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Der Populist der aus der Pampa kam

Der neu gewählte Präsident Javier Milei will Argentinien wirtschaftlich und politisch weit nach rechts rücken. Für viele Vorhaben dürfte ihm aber eine Mehrheit im Parlament fehlen

Enttäuschung en masse: Reaktion von Gewerkschaftern am Sonntag in Buenos Aires Foto: Santiago Mazzarovich/dpa

Aus Buenos Aires Jürgen Vogt

Mit der Kettensäge in den Präsidentenpalast. Argentiniens rechtspopulistischer Newcomer Javier Milei wird der neue Präsident. Mit 55,7 Prozent der Stimmen hatte sich der selbst erklärte Anarcho-Kapitalist am Sonntag überraschend deutlich bei der Stichwahl um das höchste Amt durchgesetzt. Der Kandidat des Regierungsbündnisses Unión por la Patria und Wirtschaftsminister, Sergio Massa, erhielt nur 44,3 Prozent der Stimmen.

„Heute ist eine historische Nacht, heute beginnt der Wiederaufbau Argentiniens“, begann Milei seine Rede vor seiner jubelnden Anhängerschaft. In 35 Jahren werde Argentinien wieder eine Weltmacht sein. „Wir sind der Demokratie, dem freien Handel und dem Frieden verpflichtet und werden mit allen Nationen der freien Welt Hand in Hand arbeiten“, so Milei. Die Lage in Argentinien sei jedoch kritisch, weshalb es keinen Platz für kleine Schritte oder halbherzige Maßnahmen gebe. „Wenn wir die notwendigen strukturellen Veränderungen nicht rasch in Angriff nehmen, steuern wir auf die schlimmste Krise in unserer Geschichte zu“, so Milei. Konkrete Maßnahmen und Reformen nannte er nicht.

Schon jetzt lebt fast die Hälfte der 46 Millionen Ar­gen­ti­nie­r*in­nen in Armut. Vor allem die galloppierende Inflation macht den Menschen zu schaffen. Für das laufende Jahr wird mit einer Teuerungsrate von bis zu 180 Prozent gerechnet. Fast im Tagesrhythmus zerbröselt die Kaufkraft der Menschen, rutschen selbst immer mehr in Lohn und Brot stehende Ar­gen­ti­nie­r*in­nen in die Armut ab.

„Dies ist ein Triumph, der weniger Milei und dessen Eigenheiten und Besonderheiten geschuldet ist, sondern vielmehr der Forderung nach Wandel“, kommentiert sagt der Politologe und Meinungsforscher Lucas Romero das Wahlergebnis. „Was an den Urnen zum Ausdruck kam, sind Überdruss, Müdigkeit und Proteststimme der Mehrheit der Argentinier.“

Ein Blick auf die 23 Provinzen und die Hauptstadt Buenos Aires zeigt, wie umfassend der Triumph des 53-jährigen Milei ist. Nur in drei Provinzen hatte Kontrahent Massa mehr Stimmen als Milei erhalten. In absoluten Zahlen stimmten landesweit 14,5 Millionen Wahlberechtigte für Milei und 11,5 Millionen für Massa. Die Wahlbeteiligung lag bei 76 Prozent. Im Vergleich zur ersten Runde der Präsidentschaftswahl konnte Milei um rund 26 Prozentpunkte zulegen, während Massa nur 7,5 Prozentpunkte hinzugewann.

„Die Vorstellung, dass der Staat eine Beute ist, die unter den Politikern und ihren Freunden aufgeteilt wird, ist ab heute vorbei“, verkündete Milei drohend am Wahlabend. Er wisse, dass es Leute gibt, die ihre Privilegien behalten wollen. „Denen sage ich: alles innerhalb des Gesetzes, nichts außerhalb davon.“ Die jetzige Regierung sei jedoch bis zum Ende ihres Mandats und der Amtsübergabe am 10. Dezember für alles voll verantwortlich.

Damit reagierte er auf seinen Kontrahenten Massa, der zuvor seine Niederlage eingeräumt hatte. „Es ist nicht das Resultat, das wir erwartet haben“, erklärte Massa seiner enttäuschten Anhängerschaft. „Milei ist der Präsident, den die Argentinier gewählt haben“, so Massa. Ab jetzt liege die Verantwortung bei Milei, fügte er noch hinzu, um nur wenig später anzukündigen, dass er eine Auszeit nehmen werde.

