Ermittlungen gegen Polizei eingestellt: Der Rechtsstaat, zum Draufspucken

Sechseinhalb Jahre nach G20 in Hamburg bleibt Polizeigewalt komplett ungesühnt. Die letzten Ermittlungen gegen Polizisten wurden jetzt eingestellt.

Ein Mensch liegt am Boden, ein Polizist fixiert ihn, ein anderer hat einen Knüppel in der Hand

Po­li­zis­t*in­nen müssen bei Körperverletzung im Amt keine Strafe fürchten Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

HAMBURG taz | Stellen Sie sich vor, Sie gehen ins Theater. Riiinngg, Vorhang geht auf, erster Akt. Auf der Bühne spielen sich Szenen der Gewalt ab. Schwarz uniformierte Bewaffnete schlagen auf De­mons­tran­t*in­nen ein. Letztere sind wütend auf die Staats­che­f*in­nen der 20 mächtigsten Industriestaaten, zünden Barrikaden an, plündern Läden, schmeißen Dinge in Richtung der Uniformierten. Diese schlagen mit Knüppeln auf die Unbewaffneten ein, kesseln sie ein, nehmen sie fest. Viele De­mons­tran­t*in­nen werden verletzt, teilweise schwer.

Pause. Sie haben eigentlich gar keinen Bock mehr auf den nächsten Akt, kippen aber einen Sekt, würgen sich eine Brezel rein und setzen sich wieder hin. Zweiter Akt. Auf der Bühne: Ein Gerichtssaal. Angeklagt sind mehrere De­mons­tran­t*in­nen und mehrere Uniformierte. Den De­mons­tran­t*in­nen wird Landfriedensbruch vorgeworfen. Sie sollen für Sachschäden haftbar gemacht werden, obwohl ihnen teilweise keine konkreten Taten zur Last gelegt werden. Das scheint egal zu sein. Viele bekommen Haftstrafen von mehreren Jahren.

Den Uniformierten wird Körperverletzung im Amt vorgeworfen. Ihre Verhandlungen spielen vor der Tür des Gerichtssaals, denn zur Verhandlung kommt es bei ihnen gar nicht. An einem Tisch sitzen Uniformierte und ermitteln gegen die eigenen Kolleg*innen, daneben sitzt die Staatsanwaltschaft und nickt alles ab. Alle Vorwürfe werden eingestellt. Nur einer nicht, da soll ein Uniformierter einen anderen Uniformierten am kleinen Finger verletzt haben. Der Beamte bekommt eine Verwarnung. In Ihrem Theatersessel rollen Sie genervt mit den Augen und gucken zu Ihrer Begleitung hinüber, die schon seit Längerem unter ihrem Mantel am Handy daddelt. „Sooo unrealistisch“, murmeln Sie.

Gefallen an der Gewalt

Endlich, der Vorhang geht zu, das Stück ist zu Ende. Sie sind erlöst. „Was für ein Kackstück!“, sagen Sie zu Ihrer Begleitung. Sie wollen Ihr Geld zurück haben und nehmen sich vor, erst mal nicht mehr ins Theater zu gehen. Ist doch scheiße sowas. Sie gucken noch mal auf das teure Ticket und ärgern sich, als Sie den Titel wieder lesen. „Rechtsstaat“, heißt das Stück. Sie schmeißen es auf den Boden und spucken drauf.

Sechseinhalb Jahre ist der G20-Gipfel in Hamburg jetzt her. Vor einigen Tagen stellte die Staatsanwaltschaft die letzten Ermittlungen gegen Po­li­zei­be­am­t*in­nen wegen Körperverletzung im Amt und Nötigung ein. Bei dem letzten Fall ging es um drei Polizisten einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, die beschuldigt waren, einer Demonstrantin, die nichts getan hatte, das Wadenbein gebrochen zu haben. Sie war Tänzerin gewesen.

Die Hamburger Morgenpost zitiert aus den Akten des Falls: In internen Chats der Einheit hätten die Beamten damit angegeben, wie brutal sie gegen die G20-Gegner*innen vorgegangen waren. Die Staatsanwaltschaft bescheinigte einem der Beschuldigten eine „hochproblematische Dienstauffassung“. Er habe „Gefallen an der Gewalt gefunden“. Dann stellte sie die Ermittlungen ein.

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Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.

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