statt Aufregung bedeutet, ist es Zeit für eine Pause. Doch haben Apps ja auch ihr Gutes: Ohne Tinder wäre ich nie an Johanns Rezept für seinen Kirschkuchen gekommen, den ich immer zum Espresso dazubestellt hatte. An ein zweites Date kam ich nicht. Obwohl Johann mich zum Abschied gefragt hatte, ob wir uns wiedersehen, habe ich nie wieder was von ihm gehört. Typisch Tinder.
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