Ohne Milei zu gratulieren, versprach der amtierende Präsident Alberto Fernández eine geordnete Übergabe der Amtsgeschäfte. „Ich bin zuversichtlich, dass wir die Zusammenarbeit mit Javier Milei aufnehmen können, um einen geordneten Übergang zu gewährleisten“, so Fernández, der nicht nur auf eine Wiederwahl verzichtet, sondern sich auch völlig aus dem Wahlkampf herausgehalten hatte. Kettensäge und Löwenmähne waren die unverwechselbaren Attribute des 53-jährigen libertären Wirtschaftswissenschaftlers im Wahlkampf. Milei setzt auf einen radikalen Marktkapitalismus, in dem das Recht auf Privateigentum ein Naturrecht ist und der staatliche Regulierungen als legalisierte Form von Diebstahl ansieht. Mit der Kettensäge werde er den aufgeblähten Staat schleifen, so sein Versprechen. Die derzeit 18 Ministerien sollen auf 8 reduziert werden. Abschaffen will der Klimawandelleugner etwa das Umweltministerium, das Ministerium für Kultur, für Wissenschaft oder das Ministerium für Frauen, Gender und Diversität.

In einem neuen „Ministerium für Humankapital' sollen die Bereiche Bildung, Gesundheit und Arbeit zusammengefasst werden. Das Außenministerium wird die Wirtschaftswissenschaftlerin Diana Mondino übernehmen. Bar jeglicher diplomatischen Erfahrungen ist sie bisher vor allem durch ihre stramm neoliberale Haltung sowie ihre Nähe zu den USA und die kategorische Ablehnung der Regierungen in Venezuela und Kuba aufgefallen. Dass Argentinien nun trotz einer Einladung nicht dem Schwellenländerbündnis der Brics-Staaten beitritt, gilt als sicher.

Wer den Schlüsselministerien Wirtschaft und Sicherheit vorstehen wird, ist noch nicht bekannt. Möglich, dass Patricia Bullrich das Sicherheitsministerium übernimmt. Die im ersten Wahlgang ausgeschiedene Kandidatin war bereits Sicherheitsministerin des konservativen Ex-Präsidenten Mauricio Macri. Der hatte unmittelbar nach dem Ausscheiden seiner Kandidatin seine bedingungslose Unterstützung für Milei ankündigt und sich aktiv in den Wahlkampf des libertären Ökonomen eingeklinkt. Bullrichs Berufung könnte als Teil eines möglichen Deals zwischen Milei und Macri erfolgen. Macri hat bereits mehrfach angekündigt, kein Amt zu übernehmen.

„Was an den Urnen zum Ausdruck kam, sind Überdruss, Müdigkeit und Protest“

Lucas Romero, Politologe

Was Milei von seinen Vorhaben, wie etwa der Dollarisierung oder Abschaffung der Zentralbank, politisch und parlamentarisch umsetzen kann, ist völlig unklar. Für die Mehrzahl seiner Vorhaben braucht er die Zustimmung des Kongresses, und für die Abschaffung des Peso und alleinige Einführung des Dollar müsste gar die Verfassung geändert werden. Die schreibt eine eigene nationale Währung vor. Auch als Argentinien in den 1990er Jahren den Peso in einem festen Eins-zu-eins-Verhältnis an den Dollar gebunden hatte, blieb die nationale Währung erhalten.

Von einer eigenen Kongressmehrheit ist der neue Präsident jedoch meilenweit entfernt. Milei stellt nicht einmal die für eine Sitzung notwendige Mindestanzahl an Abgeordneten und Senatsmandate. Der Präsident hat in Argentinien viel Macht, aber er kann auch nicht alles per Dekret verordnen. Entscheidend wird sein, wie sich die gemäßigt rechte Oppositionsallianz „Juntos por el Cambio“ verhalten wird. Seit Mauricio Macri mit seiner Partei PRO ohne jegliche Rücksprache zur Unterstützung von Milei aufgerufen hatte, gilt der Zustand der Allianz als schwer zerrüttet.

Dass Milei nur einen Bruchteil der geschätzten 5.000 Staatsbediensteten stellen kann, die er als Präsident braucht, um die entscheidenden Stellen im Staatsapparat zu besetzen, könnte die Wogen allerdings schneller glätten als erwartet. In den ökonomisch unsicheren Zeiten sind die Aussichten auf feste Arbeitsstellen ein äußerst disziplinierender Faktor.

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