Erdoğan nach dem Deutschland-Besuch: Erst treffen, dann lästern
Nach den Gesprächen mit Scholz und Steinmeier stellt sich der türkische Präsident als harter Verhandler dar. Dabei lief es wohl recht einvernehmlich.
Nach dem Treffen zwischen Olaf Scholz und dem türkischen Präsidenten hat die Bundesregierung am Wochenende die konstruktiven Ansätze in den Gesprächen mit Recep Tayyip Erdoğan betont. Im Krieg Russlands gegen die Ukraine seien sich der Bundeskanzler und der türkische Präsident einig gewesen, dass Moskau „weiter dringend aufgefordert sei, den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden“, hieß es am Samstag aus deutschen Regierungskreisen.
Im Umgang mit dem Nahost-Konflikt sind die Differenzen zwischen Scholz und Erdoğan jedoch erheblich. Kaum zurück in der Türkei, beschuldigte Erdoğan „den Westen“ eines „kreuzritterhaften Imperialismus“. Das habe er beim Bundespräsidenten gesehen und „bei dem anderen auch“, sagte der türkische Präsident am Samstag in Istanbul bei einer Rede vor der Nationalen Türkischen Studierendenunion. Mit „dem anderen“ meinte Erdoğan wohl Scholz, mit dem er wenige Stunden zuvor in Berlin noch zu Abend gegessen hatte.
„Was sie sagen, ist: Hamas, Hamas, Hamas“, berichtete Erdoğan den Studierenden über seine Gespräche in Berlin. „Deutschland sagt, die Gewalt der Hamas am 7. Oktober habe diese Situation ausgelöst. Natürlich habe ich ihnen gesagt: dreizehntausend Kinder, Frauen und ältere Menschen sind von Israel getötet worden. Warum sprecht ihr nicht darüber?“
Der türkische Präsident wandte sich von Istanbul aus an Scholz, bezeichnete in Israel gefangene Palästinenser*innen als „Geiseln“ und brachte die Türkei als Verhandlerin mit der Hamas ins Spiel. Aber nur unter einer Bedingung: Deutschland solle sich für die Freilassung der palästinensischen Gefangenen in Israel einsetzen. „Und wir werden uns bemühen, für die Freilassung derer einzutreten, die derzeit in den Händen der Hamas sind.“ Doch Scholz habe abgelehnt, erzählte Erdoğan. Die Rede vor der türkischen Studierendenschaft zeigt, wie sehr der türkische Präsident den aktuellen Krieg im Nahen Osten auch zur innenpolitischen Profilierung nutzt.
Bei der Pressekonferenz am Freitagabend in Berlin, die noch vor dem Austausch mit Scholz stattfand, hatte Erdoğan gemäßigtere Worte gewählt. Zwar sprach er auch hier über die palästinensischen Gefangenen in Israel, kritisierte die hohe Zahl der zivilen Opfer im Gazastreifen und forderte eine Waffenruhe. Wie Scholz bekannte er sich jedoch langfristig zu einer Zweistaatenlösung, die er als einzig nachhaltigen Weg für einen Frieden im Nahen Osten bezeichnete. Dieser Satz wurde in den türkischen Medien kaum erwähnt.
Aus deutschen Regierungskreisen hieß es im Anschluss an das Gespräch, beide Politiker hätten über „mögliche Perspektiven für den Gazastreifen beziehungsweise für den Nahost-Konflikt“ gesprochen. Der Bundeskanzler habe die deutsche Haltung der Solidarität mit Israel betont und „in aller Klarheit“ den terroristischen Anschlag der Hamas verurteilt. Der Austausch habe sich außerdem der humanitären Lage in Gaza gewidmet sowie der Freilassung von Geiseln.
Dass das Gespräch stellenweise wohl konstruktiver war, als Erdoğan es im Nachhinein verkaufen will, liegt auch an der desolaten wirtschaftlichen Lage in der Türkei und der Hoffnung des türkischen Präsidenten, das Land wirtschaftlich wieder stärker an die EU und Deutschland anzubinden. Erdoğan brachte in Berlin öffentlich den Wunsch zum Ausdruck, den EU-Beitritt Ankaras nun endlich voranzubringen, und hatte angekündigt, auch über wirtschaftliche Themen sprechen zu wollen.
Zu den Tagesordnungspunkten auf der Liste des Bundeskanzlers gehörte die Wiederbelebung des Migrationsabkommens zwischen der EU und der Türkei. Aus deutschen Teilnehmerkreisen hieß es im Anschluss an das Treffen, Scholz und Erdoğan hätten es begrüßt, dass nun im Rahmen einer neu eingerichteten bilateralen Arbeitsgruppe der Innenbehörden „intensiv daran gearbeitet“ werde. Die Gruppe werde beauftragt, „zu einem baldigen einvernehmlichen Ergebnis zu kommen“.
Ein weiteres Thema, über das sich beide Politiker einig wurden, war, dass künftig mehr Imame in Deutschland ausgebildet werden sollten. Die Entsendungen von Geistlichen aus der Türkei nach Deutschland solle „schrittweise beendet“ werden.
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